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Interview: ZdK-Präsident: "Was in Köln passiert, strahlt aus auf die gesamte katholische Kirche"

Interview

ZdK-Präsident: "Was in Köln passiert, strahlt aus auf die gesamte katholische Kirche"

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    Thomas Sternberg ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).
    Thomas Sternberg ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Foto: Marius Becker, dpa (Archivbild)

    Herr Sternberg, haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, aus der katholischen Kirche auszutreten?

    Thomas Sternberg: Nein, das habe ich nicht. Weil Kirche mehr für mich ist als nur ein Verein mit seinen Fehlern und Vorzügen.

    Im Erzbistum Köln findet gerade eine Abstimmung mit den Füßen statt: Tausende laufen dort der Kirche davon – wegen Kardinal Rainer Maria Woelki, der ein Missbrauchsgutachten unter Verschluss hält.

    Sternberg: Die Gläubigen dort sind in einer Weise verärgert, wie ich das noch nie erlebt habe. Ich weiß auch nicht, wie man das wieder heilen kann. Jedenfalls strahlt das, was gerade in Köln passiert, aus auf die gesamte katholische Kirche in Deutschland. Insofern ist das inzwischen eine Belastung für uns alle.

    Auch weil Woelki vergessen macht, welche Fortschritte es in der katholischen Kirche in Sachen Aufklärung und Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in den vergangenen Jahren durchaus gab?

    Sternberg: ... und gibt! Die katholische Kirche ist alles in allem auf einem guten Weg. Ich glaube, die Aufarbeitungsarbeit vieler katholischer Bistümer in Deutschland muss sich nicht verstecken.

    Das sehen Missbrauchsopfer anders. Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch, Patrick Bauer und Karl Haucke – inzwischen ausgetretene Mitglieder des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln – fordern in einem offenen Brief die Einsetzung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission durchs Parlament. Die Kirche könne es nicht allein ...

    Sternberg: Neben Bistümern, die Gutachten beauftragt haben, gibt es eine Reihe von Bistümern, die ganz unabhängige Wissenschaftler-Teams mit der Aufarbeitung betraut haben. Im Bistum Münster wird es von einem Zeithistoriker angeführt. Hier geschieht Aufarbeitung außerhalb der Kirche, und ich halte das für einen guten und richtigen Weg. Ob es eine staatliche Kommission braucht, die großteils verjährte sexualisierte Gewalt in allen Bereichen der Gesellschaft aufzuarbeiten hätte, scheint mir fraglich.

    Fürchten Sie da keinen Wildwuchs an Gutachten und Studien?

    Sternberg: Wir haben in Deutschland nun mal keine katholische Nationalkirche, sondern 27 Bistümer. Das macht es unübersichtlich und schafft immer wieder neue Skandale, die auf andere Bistümer ausstrahlen, wenn etwas falsch läuft. Das ist unbefriedigend. Aber ich stelle auch fest, dass in vielen Bistümern sehr viel Vorbildliches passiert.

    Kardinal Rainer Maria Woelki steht bei der Aufarbeitung des Missbrauchs im Erzbistum Köln unter Druck.
    Kardinal Rainer Maria Woelki steht bei der Aufarbeitung des Missbrauchs im Erzbistum Köln unter Druck. Foto: Marcel Kusch, dpa

    Wie erklären Sie sich das dröhnende Schweigen aus dem Vatikan zu Woelki? Soll hier ein einflussreicher Kardinal nicht fallen gelassen werden?

    Sternberg: Ich kann das nicht kommentieren, weil ich davon nur aus der Presse weiß.

    Vor wenigen Jahren noch, als der damalige Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst als "Prunk-Bischof" Schlagzeilen machte, schickte Rom einen Apostolischen Visitator, um nach dem Rechten zu sehen.

    Sternberg: Nochmals: Ich kann das nicht beurteilen. Genauso wenig, wie ich die beiden Missbrauchsgutachten beurteilen kann, die im Auftrag des Erzbistums Köln erstellt wurden. Ich kenne sie einfach nicht.

    Das eine einer Münchner Kanzlei ist wegen angeblicher "methodischer Mängel" nicht veröffentlicht worden. Das andere, das der Kölner Strafrechtler Björn Gercke erstellt, soll am 18. März vorgestellt werden. Was erwarten Sie sich davon?

