27 Staaten vereinigen sich derzeit in der Europäischen Union (EU). Und damit unter der Flagge mit blauem Grund und den im Kreis angeordneten zwölf gelben Sternen. Bis zum "Brexit", also dem Austritt Großbritanniens Anfang 2020, waren sogar 28 Länder "in Vielfalt geeint", wie der Staatenbund es ausdrückt.
Auch nach dem Abschied des Vereinigten Königreichs umfasst die EU noch immer rund 450 Millionen Bürger. Weit mehr als die Hälfte der gesamten europäischen Bevölkerung. Zuletzt stieß mit Kroatien am 1. Juli 2013 ein neues Mitglied hinzu. Neun Jahre ist das her - die zweitlängste Zeitspanne zwischen Neuaufnahmen seit dem Beitritt der Briten, Iren und Dänen 1973.
Die Gründe für diesen Zeitraum ohne Expansion sind vielfältig. EU-Erweiterungen wollen mit Bedacht angegangen werden. Gerade bei einer schon so immensen Anzahl an Mitgliedern. Denn über allem steht natürlich, dass die EU mit einer Stimme spricht. Und sich nicht durch verschiedenste Meinungen gegenseitig blockiert, was immer wieder zu beobachten ist. Dazu kommt wohl auch der Hintergedanke, Russland und Wladimir Putin nicht zusätzlich zu erzürnen.
Selenskyj bekräftigt Wunsch auf EU-Aufnahme der Ukraine
Gerade die Ukraine, immerhin das flächenmäßig größte komplett in Europa liegende Land, dürfte aktuell deswegen kaum eine Chance auf einen EU-Beitritt haben. Auch wenn Kiew gerade angesichts des Kriegs lieber gestern als heute aufgenommen werden würde.
Bereits kurz nach der russischen Invasion hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj offiziell beantragt, Teil der EU werden zu können. Seither lässt er kaum eine Chance ungenutzt, sein Anliegen öffentlich zu bekräftigen.
Der Ukraine einen Schritt voraus sind die Türkei, Montenegro, Serbien, Albanien und Nordmazedonien, die allesamt als offizielle Beitrittskandidaten gelten. Bosnien und Herzegowina sowie der Kosovo werden als potenzielle Beitrittskandidaten geführt. Neben der Ukraine haben sich auch Georgien und Moldau - die beide immer wieder als mögliche nächste Angriffsziele Putins genannt werden - für einen Beitritt beworben, offiziell sind sie aber noch keine Kandidaten.
Laut den "Kopenhagener Kriterien" muss jedes Land für einen Beitritt drei Voraussetzungen erfüllen. Diese listet die Bundesregierung so auf:
- Politisches Kriterium: Institutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten.
- Wirtschaftliches Kriterium: Eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarktes standzuhalten.
- Acquis-Kriterium: Die Fähigkeit, sich die aus einer EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele zu eigen zu machen, das heißt: Übernahme des gesamten gemeinschaftlichen Rechts, des "gemeinschaftlichen Besitzstandes" (Acquis communautaire).
Bei Beitrittsverhandlungen werden 35 Kapitel abgearbeitet
Die Bedingungen für einen Beitritt werden zwischen Bewerber und EU in Abkommen festgelegt und dann kapitelweise ausgehandelt. Aktuell geht es um 35 Abkommen, in denen alle Rechtsbereiche abgebildet sind. So können sich die Verhandlungen über Jahre hinziehen.
Für einen Beitritt braucht es abschließend die absolute Mehrheit im Europäischen Parlament sowie ein einstimmiges Ja im Europäischen Rat. Schauen wir uns an, wie der Stand der Dinge bei den Bewerbern ist (Angaben laut Auswärtigem Amt):
- Türkei: Beitrittsverhandlungen 2005 aufgenommen, bis Mai 2022 nur das Kapitel "Wissenschaft und Forschung" abgeschlossen, 16 weitere der insgesamt 35 Verhandlungskapitel geöffnet.
- Montenegro: Antrag im Dezember 2008 gestellt, seit Dezember 2012 offizieller Beitrittskandidat, Verhandlungen begannen im Dezember 2013, mittlerweile sind alle 35 Verhandlungskapitel geöffnet.
- Serbien: Antrag im Dezember 2009 gestellt, im März 2012 offiziell zum Beitrittskandidaten aufgestiegen, seit Januar 2014 laufen die Verhandlungen, 18 der 35 Verhandlungskapitel sind seit Dezember 2019 geöffnet.
- Albanien: Antrag im April 2009 gestellt, im Juni 2014 als offizieller Beitrittskandidat anerkannt, Aufnahme der Verhandlungen wird zeitnah angestrebt.
- Nordmazedonien: Antrag im März 2004 gestellt, Status eines offiziellen Beitrittskandidaten seit Dezember 2005, Aufnahme von Verhandlungen bislang durch Bulgarien blockiert.
- Bosnien und Herzegowina: Antrag im Februar 2016 gestellt, im Mai 2019 nannte die EU-Kommission 14 Reformprioritäten (speziell im Justizbereich und der öffentlichen Verwaltung).
- Kosovo: noch kein offizieller Antrag gestellt, aber als Westbalkan-Staat besteht Perspektive für Beitritt.
- Ukraine: Antrag am 28. Februar 2022 gestellt, also vier Tage nach Beginn der russischen Invasion.
- Georgien: Antrag am 3. März 2022 gestellt.
- Moldau: Antrag am 3. März 2022 gestellt.
Der Überblick zeigt also, dass zwischen dem Antrag und einer möglichen Aufnahme Jahrzehnte vergehen können. Gerade hinsichtlich der Türkei deutet sich auch immer mehr an, dass die Verhandlungen am Ende nicht zu einem Erfolg führen könnten. Im Oktober 2021 würdigte die EU-Kommission den Beitrittskandidaten vom Bosporus als wichtigen Partner und lobte die Zusammenarbeit im Migrationsbereich, sah jedoch gravierende Rückschritte hinsichtlich der Menschenrechte oder des Justizsystems - hier entferne sich die Türkei immer weiter von der EU.