Millionen Autofahrer haben diese Situation schon erlebt. Beim Ausparken den Abstand falsch eingeschätzt und dadurch dem davor oder dahinter parkenden Auto eine kleine Beule verpasst. Es ist eine Bagatelle, die in Frankreich oder Italien achselzuckend hingenommen wird.
In Deutschland ist das anders. Hier kostet die Bagatelle rasch mehrere hundert Euro und kann ernste rechtliche Folge haben. Wer einfach davonfährt, macht sich der Fahrerflucht schuldig. Aber muss wegen einer kleinen Beule oder eines Kraters wirklich die Polizei gerufen werden? Oder reicht vielleicht ein unter die Scheibenwischer geklemmter Zettel mit Anschrift und Telefonnummer, um dann weiterfahren zu können? Nicht unbedingt, verlangt ist eine angemessene Wartezeit am Unfallort, die aber gesetzlich nicht definiert ist.
Strafe für Fahrerflucht: Maximal drei Jahre Gefängnis
Auf Fahrerflucht stehen bis zu drei Jahre Haft, was aber eine seltene Höchststrafe ist. In der Praxis verhängen die Gerichte vielmehr Geldstrafen oder ordnen den Entzug des Führerscheins an. Bundesjustizminister Marco Buschmann will das ändern und das Vergehen entkriminalisieren. Die Fahrerflucht soll zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. Der Grund: Der FDP-Minister will die Justiz entlasten. Die Folge: Die Geldstrafen fielen deutlich geringer und ein mögliches Fahrverbot kürzer aus.
Der Richterbund müsste eigentlich darüber erfreut sein, dass die Justiz von Arbeit befreit wird. Doch tatsächlich hält der Verband Buschmanns Idee für einen Fehler. „Aus Sicht des Deutschen Richterbunds wäre es rechtspolitisch verfehlt, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort nach reinen Sachschäden zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen“, sagte Richterbund-Geschäftsführer Sven Rebehn unserer Redaktion.
Er begründet es damit, dass Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr häufig eher als Bagatelldelikt wahrgenommen würden. Warte- oder Meldebereitschaft könnten dadurch sinken. Auf gut Deutsch: Der Richterbund befürchtet, dass sich dann noch mehr Beulenmacher als heute aus dem Staub machen. „Die wirtschaftlichen Auswirkungen für den Geschädigten können daher gravierend sein, insbesondere, wenn er nicht über eine Vollkaskoversicherung verfügt“, heißt es in der Stellungnahme des Bundes zu Buschmanns Vorstoß. Sie liegt unserer Redaktion exklusiv vor.
Nicht weniger, sondern mehr Belastung für die Justiz
Der Verband der Richter und Staatsanwälte bezweifelt zudem den eigentlichen Zweck von Buschmanns Plan – die Entlastung von Richtern, Staatsanwälten und Polizei. Im Gegenteil. „Auf die Gerichte käme vermutlich sogar mehr Arbeit zu“, sagte Rebehn. Heute ist es so, dass die meisten Fälle durch die Staatsanwaltschaften vorbereitet werden und zu einem großen Teil mit der Einstellung des Verfahrens enden, weil der Verursacher des Schadens nicht ermittelt werden kann.
Wenn der Justizminister mit seiner Reform Erfolg hat, werden die Ordnungsbehörden einen Bußgeldbescheid erlassen. Der Richterbund rechnet damit, dass diesen viele Unfallfahrer gerichtlich überprüfen lassen würden, gerade wenn ein Fahrverbot im Raum steht. „Im Ergebnis würden deutlich mehr Einspruchsverfahren bei den Amtsgerichten und anschließende Rechtsbeschwerden bei den Oberlandesgerichten landen“, erwartet Rebehn.
Marco Buschmann hatte sich Ende April das erste Mal zur Novelle des Fahrerfluchtparagrafen geäußert. „Dabei soll der Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die Entlastung der Justiz gelegt werden“, hatte der FDP-Politiker seinerzeit erklärt. Er betonte, dass zunächst geprüft werden solle, ob eine Änderung der Bestimmung Sinn ergebe.
Schätzungen gehen von 250.000 Fahrerflucht-Fällen pro Jahr aus
Einer Idee Buschmanns kann der Richterbund etwas abgewinnen. Der Justizminister kann sich vorstellen, dass künftig Blechschäden vom Verursacher über eine standardisierte Onlinemaske inklusive Fotos gemeldet werden. Dann könnte die Wartezeit entfallen und die Polizei müsste auch nicht mehr kommen. „Allerdings müssten dafür zunächst bundesweit einheitliche digitale Meldewege aufgebaut werden, die verlässlich funktionieren und einfach zu nutzen sind“, forderte Rebehn.
Wie oft sich Autofahrer nach einem Rempler eines anderen Wagens auf und davon machen, darüber gibt es naturgemäß keine Zahlen. Schätzungen gehen von 250.000 Fällen pro Jahr aus. So ganz scheint der Justizminister wegen der Kritik selbst nicht mehr an seinen Vorschlag zu glauben. „Wir prüfen verschiedene Optionen. Selbst der Vorschlag, der gerade kursiert, führt nicht dazu, dass Fahrerflucht künftig erlaubt ist“, teilte sein Ministerium über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.