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Israel: Netanjahu will das Heilige Land noch heiliger machen

Israel

Netanjahu will das Heilige Land noch heiliger machen

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    Israels Premierminister Benjamin Netanjahu legt einen Gebetszettel zwischen die Ritzen der Klagemauer.
    Israels Premierminister Benjamin Netanjahu legt einen Gebetszettel zwischen die Ritzen der Klagemauer. Foto: Gil Cohen-Magen, dpa

    Sie ist noch keine Woche im Amt, da sorgt die neue Koalitionsregierung unter der Führung von Benjamin Netanjahu bereits für Wirbel in Israel. Trotz Warnungen hat der neue Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, am Dienstag erstmals seit seinem Amtsantritt den Tempelberg in Jerusalem besucht.

    Die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas hatte zuvor vor einem solchen Besuch des Ministers gewarnt und mit einer neuen schweren Eskalation gedroht. Der Tempelberg (Al-Haram al-Sharif) mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Sie ist aber auch Juden heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen. Der zweite Palästinenseraufstand (Intifada) hatte im Jahr 2000 nach einem demonstrativen Besuch des damaligen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg begonnen, der sowohl für Juden als auch Muslime ein heiliger Ort ist. 

    Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit von Israel, hat trotz Warnungen den Tempelberg in Jerusalem besucht.
    Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit von Israel, hat trotz Warnungen den Tempelberg in Jerusalem besucht. Foto: Atef Safadi, dpa

    Der in der Vergangenheit wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verurteilte Itamar Ben-Gvir ist bekannt als politischer Zündler. Noch im Sommer hatte sich Netanjahu geweigert, sich mit ihm fotografieren zu lassen. Vor wenigen Monaten hatte der jetzige Polizeiminister in arabischen Stadtvierteln Jerusalems mit provokanten Aktionen Unruhe gestiftet und sich mit den Sicherheitskräften angelegt. Er ist nicht der einzige Heißsporn am Regierungstisch. Bezalel Smotrich, der künftig für das Westjordanland zuständig ist, zählt ebenfalls zu den stürmischen Verfechtern des Siedlungsausbaus in den besetzten Gebieten und ist einer der lautstärksten Befürworter der Souveränität Israels in der Westbank. In den USA warnen jüdische Organisationen schon vor den Folgen. Abe Foxman, der ehemalige Vorsitzende der Anti-Defamation League (Anti-Diffamierungs-Liga), der stets bekräftigt hatte, dass ihn nichts von der Unterstützung Israels abhalten könne, hat nun seinen bedingungslosen Beistand relativiert. Wenn Israel keine Demokratie mehr sei, können er es nicht mehr unterstützen.

    Die rechten Kräfte sichern die Macht von Benjamin Netanjahu

    Netanjahu, der neue, aber altbekannte israelische Ministerpräsident, zeigt sich in Interviews mit ausländischen Medien zwar von der liberalen Seite. Doch für den Erhalt der eigenen Macht hat er rechtsradikale und orthodoxe Kräfte an die wichtigsten Schalthebel des Landes gelassen. Selbst Wähler seiner Likud-Partei und prominente Parteigrößen sind entsetzt über die Absichten der Regierungsallianz. Wenige Tage nach der Vereidigung der neuen Regierung habe die Koalition in der Bevölkerung die Mehrheit bereits verloren, ergab eine Meinungsumfrage des Fernsehsenders Channel 13, die am Wochenende veröffentlicht wurde. "Dies ist die am weitesten rechts stehende und religiöseste Regierung, die Israel jemals hatte", sagt der Juraprofessor Eli Salzberger vom Minerva-Zentrum an der Universität Haifa.

    Die Regierung des 73-Jährigen, die außer seiner Likud-Partei ausschließlich aus ultrarechten und ultrareligiösen Parteien besteht, hat sich ein ehrgeiziges - und ein höchst umstrittenes - Ziel gesetzt: Das Heilige Land soll heiliger werden. Die Religion erhält laut Koalitionsvertrag einen höheren Stellenwert. Netanjahu hat damit vielen Forderungen der Rechtsradikalen und Orthodoxen nachgegeben, um an die Macht zurückzukehren. Das könnte wichtige Verbündete Israels entfremden: Juden von Reform- und liberalen Gemeinden in den USA.

