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Jubiläum: Seit 75 Jahren ist die WHO Heilerin einer Welt in Not

Jubiläum

Seit 75 Jahren ist die WHO Heilerin einer Welt in Not

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    Die Corona-Pandemie war eine der größten Herausforderungen für die WHO.
    Die Corona-Pandemie war eine der größten Herausforderungen für die WHO. Foto: Artur Widak, dpa

    Es war im September 1947, als die Cholera Ägypten heimsuchte. Die Seuche wütete besonders schlimm in den dicht besiedelten Armenvierteln. Ein Schiff mit Pilgern durfte den Hafen von Suez nicht verlassen. Die Durchfallerkrankung raffte mehr als 10.000 Menschen dahin. Am Kampf gegen die Cholera beteiligte sich auch die Vorgängerin der noch nicht bestehenden Weltgesundheitsorganisation: die sogenannte Interimskommission der WHO. Ihre medizinische Hilfe verhinderte eine noch höhere Opferzahl. Der Cholera-Ausbruch machte noch einmal klar: Bei Gesundheitskrisen ist internationale Zusammenarbeit überlebenswichtig.

    Kurz darauf war es so weit: Am 7. April 1948 startete die neue Weltgesundheitsorganisation ihre Mission als Heilerin der Welt. Die WHO-Verfassung trat vor 75 Jahren in Kraft. Zuvor hatte eine Staatenkonferenz die Charta beschlossen. Die internationale Koordinierungsbehörde für öffentliche Gesundheit mit Sitz in Genf sollte nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Ära mitgestalten, eine Ära zum Wohle der Menschen. So lautete das Credo der Gründerstaaten. „Die Gesundheit aller Völker ist eine Grundbedingung für den Weltfrieden“, heißt es in der WHO-Verfassung. Der Zweck der WHO „besteht darin, allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen“.

    Der Menschheit gelang ein Sieg gegen die Pocken

    Anlässlich des 75. Jubiläums listet der jetzige Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus WHO-Erfolge auf. So half die Anti-Tabak-Konvention von 2005, das krebserregende Rauchen einzudämmen. Impfkampagnen bewahrten Millionen Erdenbewohner vor dem frühen Tod. Eine dieser Kampagnen führte 1979 zur Ausrottung der Pocken, eine tausende Jahre alte Geißel. Allein im 20. Jahrhundert starben 300 Millionen Menschen an

    Und doch bietet der 75. Geburtstag der WHO keinen Grund zu Jubelfeiern. Die Corona-Pandemie ist immer noch nicht überstanden. Malaria, HIV-Aids und andere Krankheiten lassen sich nicht ausmerzen. Auch steckt der WHO die Ebola-Seuche in Westafrika noch in den Knochen: Sie forderte ab 2013/2014 rund 11.300 Menschenleben. Peter Piot, der Mitentdecker des Ebola-Erregers, warf der WHO vor, angesichts der Ebola-Gefahr viel zu spät „aufgewacht“ zu sein.

    Zudem schlagen in der Bilanz diverse Skandale zu Buche. So musste die Weltgesundheitsorganisation in diesem März neue Richtlinien gegen sexuelle Übergriffe festlegen: Mitarbeiter hatten während eines Ebola-Ausbruchs in der Demokratischen Republik Kongo Frauen missbraucht. Die Organisation gab „abscheuliche“ Fälle zu. Auch die Partnerschaft mit dem umstrittenen Weltfußballverband Fifa sorgt für Kopfschütteln. 

    Eigentlich hatte WHO-Chef Tedros bei seinem Amtsantritt 2017 in Genf einen Aufbruch versprochen. Tedros, früherer Außen- und Gesundheitsminister Äthiopiens, übernahm als erster Afrikaner den Job des Generaldirektors. Der Malaria-Experte gelobte damals, aus der schwerfälligen, überbürokratisierten Organisation eine „effektive, transparente und verantwortliche Agentur“ zu formen. Unter Tedros schickt die Organisation mit 194 Mitgliedsländern und 8.000 Mitarbeitern mehr und mehr Hilfsteams in Krisen- und Konfliktgebiete wie zum Beispiel die Ukraine. 

