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Israel: Konflikt an zwei Fronten droht - eine Analyse

Analyse

Nahostkonflikt: Israel droht ein Konflikt an zwei Fronten

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    Raketen werden im südlichen Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert.
    Raketen werden im südlichen Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert. Foto: Yousef Mohammed, dpa

    Gewalt ist in Nahost seit vielen Jahrzehnten ein zuverlässig wiederkehrendes Phänomen. Dennoch blickt die Öffentlichkeit jetzt verstört auf das was sich in Israel, Gaza und im Westjordanland abspielt. Das hat mit dem Grad des Hasses zu tun, der sichtbar wird. Aber auch mit den verschiedenen Ebenen des Konfliktes, die es für Außenstehende immer schwerer macht, die Ursachen zu überblicken.

    Warum unterstützen die Palästinenser noch immer die Hamas?

    Seit Tagen flimmern die Bilder von Raketen über die Bildschirme, die von Gaza aus auf Israel abgeschossen werden. Die Terrorangriffe gegen die israelische Zivilbevölkerung durch die vom Iran unterstützte Hamas sind in ihrer ganzen Irrsinnigkeit unerklärlich. Israel hat jedes Recht, sich gegen diese Attacken zu verteidigen.

    Chronologie: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern

    Seit Gründung des Staates Israel kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Der erste Nahostkrieg war für Israel ein Unabhängigkeitskrieg - für die Palästinenser hingegen der Beginn der "Nakba", ihrer Flucht und Vertreibung.

    29. November 1947: Die Vollversammlung der Vereinten Nationen ruft zur Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat auf (Resolution 181). Die Juden stimmen zu, die Araber in Palästina und die arabischen Staaten lehnen den Plan ab.

    14. Mai 1948: David Ben Gurion verliest Israels Unabhängigkeitserklärung. Am Tag darauf erklären die arabischen Nachbarn Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den Krieg. Im Kampf kann der neue Staat sein Territorium vergrößern und den Westteil Jerusalems erobern. Rund 700.000 Palästinenser fliehen.

    Oktober 1956: In der Suez-Krise kämpfen israelische Truppen an der Seite Frankreichs und Großbritanniens um die Kontrolle des Suez-Kanals, den Ägypten zuvor verstaatlicht hatte.

    Juni 1967: Im Sechstagekrieg erobert Israel den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland, Ostjerusalem und die Golanhöhen.

    Oktober 1973: Eine Allianz arabischer Staaten unter Führung von Ägypten und Syrien überfällt Israel an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag. Nur unter schweren Verlusten gelingt es Israel, den Angriff abzuwehren.

    März 1979: Israels Regierungschef Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat schließen einen von den USA vermittelten Friedensvertrag.

    Juni 1982: Beginn der Operation "Frieden für Galiläa". Israel greift Stellungen der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO im Libanon an und marschiert ins Nachbarland ein.

    Dezember 1987: Ausbruch des ersten Palästinenseraufstands ("Intifada").

    September 1993: Israels Ministerpräsident Izchak Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat unterzeichnen die Oslo-Friedensverträge.

    4. November 1995: Rabin wird nach einer Friedenskundgebung in Tel Aviv von einem jüdischen Fanatiker erschossen.

    September 2000: Nach einem Besuch von Israels damaligem Oppositionsführer Ariel Scharon auf dem Tempelberg in Jerusalem bricht die zweite Intifada aus.

    2003: Israel beginnt mit dem Bau einer 750 Kilometer langen Sperranlage rund ums Westjordanland. Zäune und Mauern verlaufen zum Teil auf palästinensischem Gebiet.

    August 2005: Gegen den Widerstand der Siedler räumt Israel alle Siedlungen im Gazastreifen und zieht seine Truppen aus dem Palästinensergebiet am Mittelmeer ab.

    Juli 2006: Israel und die libanesische Hisbollah-Miliz liefern sich einen einmonatigen Krieg.

    Juni 2007: Die radikal-islamische Hamas vertreibt in einem blutigen Machtkampf unter Palästinensern die Fatah von Mahmud Abbas aus dem Gazastreifen.

    Jahreswende 2008/2009 bis August 2014: In drei Konflikten bekriegen sich das israelische Militär und die Hamas im Gaza-Streifen. Kurz vor dem Krieg 2014 scheitert der bisher letzte Versuch der beiden Seiten, am Verhandlungstisch einen Frieden zu vereinbaren.

    Dezember 2017: US-Präsident Donald Trump verkündet den Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Die Entscheidung stößt international auf heftige Kritik.

    Frühjahr 2018: Am Grenzzaun zwischen Israel und Gazastreifen beginnen wochenlange Demonstrationen von Palästinensern für das Recht auf Rückkehr ins Gebiet des heutigen Israels. Mehr als 100 werden von der Armee erschossen. Die USA eröffnen ihre Botschaft in Jerusalem.