    Extreme Kräfte bauen ihre Macht in Israel aus

    "King Bibi", "König Bibi", wie ihn ein US-Nachrichtenmagazin einmal genannt hat, ist damit innenpolitisch schwächer denn je, weil er sich von Extremisten abhängig gemacht hat. Seine Bündnispartner hatten ihn während der Verhandlungen fast täglich mit immer wieder neuen Forderungen konfrontiert: Keine Fußballspiele am Schabbat, neue Siedlungen im Westjordanland, eine Schwächung des Justizsystems und des Obersten Gerichts oder mehr Gelder für ultraorthodoxe Schulen, an denen weder Mathematik noch Englisch unterrichtet werde, um nur einige der Bedingungen zu nennen. Als Gegenleistung für ihre Unterstützung beanspruchen sie eine signifikante Steigerung ihrer Macht und mehr Budgetmittel. Auch wenn die Koalitionsvereinbarungen rechtlich nicht verbindlich sind, zeigen sie die Richtung, in die das Bündnis das Land bewegen will. 

    Bibi, wie Netanjahu von Freund und Feind genannt wird, hat schon einmal bewiesen, dass er Israel umkrempeln kann. So hat er vor 20 Jahren als Finanzminister die einst sozialistisch-verkrustete Ökonomie entfesselt. Dass das Land heute eine Hightech-Weltmacht ist, ist nicht zuletzt seiner damaligen Liberalisierungspolitik zuzuschreiben. 

    Demokratie in Israel gerät in Gefahr

    Die Koalition muss allerdings mindestens zwei Hürden überwinden. So könnte Innenminister Arje Deri, der später das Finanzministerium übernehmen soll, vom Obersten Gericht disqualifiziert werden, da er wiederholt wegen Steuervergehen und Korruption verurteilt worden war. Seine Ernennung zum Minister sei "unangemessen", lässt Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara wissen. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs wird für Donnerstag erwartet. Deri hatte vor einem Jahr Steuervergehen zugegeben und war zu einer bedingten Gefängnisstrafe und zu einer Geldbuße verurteilt worden. Bei den letzten Wahlen hatte seine ultraorthodoxe Schas-Partei aber ein so gutes Ergebnis erzielt, dass Deri nun der wichtigste Juniorpartner im Kabinett ist. Netanjahu hatte im Parlament in einem Hauruck-Verfahren mit einem auf Deri zugeschnittenen Gesetz dafür gesorgt, dass auch ein Verurteilter Minister werden darf.

    Die neue Regierung strebt zudem eine Revolution des Justizsystems an. Dazu will sie eine sogenannte Überwindungsklausel einführen. Eine Mehrheit der Knesset könnte Gesetze selbst dann verabschieden, wenn sie vom Höchsten Gericht als illegal eingestuft wurden. Da Israel keine Verfassung hat, würde damit ein wichtiger Kompass wegfallen. Experten warnen davor, dass dadurch die Umsetzung die Gewaltenteilung de facto aufgehoben und Israels Demokratie in Gefahr gebracht werde. Aus der Sicht des rechts-religiösen Lagers wäre die Überwindungsklausel allerdings ein Fortschritt. Es hatte dem Gericht in der Vergangenheit immer wieder Aktivismus und Einmischung in politische Entscheidungen vorgeworfen. Außerdem soll das Rentenalter von Richtern von 70 auf 65 Jahre gesenkt werden. Ziel sei es, "die liberalen

    Angesichts von Sorgen auch im Ausland über den weiteren Rechtsruck in Israel betont Netanjahu, er sei es, der den Kurs der Regierung vorgeben werde. Der gewiefte Politiker hat in der Vergangenheit oft Pragmatismus bewiesen, wenn es darum ging, Krisen zu bewältigen. Kein Regierungschef war bisher länger im Amt als Netanjahu.

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