Sicherheitsvorkehrungen im Vorfeld von Wahlkampfveranstaltungen sind üblich. Je höher die Dichte an Spitzenpolitikern, desto höher die Sicherheitsstufe, lautet die Faustformel. Der Einsatz eines Sprengstoffspürhundes beim Wahlkampfauftritt von Friedrich Merz, Markus Söder und Michael Kretschmer in Dresden allerdings ist ungewöhnlich. Es gebe eine „besondere Gefahrenlage“, begründet ein Beamter die Maßnahme. Beim Auftritt der Vorsitzenden von CDU und CSU zusammen mit dem sächsischen Ministerpräsidenten und CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl wird zum Glück kein Sprengstoff gefunden, es bleibt auch sonst alles ruhig. Politisch allerdings ist das, was da am späten Abend auf dem „Konzertplatz Weißer Hirsch“ passiert, durchaus explosiv.
Ein paar hundert Menschen haben sich vor der von Bäumen umrahmten Freilichtbühne des Konzertplatzes eingefunden. Bier, Bratwurst, Volksfestcharakter, viel Polizei, keine Störungen. Vor diesem Hintergrund sieht die CDU-Regie eigentlich Wahlkampfunterstützung für Kretschmer vor, der am 1. September bei der Landtagswahl in Sachsen erneut Ministerpräsident werden will. Stattdessen erlebt das Publikum im zweiten und dritten Akt die Aufführung des Stücks „Söder gegen Merz – Wer wird Kanzler?“
Wahlkampf: Michael Kretschmer reagiert auf Solingen
Kretschmer bekräftigt zum Auftakt vor dem Hintergrund der Mord-Attacke in Solingen zunächst seine Forderung, die Migration zu begrenzen. Mit 30.000 Flüchtlingen pro Jahr könne Deutschland zurechtkommen, nicht aber mit 300.000, erklärt der Wahlkämpfer, der sich in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der AfD liefert. Beide Parteien stehen bei etwa 30 Prozent. Die Migrations- und Sicherheitspolitik der Ampel-Koalition kritisiert Kretschmer scharf, er wirft namentlich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Versagen vor. „Demokratie verteidigt man dadurch, indem man beweist, dass der Rechtsstaat, die Demokratie, unsere Institutionen die Probleme lösen, die aus Sicht der Bevölkerung vorhanden sind“, erklärt der beliebte Landesvater.
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Söder ist durch vielfältige Auftritte in Talkshows und den sozialen Medien für die Komödie mittlerweile bestens aufgestellt. Nach dem Bartträger Kretschmer fällt es dem neuerdings vollbärtigen Bayern nicht schwer, umgehend die Menschen auf dem Konzertplatz auf seine Seite zu ziehen. Er komme gerne nach Sachsen, verrät Söder, er habe nämlich einen sächsischen Migrationshintergrund. „Mein Großvater war Sachse. Und eine meiner ersten Freundinnen war eine Sächsin.“
Kanzlerfrage in der Union: Es kann nur einen geben
Der einzig Bartlose im Unions-Trio erlebt nach diesen einleitenden Schmeicheleien einen CSU-Chef, der kaum einen Zweifel an seinen Kanzler-Ambitionen lässt. Während Friedrich Merz im hinteren Teil der Bühne nur die Statistenrolle bleibt, feuert Söder vorne Breitseiten gegen die Ampel-Koalition in Berlin. Deutschland verliere den Schwung, Schuld daran sei allein die Regierung. Die stelle verfassungswidrige Haushalte auf, komme dann zu einer Einigung, und zerlege diese anschließend gleich wieder im Streit. Mit Blick auf die Schlappe bei der letzten Bundestagswahl erklärt Söder, 2021 dürfe sich in zweierlei Hinsicht nicht wiederholen. „Erstens, dass die Union streitet, aber noch viel schlimmer: Dass die SPD den Kanzler stellt.“ Der CSU-Vorsitzende legt eine Kunstpause ein, hebt den Finger, sagt: „Dafür wählen wir Kretschmer in Sachsen …“, wartet ab und fährt mit Blick auf Merz grinsend fort: „… und einen von uns für Deutschland“.
Söder will nach Möglichkeit Kanzler werden, das hat er die letzten Wochen deutlich gemacht, in Dresden festigt er seinen Machtanspruch. Schwarz-Grün sei keine Option, bekräftigt er, und verbaut Merz damit eine wichtige Koalitionsoption für die Zukunft. Dahinter steckt Absicht. Wenn es mit den Grünen nicht geht, bleibt für die Union vermutlich nur die SPD als Koalitionspartner. Die Sozialdemokraten sind in den Augen des Bayern Knetmasse, aus der er bei Bedarf Figuren formen kann, die sich gegen die CDU in Stellung bringen lassen. Der unionsinterne Streit über die richtige Asylpolitik zu Zeiten der letzten GroKo hat beispielhaft gezeigt, wie lange die CSU ihre große Schwester vor sich hertreiben kann.
Friedrich Merz macht einen Witz
Merz‘ persönliche Umfragewerte sind im Gegensatz zu denen der Partei schlecht, Auftritte wie der in Dresden sollen sie verbessern. Als er nach rund 25-minütiger Söder-Rede aus dem Schatten tritt, versucht er es zunächst mit einem Witz. „Es heißt ja allgemein, dass ein Bart einen Mann etwas älter macht. Also vielen Dank, dass ihr so ein bisschen aufgeholt habt zu mir“, sagt er mit Blick auf die Gesichtsbehaarungen von Söder und Kretschmer. Die Heiterkeit beim Publikum hält sich in Grenzen.
Als Oppositionsführer im Bundestag kann Merz Regierungschef Olaf Scholz die Zusammenarbeit für den Fall anbieten, dass der „den Koalitionszwang“ aufhebt. Solche Offerten sind Söder verwehrt und Merz könnte womöglich mehr aus seiner Rolle als Fraktionschef machen. Phasenweise gelingt das, dann lästert er, dass Robert Habeck doch kein Bundeswirtschaftsminister sei. „Der ist streckenweise der Bundesheizungsminister. Dann ist er zwischendurch der Bundeswärmepumpenminister.“ Den guten Eindruck stört er anschließend mit Sätzen wie: „Meine Damen und Herren, die dummen Redensarten, dass dies nicht möglich sei, sind alles dumme Redensarten.“
Merz redet zwar dem Regierungswechsel das Wort. Ob er eine neue Regierung als Kanzler anführen würde, dazu macht er im Gegensatz zu Söder nicht einmal eine Andeutung. Die beiden Parteichefs wollen sich nach der Brandenburg-Wahl am 22. September zusammensetzen und ausmachen, wer Spitzenkandidat für die nächste Bundestagswahl wird. Der CDU-Chef hat das Zugriffsrecht. Phasenweise wirkt es derzeit so, als ob er davon keinen Gebrauch machen will.
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