Nach zwei Monaten fragiler Waffenruhe ist der Gazakrieg erneut ausgebrochen: In einem Überraschungsangriff bombardierten israelische Kampfjets in der Nacht auf Dienstag zahlreiche Ziele in dem Küstenstreifen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz hätten Israels Armee, die IDF, angewiesen, „entschieden gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen vorzugehen“, teilte Netanjahus Büro mit. Die Entscheidung, die Waffenruhe zu beenden, folge der „wiederholten Weigerung der Hamas, unsere Geiseln freizulassen, sowie ihrer Ablehnung sämtlicher Vorschläge“ seitens der USA und internationaler Vermittler.
Den von der Hamas kontrollierten Behörden in Gaza zufolge waren bis Dienstagmittag über 400 Menschen bei den Angriffen ums Leben gekommen, darunter Meldungen zufolge auch mehrere hochrangige Hamas-Vertreter. Die Hamas fordert die sofortige Umsetzung einer zweiten Phase des Gaza-Deals, die ein Ende des Kriegs und den Abzug der israelischen Truppen vorsieht. Sie sollte ursprünglich Anfang März beginnen. Die Eckpunkte dazu haben beide Konfliktparteien aber bislang nicht ausgehandelt.
Geiselfamilien in Israel protestieren gegen Bruch der Waffenruhe
„Wir werden nicht aufhören zu kämpfen, bis nicht alle Geiseln nach Hause zurückgekehrt und alle unsere Kriegsziele erreicht sind“, erklärte Verteidigungsminister Katz. Ob neuerliche Kämpfe zur Rettung der verbliebenen Geiseln beitragen, ist allerdings höchst umstritten. Die Entscheidung, den Krieg fortzuführen, sei „ein Todesurteil“ für die Geiseln, hieß es in einer Mitteilung der Hamas vom Dienstagmorgen.
„Die israelische Regierung hat beschlossen, die Geiseln aufzugeben“, hieß es deshalb auch in einer Mitteilung des Forums der Geisel-Familien, in dem sich die meisten Angehörigen von Verschleppten organisiert haben. Auch frühere Geiseln meldeten sich zu Wort. „Wieder einmal werden sie vergessen“, schrieb die im Januar befreite Liri Albag in den sozialen Medien. „Wieder einmal wird mit ihrem Schicksal gespielt.“
Israelischen Informationen zufolge sind noch 58 Geiseln in der Gewalt der Terroristen, wobei vermutlich nur noch 24 von ihnen am Leben sind. In der ersten Phase der Waffenruhe, die Mitte Januar in Kraft getreten war, hatte die Hamas insgesamt 30 Menschen freigelassen sowie acht Leichen übergeben.
Kritiker Netanjahus glauben, dass die Entscheidung zur Wiederaufnahme des Krieges weniger militärische als vielmehr innenpolitische Gründe habe. Der frühere Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, verkündete am Dienstag, der Regierung mit seiner rechtsextremen Partei Jüdische Stärke wieder beizutreten. Damit verbessern sich Netanjahus Chancen erheblich, einen umstrittenen Staatshaushalt zu beschließen und andernfalls drohende Neuwahlen abzuwenden. Ben Gvir hatte die Koalition aus Protest gegen die Waffenruhe im Januar verlassen.
Kritik, aber auch Unterstützung für Netanjahus Kurs
Yair Golan, Chef der oppositionellen linksliberalen Partei „Die Demokraten“, warf Netanjahu deshalb auch vor, sich von persönlichen Motiven treiben zu lassen. „Die Soldaten an der Front und die Entführten in Gaza sind nur Karten in seinem Spiel ums (politische) Überleben“, schrieb er auf der Plattform X.
Andere israelische Sicherheitsexperten, darunter regierungskritische, halten die Wiederaufnahme der Kämpfe indes für richtig. „Die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas hatten eine Sackgasse erreicht“, sagte der pensionierte Generalmajor Amos Yadlin in einem Pressebriefing. „Die Hamas hat ihre Möglichkeiten überschätzt, Israel ihre Bedingungen aufzuzwingen.“ Yadlin glaubt, dass die Luftangriffe die Hamas zum Umdenken bewegen könnten. In diesem Szenario könnten die neuerlichen Angriffe zu neuen Verhandlungen und schließlich einer weiteren Waffenruhe führen – unter besseren Vorzeichen für Israel.
Der Sicherheitsexperte Gabi Siboni vom Jerusalem-Institut für Strategie und Sicherheit hingegen glaubt, dass die Vernichtung der Hamas für Israel Priorität haben sollte. Die IDF könne nun effektiver kämpfen, vor allem wegen des Regierungswechsels in Washington: Unter dem vorherigen Präsidenten Joe Biden hatten die USA die Lieferung bestimmter Bomben an Israel zurückgehalten, um Israel zu humanitären Hilfen für Gaza zu drängen. „Wir standen quasi unter einem Embargo“, sagt Siboni. „Jetzt sollten wir die Gelegenheit nutzen, freier vorzugehen“ – wenn nötig auch auf Kosten der Geiseln: „Im Zweifel geht die nationale Sicherheit vor der Sicherheit Einzelner.“
Deutschland sollte endlich alle Waffenlieferungen an Israel stoppen! Raimund Kamm
Da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Kamm. Jetzt, wo Netanjahu Trump im Rücken hat, ist nichts Gutes zu erwarten. Nun wird den Palästinensern der Garaus gemacht – und keiner erhebt mehr seine Stimme.
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