Einer der sichtbaren Erfolge der iranischen Protestbewegung seit September war bisher das faktische Ende des Kopftuchzwangs in den großen Städten der Islamischen Republik. In Teheran und anderen Metropolen schlenderten Frauen mit offenem Haar durch die Straßen. Unter dem Druck landesweiter Massendemonstrationen ließen die Behörden seitdem Frauen ohne Kopftuch häufig gewähren, um nicht noch mehr Proteste zu provozieren.
Wenn Polizisten oder religiöse Eiferer auftauchten, wurden sie häufig von den Frauen und Passanten vertrieben. Regierungsvertreter brachten sogar die Abschaffung der Kopftuchpflicht ins Gespräch.
Irans Revolutionsführer Khamenei nennt Kopftuchzwang unverhandelbar
Die Generalstaatsanwaltschaft deutete im Dezember an, dass die Religionspolizei abgeschafft werden könnte, und auch Präsident Ebrahim Raisi schlug mehr Flexibilität bei der Anwendung der Kopftuchpflicht vor. Revolutionsführer Ali Khamenei, der mächtigste Mann im Staat, bezeichnete den Kopftuchzwang als nicht verhandelbar, rief aber zur Nachsicht gegenüber Frauen ohne korrekte Verschleierung auf.
Mit diesen versöhnlichen Signalen ist jetzt Schluss. Seit die Massenkundgebungen über die Wintermonate abgeflaut sind, fühlt sich das Regime offenbar sicher genug, um die Kopftuchpflicht wieder rigoros durchzusetzen. Justizchef Gholamhossein Molham Ejei sagte am Wochenende, Widerstand gegen das Kopftuch sei gleichbedeutend mit "Feindschaft gegen unsere Werte". Frauen ohne Kopftuch würden "ohne Gnade" verfolgt und bestraft. Ein Hardliner im iranischen Parlament kündigte nach Medienberichten ein neues Gesetz an, das Geldstrafen von bis zu 55.000 Euro für Frauen ohne Kopftuch vorsehen würde.
Irans Innenministerium ruft zur Selbstjustiz gegen Frauen auf
Vorerst will die Regierung das bestehende Gesetz nutzen, um die Protestbewegung einzuschüchtern. Das Innenministerium erklärte, es werde beim Kopftuchzwang "kein Zurückweichen und keine Toleranz" geben, und rief die Bürger auf, gegen Frauen ohne Kopftuch einzuschreiten. Die Führung in Teheran betrachtet die Verhüllung von Frauen im öffentlichen Raum als eine Säule der Islamischen Republik.
Anhänger des Regimes folgen dem Appell, wie eine Szene aus dem Osten Irans jetzt zeigte. In dem Clip, festgehalten von einer Überwachungskamera eines Lebensmittelgeschäfts und im Internet verbreitet, warten zwei Frauen ohne Kopftuch in dem Geschäft darauf, bedient zu werden. Ein Mann stellt sie zur Rede, greift nach einem Joghurt-Becher im Regal und schüttet ihn über den Frauen aus. Der Ladenbesitzer drängt den Eiferer aus dem Geschäft. Der Angreifer wurde später festgenommen – aber auch die beiden Frauen kamen in Haft, weil sie keine Kopftücher trugen.
Iranische Frauen lassen sich durch die neue Härte nicht beeindrucken
Viele Regimegegner lassen sich durch die neue Härte nicht beeindrucken. Sie veröffentlichten nach den jüngsten Warnungen der Teheraner Führung neue Videos, die Frauen mit offenem Haar auf den Straßen des Landes zeigten. Andere Filme zeigten tanzende Frauen in der Teheraner U-Bahn – auch Tanzen in der Öffentlichkeit ist Frauen im Iran verboten. Zudem gehen in einigen Landesteilen die Straßenproteste gegen die Islamische Republik weiter.
Möglicherweise ist es für das Regime zu spät, den Geist der Rebellion wieder in die Flasche zurückzustopfen. Die Financial Times, eine der wenigen westlichen Medien mit einer eigenen Korrespondentin in Teheran, berichtet von tausenden Frauen in reichen wie armen Bezirken der iranischen Hauptstadt, die jeden Tag ohne Kopftuch zur Arbeit oder auf die Straße gehen.
Auch sind nicht alle Mitglieder der Elite einverstanden mit einer rücksichtslosen Durchsetzung des Kopftuchzwangs. Tourismusminister Ezzatollah Zarghami sagte, er sei gegen Druck in dieser Frage. Für einen Mann, der den Anblick einer Frau ohne Kopftuch nicht ertrage, gebe es eine einfache Lösung: "Er soll die Augen schließen, wenn ihn das erregt."