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Kachowka-Staudamm gesprengt: Was bekannt ist

Ukraine

Zerstörter Kachowka-Staudamm: Was bekannt ist – und was nicht

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    Dieses vom ukrainischen Präsidialamt über AP veröffentlichte Videostandbild zeigt Wasser, das durch einen Durchbruch im Kachowka-Staudamm fließt.
    Dieses vom ukrainischen Präsidialamt über AP veröffentlichte Videostandbild zeigt Wasser, das durch einen Durchbruch im Kachowka-Staudamm fließt. Foto: Ukrainian Presidential Office, AP/dpa

    In der Nähe der ukrainischen Stadt Nowa Kachowka sind ein Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk durch eine Explosion zerstört worden. Die Anlage liegt im von russischen Truppen besetzten Gebiet Cherson im Süden der Ukraine. Wassermassen strömten aus der Mauer und überschwemmten zahlreiche Ortschaften. Die Umstände der Tat sind nicht geklärt. 

    Worum handelt es sich beim Kachowka-Staudamm in der Ukraine?

    Die Staumauer ist die sechste und letzte Staustufe am Lauf des Dnipro vor der Mündung ins Schwarze Meer. Die Anlage wurde Mitte der 1950er Jahre in Betrieb genommen und sorgte dafür, dass der Fluss beschiffbar ist. Auf 200 Kilometern Länge wurden zwischen den Städten Saporischschja und Nowa Kachowka rund 18 Milliarden Kubikmeter Wasser aufgestaut. Das Wasser wurde zur Bewässerung zahlreicher Regionen im Süden und bis hin zur Krim genutzt. 

    Was sind die Folgen des Staudamm-Bruchs bei Nowa Kachowka?

    Die Wassermengen, die mit hoher Geschwindigkeit über die Bruchstelle fließen, erfordern die Evakuierungen von Ortschaften entlang des Dnipro. Die Gebietshauptstadt Cherson, Nowa Kachowka und mindestens acht weitere Orte stehen nach Angaben ukrainischer Behörden teilweise oder vollständig unter Wasser. Insgesamt gelten rund 80 Ortschaften als von Überschwemmungen bedroht. Wissenschaftler der Hochschule Magdeburg-Stendal haben in einer frühen Modellierung errechnet, dass 60 000 Menschen betroffen sein könnten, etwa ein Drittel davon gefährdet. Dem Gouverneur des Verwaltungsgebiets Cherson, Olexander Prokudin, zufolge sind 16 000 Menschen in der Gefahrenzone. Die EU sprach von Hunderttausenden Zivilisten, deren Leben gefährdet sei. Zunächst gab es keine Informationen über mögliche Verletzte.

    Des Weiteren sind durch die Sprengung über 150 Tonnen Maschinenöl in den Fluss gespült worden. Bei einer nationalen Sicherheitskonferenz, die Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag einberief, hieß es, dass weitere 300 Tonnen Öl austreten könnten. Die aus dem Bereich vor der Staustufe ausströmenden Wassermassen haben auch Folgen für das Atomkraftwerk Saporischschja: Der Wasserstand im Reservoir, aus dem Wasser für die Kühlsysteme bezogen wird, sinkt. 

    Noch stünde dem AKW ein intaktes Kühlbecken, das nicht mit dem Stausee verbunden ist, zur Verfügung, aus dem Wasser entnommen werden kann, um die Überhitzung der Reaktorkerne zu verhindern, sagte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Rafael Grossi. Er betonte, dass dieses Kühlbecken nicht beschädigt werden dürfe. Eine unmittelbare Bedrohung des Kraftwerkbetriebs durch die Zerstörung des Staudamms sehen Experten nicht.

    Mit Problemen bei der Wasserversorgung müsse nach Angaben des russischen Besatzungschefs von Nowa Kachowka die Bevölkerung auf der 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim rechnen. Der Kachowka-Stausee dient der Region als Wasserreservoir. Auch Ortschaften stromaufwärts könnten betroffen sein, wenn das riesige Wasserreservoir etwa für die Landwirtschaft fehlt. Zudem könnte die Zerstörung des Wasserkraftwerks zu den Energieproblemen der Ukraine beitragen.

    Wer ist für die Sprengung des Kachowka-Staudamms verantwortlich?

    Wer für die Sprengung der Staustufe verantwortlich ist, konnte bisher nicht ermittelt werden. Selenskyj bezichtigte die russische Regierung, die Explosion herbeigeführt zu haben. "Russland hat eine ökologische Massenvernichtungswaffe gezündet", sagte er bei einer Sicherheitskonferenz in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, zu der er per Video zugeschaltet war. Russland hingegen behauptet, die Ukraine habe den Damm selbst durch Beschuss zerstört. Der ukrainische Präsident wies diesen Vorwurf zurück und erklärte, es sei unmöglich, den Damm durch Beschuss von außen zu sprengen. Stattdessen hätten russische Truppen die Anlage vermint und sie gesprengt, um die ukrainische Gegenoffensive zu bremsen, sagte Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak. Keine der beiden Seiten legte bislang Beweise vor.

    Die Flut könnte den Unterlauf des Dnipro unpassierbar machen. Somit verkürzt sich für die russischen Truppen die Frontlinie, an der sie von ukrainischen Truppen angegriffen werden könnten. Das würde Russland die Verlegung von Truppen in Gebiete, in denen sie bedrängt sind, ermöglichen. Die ukrainischen Streitkräfte zeigten sich jedoch entschlossen, mit der Rückeroberung der besetzten Gebiete fortzufahren. 

    Westliche Staaten teilen die Sicht der Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz warf Russland vor, zunehmend zivile Ziele anzugreifen. Er sagte: "Das ist ja auch etwas, das sich einreiht in viele, viele der Verbrechen, die wir in der Ukraine gesehen haben, die von russischen Soldaten ausgegangen sind." Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Dies ist eine ungeheuerliche Tat, die einmal mehr die Brutalität von Russlands Krieg in der Ukraine demonstriert." Der britische Außenminister James Cleverly spricht von einem "Kriegsverbrechen".

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