So wünscht sich Ali Khamenei die Jugend des Iran. Während Demonstranten in Universitäten und auf den Straßen des Landes gegen sein Regime protestierten, besuchte der 83-jährige Revolutionsführer die Abschlussfeier von Luftwaffen-Kadetten. In frisch gestärkten grünen Uniformen standen die jungen Männer vor dem greisen Khamenei stramm.
In seiner Rede sprach Khamenei zum ersten Mal öffentlich über die Protestwelle. Die USA und Israel steckten hinter den Unruhen und wollten mit ihnen den „Fortschritt“ des Iran aufhalten, sagte Khamenei. Das werde ihnen nicht gelingen, weil die Islamische Republik stark sei. Doch die Macht des Regimes schwindet.
Mehr als 130 Menschen sind seit Beginn der Proteste vor zweieinhalb Wochen bei Straßenschlachten und nach Verhaftung durch Khameneis Repressionsapparat ums Leben gekommen, wie die iranische Exil-Menschenrechtsorganisation IHR mitteilt. Am Anfang stand der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei, die sie wegen eines nicht ordnungsgemäß gebundenen Kopftuches „belehren“ wollte, wie es offiziell heißt. Khamenei bedauerte den Tod der jungen Frau, fügte aber hinzu, selbst Frauen mit schlecht gebundenen Kopftüchern stünden hinter der Islamischen Republik.
Die Gräben im Iran sind inzwischen extrem tief
Sätze wie diese zeigen, wie tief der Graben zwischen Regierenden und Regierten im Iran inzwischen ist. Khamenei will oder kann die Anliegen der Demonstranten – mehr persönliche Freiheiten, ein Ende der Mullah-Diktatur – nicht an sich heranlassen. Sein Schützling, Präsident Ebrahim Raisi, hatte vorige Woche noch Kompromissbereitschaft beim Kopftuch-Zwang angedeutet. Khamenei machte mit seinem Auftritt vor den Luftwaffen-Kadetten klar, dass das nicht infrage kommt. Sein Regime lässt mit Tränengas und scharfer Munition auf die Demonstranten schießen, die sich trotz Verboten und Internetsperren täglich neu sammeln.
Zu Beginn des neuen Semesters sind viele Studenten hinzugekommen. "Die Studentenbewegung war seit jeher an vorderster Front des Kampfes gegen Diktatur in Iran“, sagte der Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad von der FU Berlin unserer Zeitung. „Trotz repressiven Maßnahmen des Regimes gegen unabhängige Strukturen innerhalb der Studentenbewegung sieht man beim gegenwärtigen Aufstand, dass die Universitäten als Hort des Protestes noch sehr lebendig sind.“
Protestierende Studenten riskieren, ihren Studienplatz zu verlieren
Studenten riskieren, ihren Studienplatz und damit die Aussicht auf eine Karriere zu verlieren, wenn sie sich an den Protesten beteiligen. Doch viele haben offenbar das Gefühl, sie hätten nichts zu verlieren. „Es gibt auch eine überproportionale Arbeitslosigkeit bei Uni-Absolventen“, sagte Fathollah-Nejad. „Viele haben längst die Hoffnung verloren, dass sie im gegenwärtigen System ihrer Bildung entsprechend Aufstiegsmöglichkeiten haben." So ist die angesehenste technische Hochschule im Iran, die Sharif-Universität für Technologie in Teheran, in den vergangenen Tagen zu einem Brennpunkt des Aufstandes geworden. Die Polizei umzingelte das Gelände der Hochschule wie eine feindliche Trutzburg und nahm hunderte Studenten fest.
Jeder zweite Iraner ist jünger als 30 Jahre. Die meisten Menschen in dem 80-Millionen-Land wurden Jahrzehnte nach der Revolution von 1979 geboren, die dem Iran die Islamische Republik brachte. Khamenei steht seit 1989 als Revolutionsführer an der Spitze des Landes, vorher war er Präsident. Sein Weltbild ist von der Feindschaft mit den USA und Israel geprägt. Generationen trennen den alten Mann an der Spitze der Republik von den jungen Leuten, die den Aufstand tragen. Einer von ihnen ist der Sänger Shervin Hajipour. Der 25-Jährige schuf die Hymne der Proteste: „Baraye“ – auf Deutsch: „Für“ oder „Wegen“. Den Text fügte er aus Twitter-Kommentaren zu den Protesten zusammen, die mit dem Wort „Für“ beginnen; in den letzten Zeilen wiederholt er: „Für die Freiheit.“ Das Lied wurde innerhalb von zwei Tagen rund 40 Millionen Mal auf Instagram abgespielt – dann wurde Hajipour verhaftet.
In Haft sitzt auch Niloofar Hamedi, eine junge Reporterin der Zeitung Sharh, einer Plattform iranischer Reformkräfte. Hamedi berichtete als erste über den Tod von Mahsa Amini in einem Krankenhaus von Teheran. Nach Angaben ihres Anwalts sitzt sie im berüchtigten Evin-Gefängnis in der Hauptstadt. Aktivisten sprechen inzwischen nicht mehr von Protesten, sondern von „Revolution“. Der Gewalteinsatz der Polizei facht Trauer und Wut immer wieder aufs Neue an. Regimegegner verbreiteten jetzt das Video eines Begräbnisses. Beigesetzt wurde die 17-jährige Nika Shakrami, die nach Angaben ihrer Familie an einer Protestaktion teilnahm und von der Polizei erschlagen wurde. Shakramis Mutter schreit ihren Schmerz heraus und nennt ihre tote Tochter eine „Märtyrerin“.