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Iran: Der Arm der iranischen Sittenpolizei reicht bis in deutsche Standesämter

Iran

Der Arm der iranischen Sittenpolizei reicht bis in deutsche Standesämter

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    Die Iranerin Azin Sadati-Schmutzer, aufgenommen in ihrer Wohnung in Stuttgart mit zahlreichen Formularen, die sie für ihre Hochzeit benötigte.
    Die Iranerin Azin Sadati-Schmutzer, aufgenommen in ihrer Wohnung in Stuttgart mit zahlreichen Formularen, die sie für ihre Hochzeit benötigte. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Bei den Eltern um die Hand der Tochter anhalten – was hierzulande eine traditionelle, aber oft nur noch symbolische Geste ist, ist für andere Pflicht. Nach islamischem Recht brauchen Frauen die Zustimmung ihres Vaters, um zu heiraten. Als Azin Sadati-Schmutzer einen Heiratsantrag von ihrem deutschen Freund bekommt, erwartet die Iranerin nicht, dass die patriarchalischen Gesetze ihres Heimatlandes sie auch beim Standesamt in Stuttgart einholen könnten. Und doch steht die „Eheeinwilligung des Vaters“ in der Liste von Unterlagen, die das Amt für die Anmeldung der Ehe sehen will. „Das war wie ein Kulturschock“, sagt Sadati-Schmutzer. Sie habe sich als Mensch zweiter Klasse gefühlt.

    An ihrem Fall wird deutlich: Iranische Frauen kämpfen nicht nur auf den Straßen ihres Heimatlandes erbittert um ihre Rechte. Der lange Arm der Scharia reicht bis nach Deutschland, tief hinein in die Stuben der Standesämter. Öffentlich bekannt wurde diese Tatsache durch die baden-württembergische FDP-Landtagsabgeordnete Julia Goll. Sie mochte es kaum glauben, als sie vor einiger Zeit beim FDP-Kreisverband in Stuttgart von einer jungen Iranerin darauf angesprochen wurde: Will eine iranische Frau in

    Grundlage ist ein alter Vertrag zwischen Deutschland und dem Iran

    Wie kann eine solche Regelung bestehen, die deutschem Recht widerspricht? Die Antwort des baden-württembergischen Justizministeriums auf die Anfrage liegt unserer Redaktion vor. Grundlage dieser bundesweit geltenden Regelung ist ein uralter Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien von 1929, der von der Bundesrepublik 1954 bestätigt wurde und besagt, dass die Angehörigen beider Staaten bezüglich des Personen-, Familien- und Erbrechts auch im Gebiet des anderen Staates den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen bleiben. Allerdings wurden im Iran seit der Revolution 1979 die Rechte von Frauen zunehmend beschnitten – das Abkommen aber hat weiter Bestand. Im besten Fall sollte es bewirken, dass einem Staatsangehörigen keine Nachteile entstehen, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt. Denn eine auf einem deutschen Standesamt geschlossene Ehe ist im

    Sadati-Schmutzer wollte ihre Ehe von Anfang an nicht im Iran anerkennen lassen. Ihren Ehemann hatte sie 2016 im Libanon kennengelernt, wo sie als studierte Bildhauerin für ein Kunstprojekt mit Flüchtlingen arbeitete. Ein Jahr später kam sie nach Deutschland. Seitdem plant sie nicht, in ihre Heimat zu reisen. Außerdem ist ihr Mann kein Muslim. Sie darf ihn daher nach islamischem Recht gar nicht heiraten.

    Iranerinnen können sich von der Pflicht befreien lassen

    Allerdings können sich iranische Frauen auch von der Pflicht befreien lassen, die Eheeinwilligungsurkunde ihres Vaters vorzulegen – dann müssen sie ersatzweise eine schriftliche Erklärung vorlegen, vom Standesamt über die möglichen Folgen belehrt worden zu sein. Ein unter Umständen langwieriges Verfahren. FPD-Politikerin Goll bemängelt, dass die Standesämter die Frauen erst seit relativ kurzer Zeit ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Eheschließung auch ohne Zustimmung des Vaters möglich ist. 

    Zwei Lager gibt es bei der Frage in Deutschland: Nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur verlangt die Hälfte der deutschen Oberlandesgerichte bei iranischen Frauen jedenfalls im Grundsatz eine Eheeinwilligung des Vaters oder Großvaters. Die Gerichte geben entsprechende Hinweise an die Standesämter, die die Dokumente für das Prüfverfahren einsammeln. Die andere Hälfte verzichtet bei der Prüfung von vornherein auf die Einwilligung.

    Sadati-Schmutzer brauchte fast ein Jahr für alle Anträge

    Belehrt oder aufgeklärt habe das Amt sie nicht, sagt Sadati-Schmutzer. Alle Dokumente fürs Standesamt liegen wie eine weiße Papierdecke auf der Sitzbank in ihrer Wohnküche: die Sterbeurkunden ihres Vaters und Großvaters, eine Ledigkeitsbestätigung und schließlich die Eheeinwilligung ihres älteren Bruders, der stattdessen als Heiratsvormund einspringen musste.

    Fast ein Jahr brauchte sie, um alle Unterlagen zu beschaffen. Rund 1000 Euro musste die 37-Jährige dafür ausgeben und ihre Mutter mehrmals bitten, quer durch den Iran zur deutschen Botschaft zu reisen. Auch andere Frauen haben Probleme beim Standesamt: Eine Iranerin aus Calw wartet seit drei Jahren mit ihrer Hochzeit. Ihr habe eine befreundete Standesbeamtin geraten, erst einmal deutsche Staatsbürgerin zu werden, damit sie die Eheeinwilligung nicht vorlegen muss, erzählt sie am Telefon. Einem Pärchen aus Stuttgart hat die Behörde geschrieben: „Die angeforderten Unterlagen werden benötigt, sonst kann das Oberlandesgericht keine Befreiung erstellen.“ Da gebe es keine Ausnahmen, hieß es.

    Mehr Reformen wünscht sich deshalb Sadati-Schmutzer. In Anbetracht der aktuellen Proteste auch für Frauenrechte im Iran hofft sie, dass das alte Niederlassungsabkommen angepasst wird. „Das ist für mich wie ein Zeichen, dass wir sagen: Islamische Republik, eure Zeit ist fertig“, sagt sie. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu, dass solche Abkommen anlassbezogen überprüft werden. Eine Aufkündigung komme insbesondere dann infrage, wenn die dadurch entstehenden Nachteile die Vorteile überwiegen. Vergleichbare Abkommen mit anderen islamrechtlich geprägten Staaten gebe es jedenfalls nicht. (mit dpa)

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