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Interview: Kubicki: Omikron gibt uns eine neue Chance, mit Corona fertig zu werden

Interview

Kubicki: Omikron gibt uns eine neue Chance, mit Corona fertig zu werden

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    FDP-Vize Wolfgang Kubicki wurde aus seiner Quarantäne für das Live-Interview mit den Politikredakteuren Margit Hufnagel und Michael Stifter zugeschaltet.
    FDP-Vize Wolfgang Kubicki wurde aus seiner Quarantäne für das Live-Interview mit den Politikredakteuren Margit Hufnagel und Michael Stifter zugeschaltet. Foto: Uli Wagner

    Herr Kubicki, Sie sind derzeit wegen einer Corona-Infektion in Quarantäne auf Mallorca, wo Sie kurz Ferien machen wollten. Wie geht es Ihnen?

    Wolfgang Kubicki: Mir geht es sehr gut, abgesehen von der Tatsache, dass ich meine Räumlichkeiten nicht verlassen darf. Ich habe leichte Erkältungssymptome, aber ein Glas Sauvignon Blanc hilft als Stimmungsbooster über die Tristesse des Alltags hinweg.

    Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagt, die Lage hier sei weit schlechter als die Stimmung im Land. Ist das wirklich der richtige Moment, um uns alle locker zu machen mit den Corona-Regeln?

    Kubicki: Es geht nicht darum, dass wir uns mit Corona locker machen. Die verfassungsrechtliche Grundlage, um beim Pandemie-Management in Grundrechte einzugreifen, ist, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Auch Karl Lauterbach sagt, dass eine Überlastung des Systems nicht zu befürchten ist. Wir haben zwar wie alle anderen europäischen Länder riesige Infektionszahlen, aber keinen so starken Zulauf auf den Krankenstationen, vor allem nicht auf der Intensivstation. Und das ist der Maßstab. Insofern müssen wir die Maßnahmen auf das nötige Maß begrenzen. Ähnlich wie es alle anderen europäischen Länder machen und gemacht haben: Österreich, Schweiz, Dänemark, Norwegen, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien.

    Sie fordern schon lange das Zurückfahren der Maßnahmen. Ist der FDP ihr Freiheitsideal wichtiger als die Gesundheit der Bürger?

    Kubicki: Ich war nie ein Verfechter eines Freedom Days. Mein Freedom Day war der Tag meiner zweiten Impfung. Das hat mir die Sorge vor einer schweren Erkrankung genommen und das erlebe ich auch gerade jetzt wieder. Es geht um die verfassungsrechtlichen Grundlagen: Wir können nicht einfach willkürlich in Freiheitsrechte eingreifen. Wir haben keine drohende Überlastung des Gesundheitssystems. Auch die anderen Länder um uns herum liefern ihre Bevölkerung der Pandemie nicht schutzlos aus, im Gegenteil. Österreich, die Schweiz und die Niederlande haben eine deutlich höhere Inzidenz als Deutschland und dennoch ihre Maßnahmen ohne eine Überlastung beendet. Wir müssen den gleichen Weg gehen, sonst sind wir der Geisterfahrer in Europa. Ich werde in einigen Bereichen auch weiterhin eine Maske tragen, aber das zu verpflichten, halte ich rechtsstaatlich nicht mehr für geboten. Wir müssen von einer angstbasierten zu einer rationalen Corona-Politik zurückkehren.

    Wo werden Sie noch Maske tragen?

    Kubicki: Auf jeden Fall im öffentlichen Personennahverkehr, in der U-Bahn hat man meist gar keine Möglichkeit, Abstände einzuhalten. Wahrscheinlich auch bei Massenveranstaltungen oder in Restaurants, bevor man seinen Platz bekommt. Ich kann auch jedem nur empfehlen, für eine absehbare Zeit bis zum Sommer Masken dort zu tragen, wo sich Menschen zusammenballen, die man nicht kennt, und man keinen Abstand halten kann.

    Aber dennoch sind Sie angesichts der Rekordinfektionszahlen nicht im Team Vorsicht? 

