Da ist die Sache mit den Kühen und den Schweinen. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock umreißt damit das Fachgebiet ihres Co-Vorsitzenden Robert Habeck. „Ich komm eher aus dem Völkerrecht“, beschreibt Baerbock ihr Fachgebiet. Diese geistige Selbst- und Fremdverortung stammt aus einem Fernseh-Gespräch mit den beiden Politikern, das nicht mehr frisch ist.
Der Schnipsel aus dem vergangenen Jahr wurde wieder hervorgeholt und im Internet über die sozialen Medien gejagt. Der Eindruck, der dabei entstehen kann, ist gefährlich für Baerbock: Auf der einen Seite das Landei und ich die Völkerrechtlerin mit Abschluss einer berühmten Universität in London auf der anderen. Die Einschätzung Baerbocks mutet besonders anmaßend an, weil Habeck als der Philosoph unter den deutschen Politikern gilt.
Die Vergangenheit holt Annalena Baerbock ein
Davon abgesehen, ob die 40-Jährige wirklich auf Habeck hinabschaut, zeigt die Episode eines: Wie brutal Wahlkampf ist und dass Baerbock Mühe hat, sich gegen diese Härte zu behaupten. Alles, was sie irgendwann einmal zu einem beliebigen Thema gesagt hat, kann gegen sie verwendet werden. Die Vergangenheit holt Baerbock gerade mehrfach ein.
Beispiel 2: Im Jahr 2018 sprach sie sich in einem Interview dagegen aus, dass Deutschland Israel weiter mit U-Booten ausstattet. „In Krisenregionen sollen keine U-Boote geliefert werden, die dann umgerüstet werden können“, sagte die damals neue Parteichefin. Weil die Hamas dieser Tage einen Raketenhagel auf Israel niederprasseln lässt und die Sicherheit des Staates massiv gefährdet, gerät Baerbock drei Jahre nach dem Interview unter Zugzwang.
Beispiel 3 hat mit Beispiel 1 zu tun: Die Kanzlerkandidatin bezeichnet sich selbst als Völkerrechtlerin. Auf den sozialen Netzwerken wurde in Zweifel gezogen, ob sie sich überhaupt so nennen darf, weil sie keine klassische juristische Ausbildung in Deutschland absolviert hat. Die Pressestelle ihrer Partei sah sich genötigt, das Abschlusszeugnis der renommierten London School of Economics zu veröffentlichen.
In der Sache war der Vorwurf ihrer Gegner kleinlich, aber er fügt sich ein in die Zermürbungen, die ein Wahlkampf mit sich bringt. Bei Baerbock zeigen die Attacken erste Wirkungstreffer. In einem TV-Duell mit Olaf Scholz kam sie kaum aus der Deckung und Scholz zeigte geschickt, wie sich seine enorme Erfahrung im Umgang mit Medien auszahlt.
Plötzlich sitzt Kanzlerkandidatin Baerbock im Glashaus
Am schädlichsten für Baerbock ist aber Beispiel 4. Als Parteichefin hat sie über drei Jahre Sonderzahlungen erhalten, die Einkünfte aber nicht bei der Bundestagsverwaltung angegeben. Insgesamt geht es laut Grünen um 25.000 Euro. Der Vorfall hat nicht die Qualität der Maskenaffäre bei CSU und CDU, auch wenn nach ihr auch noch Ex-Parteichef Cem Özdemir dem Bundestag Sonderzahlungen nachgemeldet hat: vergessene Weihnachtsgelder für die Jahre 2014 bis 2017 in Höhe von insgesamt 20.580,11 Euro. Aber das Skandälchen ist für die Ambitionen Baerbocks mehr als misslich, weil ihr Nimbus darauf aufbaut, moralisch sauber zu sein. Sie hatte die Maskengeschäfte bei der Union gegeißelt und sitzt nun selbst im Glashaus. Unglücklich für sie ist daran auch, dass ihre Partei die Nebeneinkünfte erst veröffentlichte, als die Bild-Zeitung darüber berichtete.
Wie sich die Mischung aus wahltaktischen Angriffen und eigenen Fehlern auf die Wähler auswirkt, hat sich noch nicht herauskristallisiert. In den jüngsten Umfragen konnten CDU und CSU wieder zu den Grünen aufschließen, die ihnen zwischenzeitlich enteilt waren. Nachdem sie sich gegen Habeck durchgesetzt hatte und Mitte April zur Kanzlerkandidatin ausgerufen wurde, überstrahlte sie die Konkurrenz.
Armin Laschet und Markus Söder lieferten sich einen offenen Machtkampf und SPD-Spitzenmann Olaf Scholz hatte Mühe, überhaupt noch vorzukommen. Vier Wochen später ist vom Überstrahlen der anderen schon nur noch ein matter Schein übrig. Martin Schulz von der SPD wurde vor vier Jahren von St. Martin zum Kandidaten geschrumpft, der das schlechteste Ergebnis seit dem Krieg einfuhr. Dass es so schlimm für Baerbock kommt, steht nicht zu erwarten. Allerdings wird sie nicht an den früheren Wahlergebnissen gemessen werden, sondern an den Höhenflügen in den Umfragen.
Die Grünen und das Stigma der Verbotspartei
Dass neben Corona der Klimaschutz als zweites Großthema mittlerweile die Agenda dominiert, ist ein Vorteil für die Grünen. Sie genießen beim Kampf gegen die Erderwärmung die größte Glaubwürdigkeit. Der Umwelt- und Klimaschutz ist ihr Kern. Die anderen Parteien wissen das. Ihr Joker ist ein Malus, den sie den Grünen schon einmal erfolgreich angehängt haben: Verbotspartei.
Damals ging es um den Veggie-Tag in Kantinen, heute geht es um das Fliegen. Baerbock will Kurzstrecken- und Billigflüge abschaffen. Schon ist es wieder da, das Image als Verbotspartei, die Fliegen zu einem Privileg ihrer gut verdienenden Stammwähler machen will und auf die kleinen Leute wenig gibt.
Tatsächlich ist das Programm der Grünen wirtschaftspolitisch links gestrickt und nützt den Wählern mit kleinem und mittlerem Einkommen. Gleichzeitig fordern sie im Kampf gegen den Klimawandel drastische Schritte und schrecken auch vor Verboten nicht zurück. Für Baerbock ist es ein schmaler Grat, auf dem sie wandelt. Die Gefahr abzurutschen, ist beträchtlich.
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