    Große Teile der Menschheit sind von Gesundheitsversorgung ausgeschlossen

    Auf seine Prioritätenliste setzte Tedros ein ehrgeiziges Ziel: „Gesundheit für alle“. Jeder Mensch soll bis 2030 Zugang zu gesundheitlicher Grundversorgung haben. Noch immer aber sind große Teile der Erdbevölkerung von der Versorgung ausgeschlossen. Zumal in den armen Ländern selbst prinzipiell heilbare Leiden wie Tuberkulose oft das Todesurteil bedeuten. An der bakteriellen Infektionskrankheit starben 2021 rund 1,6 Millionen Menschen.

    Die Niederlagen im Kampf für eine gesunde Welt liegen auch in der Unterfinanzierung der WHO begründet. Für die zwei Jahre 2022 und 2023 beläuft sich der globale Programm-Haushalt auf 6,7 Millionen US-Dollar (6,2 Millionen Euro). Das entspricht in etwa dem Budget eines großen Krankenhauses in den USA. Zudem manövrierte sich die WHO in eine gefährliche finanzielle Abhängigkeit von der Stiftung des Milliardärs Bill Gates. Mitarbeiter monieren, dass sich der fachfremde Unternehmer durch seine Zuwendungen zu viel Einfluss in Gesundheitsfragen gesichert habe.

    Tedros hingegen kann einen Doktortitel in öffentlicher Gesundheit vorweisen. Zu Beginn seiner Amtszeit 2017 warnte er vor möglichem Unheil: „In der heutigen, verflochtenen Welt können Krankheiten und Epidemien jeden und überall bedrohen.“ Die Voraussage bewahrheitete sich auf tragische Weise Ende 2019. Aus China kommend, nahm die Corona-Pandemie ihren tödlichen Lauf: Millionen Infizierte überlebten die Krankheit Covid-19 nicht. Die Menschheit erlebte ihre schlimmste Gesundheitskrise seit Jahrzehnten. Mittendrin stand die Weltgesundheitsorganisation – und sie kam immer stärker unter Beschuss.

    Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), beim Besuch einer Notunterkunft im türkisch-syrischen Grenzgebiet.
    Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), beim Besuch einer Notunterkunft im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Foto: Anas Alkharboutli, dpa

    Die WHO übernahm in Einklang mit den internationalen Gesundheitsvorschriften koordinierende Aufgaben. Sie trieb die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19 voran. Sie lieferte Schutzbekleidung. Sie trainierte Pflegekräfte. Sie gab Empfehlungen. Im Krisenzentrum der WHO, bekannt als SHOC Room (Strategic Health Operations Centre), tief unter der Genfer Zentrale, beobachteten der WHO-Chef und sein Team auf Monitoren den Vormarsch des Erregers. Doch büßte die Organisation durch Ungeschicklichkeiten und Versäumnisse Glaubwürdigkeit und Autorität ein – ihr wichtigstes Kapital. 

    Kritik am Verhältnis der WHO zu China

    Die gröbsten Schnitzer unterliefen der Führung in ihrem Verhältnis zu China, dem Ursprungsland des Corona-Erregers. Tedros überschüttete das autoritär regierte Reich der Mitte zu Beginn der Covid-Krise mit Lob, auch für seine „Transparenz“. Noch Ende Januar 2020 behauptete er: „China setzt derzeit neue Maßstäbe bei der Reaktion auf einen Ausbruch.“ Tatsächlich unterdrückte China wichtige Informationen, zensierte Berichte, hielt Material zurück – etwa über den genetischen Code des Erregers. „Die WHO war ein Opfer dieser Zensur, wie so viele andere auch“, erklärte Kenneth Roth, damals Exekutivdirektor von Human Rights Watch.

    Für den 2020 regierenden US-Präsidenten Donald Trump erwiesen sich die WHO und Peking als ideale Sündenböcke. So lenkte er von eigenem Versagen im Kampf gegen die Pandemie ab. Trump beschuldigte die Organisation, sie habe „schwerwiegend versagt und die Ausbreitung des Corona-Erregers vertuscht“. Trump leitete den Austritt der USA aus der WHO ein. Erst mit Joe Biden als US-Präsident kehrte wieder Normalität in das Verhältnis Washingtons zur WHO ein. Biden stoppte den Austrittsprozess seines Landes. Und Tedros schaffte 2022 in der Weltgesundheitsversammlung trotz der Pandemie seine Wiederwahl. Seitdem wirbt Tedros für die Verabschiedung eines Pandemievertrages: Das Abkommen soll die Welt und ihre Gesundheitsorganisation besser für einen neuen Seuchenausbruch rüsten. 

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