Nach jeder Parlamentswahl gibt es in Italien ein Ritual: Die Spitzen des Staatsfernsehens Rai, der Radiotelevisione Italiana, werden ausgetauscht. Im Mai, acht Monate nach Amtsübernahme der Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, musste der bisherige Geschäftsführer Carlo Fuortes gehen. Ersetzt wurde er von Roberto Sergio, der seit einigen Wochen im Rampenlicht steht. Sergio wird beschuldigt, blind den Willen der neuen Rechtsregierung zu erfüllen und missliebige Journalisten zu entlassen oder ihre Sendungen nicht mehr auszustrahlen.
Zuletzt traf es Roberto Saviano, eine Galionsfigur der italienischen Linken. Der 43-jährige Autor wurde 2006 über Italiens Grenzen hinweg als Autor des Buches „Gomorrha“ bekannt, in dem er die Machenschaften der Camorra-Clans im Norden Neapels offenlegte. Seither lebt der Schriftsteller unter Polizeischutz und an unbekannten Orten. Obwohl seine Mafiarecherchen gut dokumentiert sind und der Öffentlichkeit das Phänomen der Organisierten Kriminalität in Italien anschaulich näherbringen, ist Saviano in Italien wegen seiner expliziten linken politischen Orientierung umstritten.
Eine bereits aufgezeichnete TV-Dokumentation soll nicht ausgestrahlt werden
Vor Tagen gab der neue Rai-Geschäftsführer bekannt, dass Savianos bereits aufgezeichnete und für November geplante TV-Sendung „Insider – im Angesicht des Verbrechens“ nicht ausgestrahlt werde. Es habe sich nicht um eine politische Entscheidung gehandelt, behauptete Sergio. Italienischen Medien zufolge hat Saviano gegen den Ethik-Kodex der Rai verstoßen. So hatte der Autor Giorgia Meloni und Lega-Chef Matteo Salvini bereits im Jahr 2020 im Zusammenhang mit ihren Kampagnen gegen NGOs, die im Mittelmeer Migranten aufnehmen, als „Bastarde“ bezeichnet. Meloni verklagte Saviano, dieser muss sich vor Gericht verantworten.
Die Suspendierung des Anti-Mafia-Programms dürfte auf den medialen Kleinkrieg mit Matteo Salvini zurückzuführen sein. Saviano und der aktuelle Minister für Infrastruktur attackieren sich medial seit Jahren, sie streiten ebenfalls vor Gericht. Vor zwei Wochen hatte Saviano den Lega-Chef ein erneutes Mal als „ministro della mala vita“ bezeichnet. „Mala vita“ bedeutet wörtlich schlechtes Leben, ist aber auch eine Chiffre für die mafiöse Unterwelt. Salvini hatte zuvor auf Twitter polemisch die Kandidatur der ehemaligen deutschen Kapitänin Carola Rackete für die Partei Die Linke bei der Europawahl 2024 kommentiert. Rackete wurde bekannt, als sie 2019 gegen das explizite Landungsverbot des damaligen Innenministers Salvini verstieß und Migranten auf der Insel Lampedusa an Land gehen ließ.
Saviano: „Recht auf freie Meinungsäußerung stark beeinträchtigt“
„Wenn jemand einen Minister kritisiert, wird eine Fernsehsendung abgesetzt, selbst wenn es sich um eine Anti-Mafia-Sendung handelt“, beschwerte sich Saviano. Die Streichung seines TV-Formats sei eine „klare politische Entscheidung“. „In Italien ist das Recht auf freie Meinungsäußerung stark beeinträchtigt“, fügte der 43-jährige Neapolitaner hinzu.
Die Kündigung missliebiger Journalisten hat in Italien Tradition. So erwirkte der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi im Jahr 2002 die Entlassung der regierungskritischen Journalisten Enzo Biagi und Michele Santoro aus dem Staatsfernsehen. Hauptaktionär der Rai mit 99,56 Prozent Anteilen ist das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen in Rom. Das Ministerium schlägt den Geschäftsführer vor, der vom Verwaltungsrat bestätigt werden muss. Von den sieben Mitgliedern des Verwaltungsrats werden vier vom Parlament bestimmt und zwei durch das Kabinett. Der amtierende Verwaltungsrat wurde politisch relativ ausgeglichen vor zwei Jahren in der Amtszeit von Premier Mario Draghi nominiert und ist noch ein Jahr im Amt. Die entscheidende Figur ist der Geschäftsführer, der die Senderchefs nominiert sowie Mitarbeiterverträge koordiniert.
Nicht nur Saviano dürfte aus dem Programm von Rai verschwinden
Im Mai war der bisherige Geschäftsführer Carlo Fuortes unter dem Druck der Regierung zurückgetreten. Die neue Regierung hatte darauf gedrängt, die Verträge des linken Talkshow-Moderators Fabio Fazio und der Komikerin Luciana Littizetto in ihrem Programm „Che tempo che fa“ nicht zu verlängern. Infrastrukturminister Salvini, in der Sendung oft Gegenstand der Kritik, hatte das Aus der beiden auf Twitter höhnisch mit „Belli Ciao“ kommentiert. Der Kommentar war ein sarkastischer Abschiedsgruß und eine Anspielung auf das für Italiens Linke identitätsstiftende Widerstandslied „Bella Ciao“.