    Sternberg: Offensichtlich handelt es sich bei dem Gercke-Gutachten nicht um ein Gefälligkeitsgutachten, wie viele befürchtet hatten. Zumindest berichtet der Spiegel, dass in dem Gutachten sogar noch mehr Fälle, auch von Laien, genannt werden, als bislang gezählt wurden. Über die Qualität des Gutachtens kann ich nichts sagen. Wenn aus ihm hervorgehen sollte, dass sich Woelki klar falsch verhalten hat, dann muss er Konsequenzen ziehen. Abgesehen davon, war die Kommunikation des Bistums und seines Bischofs katastrophal. Und es kommen dort andere aktuelle Verärgerungen hinzu. Ich habe keine großen Hoffnungen, dass sich die Lage dort nach dem 18. März wieder beruhigt.

    Woelki ist ein Bischof, der offensichtlich kein Vertrauen mehr unter der Mehrheit der Gläubigen seines Bistums genießt. Wie sehen Sie das?

    Sternberg: Es steht außer Frage, dass ein Bischof Vertrauen bei seinen Gläubigen genießen muss, wie auch ein Politiker bei seinen Wählern. Wenn kein Vertrauen mehr da wäre, dann hätte er ein gravierendes Problem.

    Nun gab es auch Kritik am Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Im Rahmen des Reformprozesses Synodaler Weg zwischen Bischöfen und engagierten Laien seien Missbrauchsopfer nicht ausreichend gehört worden.

    Sternberg: Ein Betroffenenbeirat hat sich erst im vergangenen Sommer konstituiert. Sprecher dieses Beirats konnten deshalb in der ersten Synodalversammlung nicht zu Wort kommen. Bereits bei der zweiten regulären Sitzung konnten wir ihre sehr eindrucksvollen Beiträge hören. Ich weiß nicht, warum dem ZdK hier Verschleppung vorgeworfen wird.

    Der zweite Kritikpunkt lautet: Das ZdK habe eine zu große Nähe zu den Bischöfen.

    Sternberg: Wir sind gemeinsam Kirche. Das ZdK hat sich nie als Gegenpol zur Bischofskonferenz verstanden. Wir verfolgen kritisch den Weg der Deutschen Bischofskonferenz beim Thema Missbrauchsaufarbeitung von Klerikern und werden uns künftig noch mehr mit der Rolle der Gemeinden und sexualisierter Gewalt in unseren Vereinen und Verbänden befassen.

    Es gab einen Textvorschlag im Rahmen der ZdK-Vollversammlung im vergangenen Herbst mit dem Satz: "Im Prozess der Aufarbeitung bewegt sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken loyal an der Seite der Deutschen Bischofskonferenz."

    Sternberg: So stand es in der ersten Fassung des vom gesamten Präsidium vorgelegten Initiativantrags. Ich habe ihn vor der Versammlung konkretisiert: "an der Seite derjenigen in der DBK, die sich für eine konsequente Aufarbeitung einsetzen". Das Papier wurde dann von einer Arbeitsgruppe in der Nacht verbessert und verdeutlicht. Wir wollen, dass die Engagierten gestützt werden und die Aufarbeitung des Skandals von sexualisierter Gewalt sogar durch Kleriker glaubwürdig ist.

    Die Bischöfe treffen sich ab diesem Dienstag zu ihrer digitalen Frühjahrsvollversammlung. Was erhoffen Sie sich von der Versammlung?

    Sternberg: Ich habe die Hoffnung, dass auch über andere wichtige Themen ausführlich gesprochen wird: über die eucharistische Gastfreundschaft, wie sie längst allenthalben praktiziert wird. Oder über die Frage nach dem assistierten Suizid: Wie kann Kirche statt zu töten, Hilfe zum Leben und Hilfe im Sterben geben? Und ich hoffe, dass trotz der heftigen Diskussionen, die momentan alles dominieren, nicht zu kurz kommt, dass wir katholische Gläubige gerade in diesen Pandemie-Zeiten über mehr und Wichtigeres zu sprechen haben. Über Gottvertrauen, Geborgenheit, Hilfsbereitschaft und den Trost des Gebets.

    Zur Person: Thomas Sternberg, 1952 im Sauerland geboren, ist seit 2015 Präsident des ZdK, des obersten katholischen Laiengremiums. Er war CDU-Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen und von 1988 bis 2016 Direktor der Katholischen Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster.

    Die Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) findet wegen der Corona-Pandemie digital statt - vom 23. bis 25. Februar. An ihr nehmen 68 DBK-Mitglieder teil - darunter die Bischöfe aus den 27 Bistümern. Im Mittelpunkt der Beratungen steht ein "Studientag zu den Erfahrungen mit Kirchenaustritten und Kirchenverbleib". "Vor dem Hintergrund der in der Herbst-Vollversammlung 2020 analysierten Kirchenstatistik sollen zukunftsorientierte Perspektiven und Chancen einer Mitgliederorientierung diskutiert werden", heißt es vonseiten der DBK.

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