Die Sendung war noch nicht vorbei, als Amerikas bekanntester Fernsehkritiker den Daumen senkte. „BORING!!!“ (langweilig) urteilte Donald Trump auf seiner Propagandaplattform „Truth Social“. Angesichts der wilden Flut teils beleidigender Posts, die der republikanische Präsidentschaftskandidat vor dem Fernsehauftritt seiner Kontrahentin Kamala Harris abgesondert hatte, war das ein bemerkenswert einsilbiges und geradezu moderates Urteil.
Wer von dem aberwitzig gehypten ersten TV-Interview des neuen Superstars der US-Demokraten bahnbrechend neue Erkenntnisse oder sogar die Darlegung eines Regierungsprogramms erwartet hatte, könnte geneigt sein, dem Ex-Präsidenten recht zu geben. Netto gerade mal eine halbe Stunde dauerte die durch atmosphärische Kampagnen-Filmchen und Werbung aufgeblähte Befragung von Harris samt ihres Vize-Kandidaten Tim Walz in der Nacht zum Freitag beim US-Sender CNN. Moderatorin Dana Bash stellte eher pseudokritische Fragen ohne hartes Nachhaken. Und echte „Breaking News“ gab es nicht.
„Ich trete an, weil ich überzeugt bin, dass ich die beste Person für dieses Amt bin“
Dennoch dürfte der Auftritt aus Sicht der Harris-Kampagne fast optimal gelaufen sein: Die Kandidatin wirkte freundlich-ruhig, absolut souverän, wahrte eiserne Disziplin in ihren Kernbotschaften, entging diversen Fallstricken und widersetzte sich jedem Versuch, sie auf die Schiene der Identitätspolitik abzuschieben. Noch in der letzten Frage konfrontierte Bash sie gefühlig mit dem Foto ihrer Großnichte Amara Ajagu, die als schwarzes Mädchen die Parteitagsrede der ersten schwarzen Präsidentschaftskandidatin verfolgte. „Ich trete an, weil ich überzeugt bin, dass ich die beste Person für dieses Amt bin - unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht“, kommentierte Harris nüchtern die Szene.
Nicht nur in der Form kontrastierte der gesittete Auftritt der 59-Jährigen scharf mit den undisziplierten Poltereien, die Trump regelmäßig abliefert. Auch ihre Botschaften waren wohl bewusst als Antithesen zu denen des Ex-Präsidenten gesetzt. Gleich in der ersten Antwort brachte Harris ihre Schlagwörter vom „Weg nach vorne“, von „Hoffnung“ und „Optimismus“ unter und setzte sie gegen die „Herabsetzungen“ und die „Spaltereien“ von Trump. Dessen Versuch, ihre Zugehörigkeit zur Schwarzen Community in Frage zu stellen, kommentierte sie demonstrativ ungerührt mit Augenrollen: „Immer dieselbe müde alte Masche. Nächste Frage!“ Später erklärte sie dann, die Macht eines politischen Anführers messe sich für sie nicht daran, wen er niedermacht, sondern wie er Menschen aufrichten kann.
Kamala Harris: Nur wenig Konkretes zu ihren künftigen Plänen
Mit Spannung war erwartet worden, wie sich Harris zu Joe Biden verhalten würde, dessen Stellvertreterin sie seit dreieinhalb Jahren ist. Der 81-Jährige hat miserable Popularitätswerte. Eine Distanzierung hätte daher - obgleich heikel - nahegelegen. Doch Harris entschied sich für Loyalität. Für ihren derzeitigen Chef und dessen Charakter hatte sie nur höchstes Lob parat. Auch hob sie mehrfach die gemeinsamen Erfolge hervor und beschrieb ihr Programm als eine Art Weiterentwicklung: „Wir haben gute Arbeit geleistet. Aber es ist mehr zu tun.“
Viel konkreter wurde es hinsichtlich ihrer Pläne nicht. Harris sprach von der Mittelschicht, die sie stärken wolle und wiederholte stichwortartig jene Vorhaben, die sie in den vergangenen Wochen - ohne Details - gebetsmühlenartig vorträgt: eine Ausweitung des Kinderfreibetrags, Zuschüsse zum Immobilienerwerb und Maßnahmen gegen angeblichen Preiswucher im Lebensmittelhandel. Abrupte eigene Positionswechsel etwa beim Fracking, das Harris 2019 noch verbieten wollte, und in der Migrationspolitik, wo sie nun demonstrativ eine wesentlich härtere Linie als in der Vergangenheit vertritt, spielte die Kandidatin mit der Bemerkung herunter: „Meine Werte haben sich nicht verändert.“
Obama erklärt Harris zu seiner „rechtmäßigen Erbin“
Sie wolle die Präsidentin aller Amerikaner sein, hatte Harris schon bei früherer Gelegenheit erklärt. In dem Interview vermied sie jeden Anschein einer linken Agenda. Sie betonte den Wert des Konsenses und kündigte an, im Falle eines Wahlsiegs einen Kabinettsposten mit einem Republikaner besetzen zu wollen - ein taktisch kluger Schachzug, der bei Wechselwählern Eindruck machen könnte. Ungewöhnlich ist das historisch nicht, doch weder Trump noch Biden haben ein solches überparteiliches Signal gewagt. Der letzte „Brückenbauer“ war Barack Obama gewesen, der 2013 den Republikaner Chuck Hagel zu seinem Verteidigungsminister machte.
Schon am Vortag hatte Obama die Kandidatin zumindest modemäßig zu seiner rechtmäßigen Erbin erklärt, als er bei „X“ ein historisches Foto von sich und ein aktuelles von Harris im beigefarbenen Blazer mit dem Kommentar „How it started. How it‘s going“ (Wie es begann. Wie es weitergeht) postete. Mit dem fehlerfreien Interview setzte sich die aktuelle Erfolgssträhne von Harris fort.
Nur an der Optik müssen ihre Berater noch etwas arbeiten. Am Cafe-Tisch nach hinten versetzt neben ihrem Vize Walz schien die 1,64 Meter große Politikerin wie auf einem Kindersitz zu hocken. Umso eindrucksvoller widerlegte sie das von der Trump-Kampagne verbreitete Narrativ, dass sie ihren bodenständigen, aber eindeutig politisch unerfahreneren Stellvertreter als Aufpasser oder Souffleur brauche.
Endlich mal wieder ein substantiierter, informativer und gut geschriebener Artikel zur Tagespolitik, der sich vom Geschreibsel der Rechtspresse absetzt.
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