Zumindest die Worte sollen noch ein Signal der Stärke aussenden. Erstmals nach der Tötung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im Libanon hat sich die Spitze der islamistischen Miliz zu Wort gemeldet und Israel die eigene Kampfbereitschaft signalisiert. „Wir wissen, dass der Kampf lang dauern könnte, und sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet“, sagte der stellvertretende Hisbollah-Chef Naim Kassim in einer im Fernsehen übertragenen Rede. „Wenn Israel sich entscheidet, eine Bodenoffensive zu starten: Wir sind bereit.“
Der Mann, der die Feindschaft zu Israel zu seinem Dogma gemacht hat, wurde am Freitag in seinem Bunker, tief unter der Erde, von einer israelischen Sprengladung getroffen. Die Fliegerstaffel 69 war in die Luft gestiegen und hatten dutzende bunkerbrechende Bomben abgefeuert. In Beirut klafft nun ein gewaltiges Loch im Boden. Und nicht nur dort.
Krieg im Nahen Osten: Kräfteverhältnisse in der Region verschieben sich
„Das Mächtegleichgewicht hat sich verschoben – zugunsten von Israel“, sagt Stephan Stetter, Nahost-Experte an der Universität der Bundeswehr München. Aber auch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Ägypten dürften über eine Schwächung der Terrormiliz froh sein. „Es war schon seit Beginn des Krieges im Gazastreifen auffällig, wie ruhig sich diese Staaten verhalten haben“, sagt Stetter. „Aber auch im Libanon selbst werden einige Gruppen darauf hoffen, dass sich an den Machtverhältnissen im Land etwas ändert.“ Seit Jahren agierte die Hisbollah im Libanon wie ein Staat-im-Staat, nahm innerhalb der libanesischen Regierung immer wieder eine dominante Rolle ein. Durch die Pager-Attacken des israelischen Geheimdienstes mit hunderten Toten, aber auch die Ermordung des Hisbollah-Chefs ist die islamistische Organisation geschwächt – und das nicht nur personell, sondern auch in ihrer Außenwirkung. „Die Hisbollah wird sich neu organisieren müssen“, sagt Stetter. „Andere Akteure im Libanon werden sich überlegen, wie sie dieses Machtvakuum ausnutzen können.“ Der Ausbruch eines neuen Konflikts innerhalb des Libanons ist nicht ausgeschlossen befürchtet.
Und auch die Regierung von Benjamin Netanjahu wird den Terroristen kaum eine Verschnaufpause gönnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Israel das Momentum für sich nutzt und eine Bodenoffensive im Libanon startet, ist dadurch groß. Nach der Tötung Nasrallahs hatte Israels Armeechef Herzi Halevi schon am Samstag diese Möglichkeit angedeutet. Er habe Pläne für das Nordkommando der Streitkräfte gebilligt. „Vieles deutet darauf hin, dass Israel sich darauf vorbereitet“, sagt Stetter. Die Argumente für einen Einsatz liegen auf der Seite von Israel: laut den internationalen Vereinbarungen muss die Hisbollah sich bis hinter den Litani-Fluss zurückziehen, der fließt rund 30 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt. Stattdessen überzieht sie den Norden Israels seit Monaten mit einem Bombenhagel. Die Frage ist, ob Israels erklärtes Kriegsziel - die Rückkehr von 60.000 Israelis, die durch die Hisbollah-Angriffe aus Gebieten entlang der Grenze vertrieben wurden - mit Luftschlägen allein zu erreichen ist.
Ruft Netanjahu nun Neuwahlen aus?
Zumindest Premierminister Netanjahu ist schon jetzt einen entscheidenden Schritt weiter – nämlich im Kampf um sein eigenes Amt. Der zuletzt von der eigenen Bevölkerung ungeliebte Premier hat sich durch die erfolgreichen Schläge gegen die Islamisten-Miliz den Respekt vieler Israelis erarbeitet, auch über das eigene politische Lager hinaus. „Netanjahu konnte sein Standing massiv verbessern“, sagt Stetter. „Es würde mich nicht wundern, wenn er den Zeitpunkt nutzt, um Neuwahlen anzustreben.“
Viele Blicke ruhen unterdessen auf dem Iran. Der ist die eigentliche Schutzmacht und wichtigster Unterstützer der Hisbollah. Die Sorge vor iranischen Vergeltungsschlägen wächst. Wie wird Teheran reagieren? Immerhin war die Hisbollah ein wichtiger Teil der so genannten „Achse des Widerstands“, also ein Abschreckungsinstrument gegenüber Israel. Sollte sich das Regime tatsächlich dazu entschließen, selbst in die Kämpfe einzugreifen, würde die Situation wohl endgültig eskalieren. „Der Iran steckt in einem Dilemma, er steht jetzt vor einer großen strategischen Herausforderung“, sagt Stetter. Zwar bediene der oberste Religionsführer weiter aggressive Rhetorik gegenüber dem Erzfeind Israel. Doch zugleich betone er, dass nun die Hisbollah gefordert sei. Nach einem aktiven Eingreifen in den Krieg sieht es also zumindest bislang nicht aus. Die Sorge des Mullah-Regimes ist, dass politisch-kriegerische Erschütterungen auch die eigene Stabilität gefährden könnten. Die Regierung ist bei der eigenen Bevölkerung umstritten, ein Krieg würde damit zum unkalkulierbaren Risiko. Stattdessen baut Teheran lieber auf die Huthi-Rebellen im Jemen, die den Kampf der Hisbollah fortsetzen wollen.
„Es gibt im Hintergrund massive diplomatische Bemühungen“, sagt Stetter. „Doch die können nur bedeuten, dass es keinen regionsweiten Krieg gibt. Was sie nicht bedeuten, dass es eine diplomatische Lösung für die Konflikte gibt.“
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