    Januar 2020: Trump und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu präsentieren einen Nahost-Friedensplan. Die Palästinenser sehen das Völkerrecht verletzt.

    Mai 2021: In Jerusalem kommt es zu schweren Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern. Aus dem Gazastreifen werden Raketen auf Israel abgefeuert, das mit Luftangriffen reagiert. Dabei werden in Gaza mehrere Palästinenser getötet. (dpa)

    Allerdings sollte die Regierung von Noch-Präsident Benjamin Netanjahu dabei nicht die Verhältnismäßigkeit der Gegenschläge aus dem Blick verlieren. Die Frage ist, warum der Amoklauf der Hamas nicht auch von einer klaren Mehrheit der Palästinenser verurteilt wird. Schließlich haben die verbrecherischen Angriffe zur Folge, dass das ohnehin schon schwere Leben für die Menschen in Gaza vollends zur Hölle gemacht wird. Dass sie den israelischen Vergeltungsaktionen ausgeliefert sind, nimmt die Hamas kalt in Kauf.

    Die Terroristen profitieren von der Ohnmacht vieler junger Palästinenser in Gaza und dem Westjordanland. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wusste genau, was er tat, als er die bereits mehrfach verschobenen Wahlen erneut vertagt hatte. Er verwies darauf, dass die israelischen Behörden versuchen würden, zu verhindern, dass die Stimmabgabe im Osten Jerusalems stattfinden kann. Das stimmt zwar und ist ein Verstoß gegen das Oslo-Abkommen, das den Palästinensern in Ostjerusalem das Recht zu wählen einräumt. Doch man braucht keine Tiefenpsychologie zu bemühen, um zu wissen, dass der greise Abbas Angst vor einem Wahlerfolg der Hamas gegen seine Fatah-Partei hatte.

    Die Absage der Parlamentswahl in Israel steigert die Verbitterung

    Die Absage der Wahl hat die Verbitterung unter jungen Palästinensern weiter gesteigert. Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven und der in Teilen völkerrechtswidrige israelische Siedlungsbau haben eine Stimmung erzeugt, die Hamas für ihre Interessen nutzt – dass diese Interessen denen der Bevölkerung diametral zuwiderlaufen, erkennt eine Mehrheit offensichtlich nicht mehr. Hinzu kommt die mit Abkommen untermauerte Annäherung zwischen einigen arabischen Ländern und Israel. Die Furcht der Palästinenser wächst, dass ihr Anliegen, in einem eigenen Staat zu leben, jenseits von Sonntagsreden international kaum noch ernsthaft diskutiert wird.

    Das militärische Kräfteverhältnis ist nach wie vor klar. Die Hamas hat keine Chance gegen die modern ausgerüsteten und kampferprobten israelischen Streitkräfte. Dass der Raketenhagel Millionen von Euro kostet, die angesichts der prekären sozialen Lage in Gaza und dem Westjordanland weit sinnvoller eingesetzt werden könnten, gehört zur traurigen Wahrheit. Im Schweif der Raketen geht der letzte Rest an Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Menschen in Gaza buchstäblich in Rauch auf.

    Ein israelischer Sicherheitssoldat verhaftet drei Araber bei Zusammenstößen zwischen Juden, Arabern und der Polizei.
    Ein israelischer Sicherheitssoldat verhaftet drei Araber bei Zusammenstößen zwischen Juden, Arabern und der Polizei. Foto: Oren Ziv, dpa

    Auch in Israel ist das Entsetzen groß. Nicht nur wegen der Angriffe aus Gaza, sondern auch mit Blick auf die gewalttätigen Ausschreitungen, die von arabisch-stämmigen Israelis in den letzten Tagen ausging. Mit sichtbarer Verzweiflung reagierte Staatspräsident Reuven Rivlin auf die Ausschreitungen, an denen auch militante jüdische Siedler und Schlägertrupps beteiligt sind. Bei einem Treffen mit jüdischen und arabischen Bürgermeistern und religiösen Vertretern in der gemischten Stadt Akko sagte er beschwörend: „Dies ist unser aller Heim, und wir verteidigen unser Heim. Nicht mit Schlagstöcken und Messern, die Zerstörung und Verderben säen, sondern indem wir Gesetz und Ordnung aufrechterhalten.“

    Israel: Die Wut der arabischstämmigen Bevölkerung hat große Sprengkraft

    Tatsächlich hat die Wut eines wachsenden Teiles der arabischstämmigen Bevölkerung – also rund 20 Prozent der circa neun Millionen Israelis – große Sprengkraft. Zwar mit allen bürgerlichen Rechten ausgestattet, fühlen sich viele der Araber nach wie vor als Einwohner zweiter Klasse. Die Gefahr, dass sich Gewalt und Gegengewalt nicht nur im Schlagabtausch mit der Hamas, sondern auch im eigenen Land weiter hochschaukeln, scheint beklemmend real.

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