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Iran: Nach Tod einer Schülerin: Auf Teherans Straßen bleibt es diesmal still

Iran

Nach Tod einer Schülerin: Auf Teherans Straßen bleibt es diesmal still

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    Auf diesem Videostandbild eines vom iranischen Staatsfernsehen ausgestrahlten Überwachungsvideos ziehen Frauen die 16-jährige Armita Garawand aus einem Waggon der Teheraner Metro.
    Auf diesem Videostandbild eines vom iranischen Staatsfernsehen ausgestrahlten Überwachungsvideos ziehen Frauen die 16-jährige Armita Garawand aus einem Waggon der Teheraner Metro. Foto: Iranian State Television, dpa

    Sogar nach seinem Tod macht ein 16-jähriges Mädchen ohne Kopftuch dem Regime in Iran noch Angst. Bei der Beisetzung von Armita Garawand am Sonntag in Teheran überstieg die Zahl der Polizisten die der Trauergäste, wie Menschenrechtler berichteten.

    Garawands Schicksal erinnert an den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die im vergangenen Jahr wegen eines zu locker gebundenen Kopftuches von der Religionspolizei festgenommen und im Polizeigewahrsam gestorben war. Damals brachen die schwersten Massenproteste gegen die Islamische Republik seit Jahrzehnten aus. Diesmal blieb es ruhig. Einer der Gründe dafür ist nach Einschätzung von Experten, dass die iranische Bevölkerung gebannt auf den Gaza-Krieg blickt, weil sie Angriffe Israels und der USA auf ihr Land befürchtet.

    Krieg in Gaza überlagert die Nachrichten im Iran

    „Die Leute sind tief berührt und sehr wütend“, sagt der türkische Iran-Experte Arif Keskin über die Stimmung im Iran nach Garawands Tod. Allerdings stehe der Tod des Mädchens im Schatten der Nachrichten vom Gaza-Konflikt, der auch im Iran derzeit das wichtigste Thema sei, sagte Keskin unserer Redaktion. Viele fragten sich, „ob der Iran da hineingezogen wird. Das Regime erwartet deshalb, dass die Nachricht vom Tod Armitas keine neuen Proteste auslösen wird.“

    Gazelle Sharmahd, Tochter des zum Tode verurteilten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd, wirft der Teheraner Führung vor, sie habe mit ihren Verbündeten von der Hamas den Gaza-Konflikt ausgelöst, um sich angesichts der wachsenden Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung Zeit zu verschaffen. Der Tod von Garawand hätte zum Funken für eine neue Protestwelle werden können, „die das Ende des Regimes bedeuten würde“, sagte Sharmahd unserer Redaktion. Doch das Regime habe es geschafft, dies „durch Brutalität, Massenmord und Propaganda zu verhindern“.

    Garawand war ohne Kopftuch in der U-Bahn unterwegs

    Garawand war nach Berichten von Menschenrechtlern am 1. Oktober auf dem Weg zur Schule in der Teheraner U-Bahn von einer Patrouille der Religionspolizei zur Rede gestellt worden, weil sie kein Kopftuch trug, so wie es für Frauen und geschlechtsreife Mädchen im Iran in der Öffentlichkeit Pflicht ist. Eine Beamtin der Religionspolizei habe Garawand in der U-Bahn angegriffen. Das Mädchen stürzte und zog sich schwere Kopfverletzungen zu.

    Die iranischen Behörden erklärten, die Schülerin sei in der U-Bahn zusammengesackt, weil sie ohne Frühstück auf dem Weg zur Schule gewesen sei. Sie veröffentlichten Aufnahmen einer Überwachungskamera am Bahngleis, die zeigten, wie die bewusstlose Schülerin von Freundinnen aus dem Zug getragen wurde. Amnesty International erklärte jedoch, eine Analyse der Aufnahmen habe gezeigt, dass Passagen aus dem Video herausgeschnitten worden seien. Zudem wurden keine Aufnahmen aus dem Innern des Zuges veröffentlicht. Garawands Eltern wurden nach Angaben von Amnesty von den Behörden gezwungen, die offizielle Darstellung zu bestätigen.

    Trauergäste werden von der Polizei festgenommen

    Garawand lag wochenlang auf der polizeilich abgeschirmten Intensivstation des Teheraner Fajr-Krankenhauses im Koma. Am Samstagmorgen sei Garawand ihren schweren Hirnverletzungen erlegen, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Irna.

    Die Behörden verboten nach Angaben der iranischen Exil-Menschenrechtsgruppe Hengaw die Überführung der Leiche in die Heimat Garawands im West-Iran und ordneten eine Beisetzung in Teheran an; laut Hengaw wurden mehrere Trauergäste von der Polizei festgenommen. Bei der Beisetzung von Mahsa Amini in ihrer iranisch-kurdischen Heimat im vergangenen Jahr hatte es eine der ersten Großdemonstrationen gegen das Regime gegeben. Iranische Oppositionelle meldeten am Wochenende nur vereinzelte Protestaktionen wie Sprechchöre gegen das Regime, die in einigen Stadtteilen von Teheran gerufen worden seien.

    Das heißt nach Einschätzung von Experten aber nicht, dass die Regierungsgegner aufgegeben haben. „Das Regime weiß um die Risiken rund um den Fall Garawand und versucht, die Entfachung einer neuen Protestwelle zu vermeiden“, sagte der Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad. Eine „Explosion des Volkszorns“ könne sehr plötzlich erfolgen, fügte der Gründungsdirektor der Berliner Denkfabrik CMEG hinzu. „Trotz der gegenwärtigen relativen Ruhe in Iran haben wir es lediglich mit einer oberflächlichen Beruhigung zu tun, zumal es weiterhin stark unter der Oberfläche brodelt."

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