Es kommt auf jedes Wort, auf jede Silbe an, wenn eine im italienischen Neofaschismus sozialisierte Regierungschefin über die Vergangenheit spricht. Gelegenheit war dazu am vergangenen Sonntag, dem 80. Jahrestag des NS-Massakers in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom mit 335 Opfern. Wie würde sich Giorgia Meloni der Erinnerung diesmal stellen, nachdem sie bereits im vergangenen Jahr einen Fauxpas begangen hatte?
Anlässlich der Gedenkfeiern hatte Italiens Premierministerin behauptet, die unschuldigen Opfer seien damals nur getötet worden, „weil sie Italiener waren“. Das ist nachweislich falsch, da die SS-Männer in Rom am 24. März 1944 Dutzende Mitglieder des antifaschistischen Widerstands und 75 Juden in den Tuffsteinhöhlen vor den Toren Roms erschossen. Diesmal bezeichnete Meloni die Aktion als „schreckliches von den nazistischen Besatzungstruppen begangenes Massaker“ – und sparte Kritikern zufolge erneut einen wichtigen Aspekt aus: die Beteiligung der italienischen, faschistischen Kollaborateure.
Der Chef des Partisanenverbands kritisiert die Regierungschefin
„Meloni spricht nicht von der Verantwortung der italienischen Faschisten“, sagte Gianfranco Pagliarulo, Vorsitzender des Partisanenverbands ANPI. „Sie sagt auch nicht, dass die meisten Opfer Antifaschisten und Juden waren.“ Wieder einmal lasse Meloni wichtige Elemente aus. „Sie bekommt es einfach nicht über die Lippen, dass die Opfer von den Nazis und den Faschisten ermordet wurden, weil sie Antifaschisten waren“, kritisierte Nicola Fratoianni, Parlamentsabgeordneter der italienischen Linkspartei.
Es ist historisch erwiesen, dass die faschistische Polizei in Rom 50 Menschen auf die Todesliste setzte. Das Massaker war von den NS-Besatzern als eine abschreckende Vergeltungsmaßnahme für einen Bombenanschlag von Partisanen am Vortag gegen ein Polizeiregiment in Rom geplant, bei dem 33 Mitglieder starben. Auch Historiker kritisierten Melonis Stellungnahme. „Es fehlen zwei entscheidende Worte, Faschismus und Antifaschismus“, sagte der Historiker Davide Conti. Im Januar am Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz hatte Meloni noch explizit den „Nazifaschismus“ verdammt und sich damit auch von ihren eigenen politischen Ursprüngen distanziert.
Die Meloni-Partei Fratelli d'Italia hat faschistische Wurzeln
Am Massaker in den Ardeatinischen Höhlen spiegelt sich Italiens Umgang mit der Vergangenheit. Die Zeitung La Repubblica bemängelte am Montag „die Unfähigkeit, sich der Geschichte zu stellen“. Italiens postfaschistische Rechte laboriere weiter am „Tabu der eigenen ideologischen Ursprünge“. Die meisten Politiker der Meloni-Partei Fratelli d'Italia wurden wie die Regierungschefin im neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) sozialisiert. Das MSI hat seine Wurzeln in der vom faschistischen Diktator Benito Mussolini geführten und mit dem Nazi-Regime kollaborierenden Italienischen Sozialrepublik (1943–45).
Umso höher ist es dem ebenfalls im MSI sozialisierten heutigen italienischen Kultusminister Gennaro Sangiuliano anzurechnen, dass er bei der Gedenkfeier am Wochenende die „brutale faschistische Kollaboration“ beim Namen nannte. Zusammen mit der deutschen Kulturstaatsministerin Claudia Roth legte er an der Gedenkstätte einen Kranz nieder.