Die Stimmung war blendend auf der Konferenz. Israels rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, sang auf der Bühne zu religiösen Liedern aus dem Lautsprecher, das Publikum klatschte mit. Mehrere Hundert Menschen hatten sich eingefunden zu der Veranstaltung mit dem Titel „Wir bereiten die Besiedlung Gazas vor“, die Anfang der Woche im Süden Israels stattfand, organisiert von der Siedlerbewegung Nachala. Deren Pläne sind so ehrgeizig wie radikal. „Wir sind hierhergekommen mit einem klaren Ziel“, sagte Nachala-Gründerin Daniella Weiss in einer Rede, die seitdem vielfach in den sozialen Medien geteilt wurde. „Das Ziel ist, den gesamten Gazastreifen zu besiedeln. Nicht nur einen Teil davon, nicht nur ein paar Siedlungen.“ Die Palästinenser hätten das Recht, dort zu leben, mit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober verloren.
Es mag verlockend sein, die Veranstaltung als Randphänomen abzutun. Doch die Teilnehmerliste macht eine solche Lesart unmöglich. Unter den Sprechern war nicht nur der notorische Provokateur Ben-Gvir, der – nicht zum ersten Mal – für die „freiwillige“ Auswanderung der Palästinenser aus Gaza warb. Auch der kaum weniger radikale Finanzminister Bezalel Smotrich, Chef des ultrarechten Religiösen Zionismus, ließ sich blicken – ebenso wie mehrere Vertreter der rechten Likudpartei Benjamin Netanjahus, etwa Mai Golan, Ministerin für soziale Gerechtigkeit und die Förderung des Status von Frauen. Siedlungen in Gaza würden der Sicherheit Israels dienen, sagte sie israelischen Medienberichten zufolge auf der Konferenz.
Ariel Scharon ließ den Gazastreifen räumen
Als Israel den Gazastreifen noch kontrollierte, gab es dort bereits einige jüdische Siedlungen. Im Jahr 2005 ließ der damalige Ministerpräsident Ariel Sharon sie räumen und Israels Armee von dort abziehen. Manche ultranationalistische Kreise haben die „Hitnatkut“, die „Trennung“, wie die Maßnahme in Israel genannt wird, nie akzeptiert. Im aktuellen Krieg sehen sie eine Gelegenheit, Sharons Entscheidung rückgängig zu machen. „Wenn wir nicht noch einen 7. Oktober wollen, müssen wir zurück nach Hause gehen und das Land kontrollieren“, sagte Ben-Gvir schon im Januar mit Blick auf Gaza. Netanjahu hat solche Bestrebungen mehrfach als „unrealistisch“ abgetan. Eine scharfe Distanzierung klingt jedoch anders. US-Außenminister Antony Blinken musste nachhelfen: Die israelische Regierung verfolge keine derartigen Pläne, sagte er zu Journalisten in Tel Aviv. Die USA seien gegen eine erneute permanente Besetzung des Gazastreifens.
Gleichwohl könnte das aktuelle Vorgehen der israelischen Armee im Norden des Gazastreifens die Siedlungspläne womöglich sogar noch anheizen. Israels Armee, die IDF, hat zuletzt Zehntausende Bewohner im Norden Gazas zur Evakuierung aufgerufen. Die IDF betont, die Maßnahme diene dem Kampf gegen Hamas-Terroristen. Manche Beobachter fürchten jedoch, Israel könnte den sogenannten „Plan der Generäle“ umsetzen wollen. Der Plan, maßgeblich entworfen vom pensionierten Generalmajor Giora Eiland, sieht vor, Zivilisten aus dem Norden Gazas zu evakuieren und das Gebiet anschließend zu Militärgebiet zu erklären. Danach soll Israel die Einfuhr sämtlicher Güter in den Streifen verhindern, bis die Hamas sich ergibt.
US-Regierung fordert Distanzierung von Gaza-Plänen
Israels Regierung weist den Verdacht, den Plan umsetzen zu wollen, zurück. Doch nicht alle sind überzeugt. Der UN zufolge ist der Umfang humanitärer Hilfe, der den Norden des Gazastreifens erreicht, seit Anfang Oktober erheblich gesunken. Und US-Außenminister Blinken soll Netanjahu diese Woche Berichten zufolge gedrängt haben, sich klarer vom „Plan der Generäle“ zu distanzieren. „Ob es sich um Generäle im Ruhestand oder um einzelne Regierungsmitglieder handelt, es ist nicht die Politik der Regierung und ganz sicher nicht die Politik der Vereinigten Staaten“, sagte Blinken.
Auch manche Experten sehen das Vorhaben skeptisch. Der Plan „könnte dazu führen, dass Israel den Gazastreifen besetzt und ein Militärregime dort etabliert“, warnen die Sicherheitsexperten Udi Dekel und Tammy Caner vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv in einem aktuellen Artikel. „Ein solches Szenario würde die Sicherheits- und politischen Herausforderungen Israels verschärfen.“ Die Verfechter eines „Groß-Israels“ sehen es genau andersherum. „Ohne Siedlungen (in Gaza) gibt es keine Sicherheit“, schrieb Finanzminister Smotrich auf der Plattform X zum Auftakt der Gaza-Konferenz.
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