Die Meldungen über brutale Einsätze gegen Demonstranten mit Toten und Verletzten, über massenhafte Verhaftungen zeigen Wirkung auf die Regierungen der EU-Mitgliedsländer. Nicht nur Kanzler Olaf Scholz oder der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilten das Mullah-Regime zuletzt ungewohnt scharf. Am Montag einigten sich die Außenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten auf neue Sanktionen. Betroffen von Einreiseverboten und der Sperre von Vermögenswerten innerhalb der EU sind 31 Personen und Einrichtungen im Iran – im Fokus steht die Führung der iranischen Revolutionsgarde. Allerdings schreckten die EU-Außenminister davor zurück, die Garde auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen.
In den USA ist dies längst geschehen. Washington ist davon überzeugt, dass sich die Revolutionsgarde direkt an der Planung von terroristischen Anschlägen beteiligt hat, bei denen auch US-Bürger getötet wurden. Unstrittig ist, dass die Garde die vielfältigen militärischen Aktionen Teherans im Ausland ausführt oder koordiniert, die ganze Regionen destabilisieren.
Warum die Garde nicht auf der EU-Liste der Terrororganisationen steht
Warum also zögert die EU, die Garde als Terrororganisation zu listen? Während die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zuletzt andeutete, sich dies vorstellen zu können, warnen andere EU-Staaten, dass ein solcher Schritt die Atom-Verhandlungen mit dem Iran endgültig sprengen könnten. Dies, so die Befürchtung, könnte das letzte Hindernis für eine nukleare Bewaffnung des Irans beseitigen und in der Folge einen neuen, umfassenden Nahostkrieg auslösen.
Iranische Experten, die den Werdegang der Revolutionsgarden genau kennen, sind im Iran zum Schweigen verurteilt, sie werden aber auch im Ausland bedroht. So ist Kian Tabrizi eines die Synonyme, die ein renommierter politischer Analyst verwendet, wenn er über die Lage im Iran schreibt. Für das unabhängige Online-Magazin Iran Journal veröffentlichte Tabrizi unter die Titel „Aus der Schwäche wuchs ihre Macht“ eine scharfsinnige Analyse über die Garde.
Khomeini persönlich gab den Befehl zur Gründung der Revolutionsgarde im Iran
Der Titel kommt nicht von ungefähr. Der Autor beschreibt, wie die Truppe von einer paramilitärischen Einheit zum wichtigsten militärischen, wirtschaftlichen und politischen Akteur der Islamischen Republik Iran wurde. Den Befehl zur Gründung der Truppe gab Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini 1979 persönlich. Sie sollte das junge Regime gegen Feinde im Inneren schützen. Doch während des Krieges gegen das Nachbarland Irak von 1980 bis 1988 wandelte sich die Garde zu einer militärischen Einheit, die als schlagkräftiger und einflussreicher als die reguläre Armee galt. Gleichzeitig hielten ihre Kämpfer bewaffnete Milizen der Opposition im Land in Schach.
Nach Ende des Krieges kehrten die Revolutionsgardisten in das ausgeblutete Land zurück. Nun „verlangten sie Belohnung und sichere Lebensgrundlage“ im Iran, wie Tabrizi schreibt. Da die darniederliegende Wirtschaft diese Grundlage nicht bieten konnte, bot das Regime ihnen nicht nur großzügige Kredite, sondern auch die Beteiligung an Infrastrukturprojekten in den Bereichen Verkehr, Energie oder Bewässerung an. Auch zwielichtige Rüstungsgeschäfte und krimineller Waffenschmuggel wurden geduldet. Davon profitierten insbesondere viele Garde-Kommandeure.
Eine staatliche Kontrolle der wirtschaftlichen Tätigkeit gab und gibt es kaum – Importe und Verkäufe der Unternehmen sind nicht reguliert, Steuern oder Zölle fallen in der Regel ebenfalls nicht an. Marktmechanismen wurden weitgehend ausgehebelt – zulasten der privaten Wirtschaft. Parallel dazu strebten führende Revolutionsgardisten in die Politik. Der Versuch des früheren Präsidenten Hassan Rohani, die Macht der Garde zu beschränken, scheiterte letztlich an Revolutionsführer Ali Chamenei, der seine schützende Hand über die Truppe hält. Tabrizi taxiert die Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Garde, die über Einheiten in allen Waffengattungen verfügt, auf 190.000. Heute kommt im Iran wirtschaftlich und politisch niemand mehr an der straff geführten Organisation vorbei.
Im Westen wird aufmerksam registriert, dass sich die Spezialeinheiten der Revolutionsgarden bei der Bekämpfung der Anti-Regime-Proteste im Iran zurückhalten. Der Journalist und Nahostexperte Ali Sadrzadeh, jahrelanger Mitarbeiter des Hessischen Rundfunks, schrieb ebenfalls im Iran Journal, dass derzeit „die Drecksarbeit“ von anderen Gruppen erledigt werde. Dabei handele es sich um verschiedene Truppen, die zwar weder aus „Militärs, Polizisten oder Geheimdienstlern“ bestünden, aber dennoch ein „effektiver Teil des Sicherheitsapparates“ seien. Sadrzadeh spricht von „Halbstarken, Schutzgeldeintreibern und gewalttätigen Stadtteilgrößen“. Hinzu kommen die Basidsch-Milizen, eine aus Freiwilligen rekrutierte paramilitärische Organisation, die unter dem Kommando der Revolutionsgarden steht.
Die Drohungen gegen die Protestbewegung im Iran sind unmissverständlich
In den letzten Tagen häuften sich die indirekten Drohungen, dass auch Revolutionsgarden selbst in das Geschehen eingreifen könnten. Ihr oberster Kommandeur, Hussein Salami, warnte jüngst: „Die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren.“ Doch auch die mächtige Garde dürfte wissen, dass ihr Eingreifen sie bei einer großen Mehrheit der rund 85 Millionen Iranerinnen und Iraner noch verhasster machen würde.