Das Bayerische Justizministerium gerät nach Vorwürfen wegen möglicher Häftlingsmisshandlungen in der JVA Augsburg-Gablingen unter Druck. Die Anwälte der Vize-Gefängnischefin, gegen die auch ermittelt wird, haben Ministerpräsident Markus Söder (CSU) aufgefordert, dem Justizministerium die Befugnis zur weiteren Prüfung und Ermittlung von Vorwürfen im Zusammenhang des Gefängnisses zu entziehen.
In dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, begründen sie das damit, dass das Ministerium eingeräumt habe, schon seit einem Jahr von Vorwürfen das Gefängnis betreffend gewusst zu haben. „Wer aber von möglichen Missständen bei der Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen weiß und darüber informiert ist, dass weiterhin Unterbringungen in solchen Hafträumen stattfinden, gleichzeitig aber keine Maßnahmen ergreift, die etwaige Missstände sicher ausschließen, bei dem steht eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen im Raum“, so die Anwälte Holm Putzke und Alexander Stevens in dem Schreiben. Weiter heißt es darin: „Solange insoweit ein dringender Tatverdacht nicht zweifelsfrei ausgeräumt ist, darf eine selbst betroffene Behörde nicht weiter in die Ermittlungen involviert werden.“ Es bestehe sonst Verdunklungsgefahr. Es stehe zu befürchten, so Putzke und Stevens, dass das Justizministerium bei den aktuellen Ermittlungen nicht unparteiisch agiere und „versuchen könnte, die eigene Verantwortung herunterzuspielen oder gar von ihr abzulenken.“
Anwälte der JVA Gablingen-Vizechefin erstatten Anzeige gegen Unbekannt
Die Anwälte der Vize-Gefängnischefin gehen weiter in die Offensive. Nach eigenen Angaben haben sie eine Anzeige gegen Unbekannt „wegen des dringenden Tatverdachts einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen“ bei der Münchner Staatsanwaltschaft erstattet. Zudem haben sie der Staatskanzlei einen Fragenkatalog zukommen lassen, der 20 Punkte umfasst. Darin hinterfragen sie unter anderem die Praxis der Aufsicht über die Anordnung von Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen. In diesen speziellen Zellen im Keller der JVA Gablingen sollen Häftlinge, wie berichtet, nicht nur nackt auf blankem Boden gelegen haben, teils ohne Licht, ohne Essen. In manchen Fällen soll kein Grund für diese Unterbringung vorgelegen haben, Vorwürfe von Misshandlungen stehen im Raum.
Eine Sprecherin des Justizministeriums teilte am Montagabend mit, das Justizministerium sei Rechts- und Fachaufsichtsbehörde gegenüber den Justizvollzugsanstalten und damit im Rahmen der Dienstaufsicht zuständig für die Überprüfung der Vorwürfe im Zusammenhang mit der JVA Augsburg-Gablingen. „Diese Aufgabe nimmt das Justizministerium wahr.“
Justizminister Eisenreich gibt heute Pressekonferenz
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) will am Donnerstagvormittag über den Stand der Ermittlungen informieren. Zudem will er am 7. November im Landtagsausschuss für Verfassung und Recht Bericht erstatten, wie das Ministerium mitteilte. Die im Raum stehenden Vorwürfe seien gravierend und müssten rückhaltlos aufgeklärt werden, so Eisenreich. „Straftaten im Justizdienst sind inakzeptabel.“
Zuvor hatten Oppositionsparteien Kritik am Vorgehen des CSU-geleiteten Ministeriums geäußert. Die Grünen-Fraktion im Landtag richtete einen langen Fragenkatalog an die Staatsregierung. „Wenn man sich alles ansieht, was bisher bekannt ist, ist es schon schwer irritierend, dass nicht viel früher eine intensive Kontrolle in der betreffenden JVA stattgefunden hat“, sagte Toni Schuberl, Sprecher für Recht. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, hätten „nicht nur einzelne Menschen, sondern das ganze System versagt“.
Die Sprecherin für Recht und Justiz der SPD-Landesgruppe Bayern im Bundestag, Carmen Wegge, sprach von einem Skandal: „Warum wurde nicht schneller eingegriffen? Was haben er und sein Ministerium getan, als es von den Misshandlungen Kenntnis hatte?“
Justizskandal um Gefängnis bei Augsburg: Vorwürfe schon länger bekannt
Am Wochenende waren Ermittlungen zu Vorwürfen wegen möglicher Häftlingsmisshandlung gegen mehrere Mitarbeiter der JVA Augsburg-Gablingen bekanntgeworden. Wie viele Beschuldigte es sind, sagten weder die Staatsanwaltschaft Augsburg noch das Justizministerium. Das bestätigte allerdings, dass Disziplinarmaßnahmen gegen die Beschuldigten eingeleitet und Betretungsverbote für die JVA verhängt wurden. Zudem räumte das Ministerium ein, bereits seit einem Jahr Kenntnis von den Vorwürfen zu haben.
Bei den Ermittlungen geht es um den Anfangsverdacht der Körperverletzung im Amt. Zu den Beschuldigten gehört auch die stellvertretende Leiterin des Gefängnisses, die die Vorwürfe über ihre Anwälte entschieden zurückwies. In Untersuchungshaft sitzt keiner der Beschuldigten, auch keiner der verdächtigen Wärter, sie lassen sich aber anwaltlich vertreten. Nach Recherchen unserer Redaktion waren die neun beschuldigten Mitglieder der Sicherungsgruppe (SIG) in den Tagen nach der ersten Razzia im Gefängnis auf der Suche nach Verteidigern. Was normalerweise angesichts der Vielzahl von Strafverteidigern in Augsburg kein Problem ist, gestaltete sich in dieser speziellen Konstellation etwas schwieriger: Einige Augsburger Anwälte vertreten mutmaßliche Opfer, aktuelle oder frühere Insassen also, die angeben, unter den Zuständen in der JVA Augsburg-Gablingen gelitten zu haben; viele Juristen befinden sich in einem möglichen Interessenskonflikt. Unsere Redaktion hat verschiedene Verteidiger von Verdächtigen kontaktiert, um zu erfahren, wie ihre Mandanten die Vorwürfe gegen sich sehen. Bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung. Die angefragten Verteidiger wollen sich aber durch die Bank bislang nicht zu dem Verdacht gegen die beschuldigten Männer äußern. Für eine Stellungnahme, sagt einer der Juristen, sei es zum jetzigen Verfahrensstand viel zu früh. (mit dpa)
Anmerkung: Alle weiteren Texte zum Fall finden Sie hier.
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