    Kubicki: Ich bin im Team Rechtsstaat und Vernunft, aber ich kann mit solchen Kategorien nichts anfangen. Wir werden erleben, dass diese hohen Zahlen noch weiter steigen und anschließend werden sie ohne Belastung des Gesundheitssystems wieder fallen. Es gibt kein anderes europäisches Land, das Maßnahmen verstärkt. Im Gegenteil, alle lockern, weil sie festgestellt haben, die Omikron-Variante hat uns eine neue Chance gegeben, mit dem Virus anders fertigzuwerden. In den Bereichen, wo es darauf ankommt, in Krankenhäusern, in Altenheimen, in Kindertagesstätten, in Schulen, bleiben Tests und Maßnahmen angeordnet und auch möglich. Mehr brauchen wir gegenwärtig nicht.

    Auch Ihre Infektion bewegt Sie nicht dazu, Maßnahmen zu verlängern?

    Kubicki: Nein. Die Infektion hat mich in meiner Auffassung bestärkt, dass die Vielzahl der Maßnahmen angesichts der Omikron-Variante ohnehin schon keinen großen Sinn mehr macht. Wir werden uns alle irgendwie infizieren müssen und Gott gebe uns das Schicksal in die Hand, dass es nur milde Verläufe sind und dass wir dann einen Status erlangen, der tatsächlich zu einer annähernden europaweiten Immunität führen kann.

    Sie sind auch ein erklärter Gegner einer Impfpflicht. Hat Sie denn Ihre Infektion vielleicht in dieser Frage geläutert?

    Kubicki: Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Ich bin nicht nur geimpft, ich bin auch geboostert und habe mich trotzdem infiziert und kann auch wieder andere anstecken. Das ist das schlagende Argument gegen eine Impfpflicht. Ich bin selbst ein Beispiel dafür. Wir haben bei der Omikron-Variante gelernt, dass die Impfung nicht davor schützt, andere anzustecken. Wir haben möglicherweise zwei Millionen Menschen im Alter über 60 Jahre, die freiwillig entschieden haben, sich nicht impfen zu lassen. Wollen wir diesen Menschen gegen ihren Willen eine Impfung zu ihrem eigenen Schutz aufdrücken? Das wäre für mich in einem Rechtsstaat nur schwer zu ertragen. Selbst wenn eine gefährlichere Variante im Herbst kommen mag, wären wir das einzige Land und die einzige Demokratie, die eine Impfpflicht einführt, nachdem Österreich gerade seine Impfpflicht ausgesetzt hat. Eine wirkliche Impfkampagne wäre viel besser, aber die ist verpufft, obwohl dafür 16 Millionen Euro ausgegeben wurden.

    Warum waren Sie und Ihre Partei dann für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, die viele in der Pflege als Diskriminierung empfinden?

    Kubicki: Ich habe unter dem Eindruck der Delta-Variante für die einrichtungsbezogene Impfpflicht gestimmt, als es darum ging, dass Geimpfte weniger ansteckend sind. Das hat sich mit der Omikron-Variante vollständig verändert, denn wer geimpft ist, kann nun ebenso infektiös sein. Entscheidend ist, dass in Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen getestet wird, ob jemand infektiös ist oder nicht, da spielt der Impfstatus bei der Omikron-Vari-ante überhaupt keine Rolle mehr. Deshalb könnte die einrichtungsbezogene Impfpflicht wieder vollständig entfallen. Aber um es klar zu sagen: Die Menschen sollen sich impfen lassen, weil ich selbst ein lebendes Beispiel dafür bin, dass es bei einer Impfung nur einen milden Verlauf gibt. Aber wir haben auch milde Verläufe bei Menschen, die nicht geimpft sind. Das Coronavirus hält sich nicht an die Frage des Impfstatus, sondern es macht, was es will.

    Corona ist inzwischen in den Hintergrund getreten vor dem Krieg in der Ukraine. Was haben Sie empfunden, als Wladimir Putin mit seiner Armee das Nachbarland überfallen hat?

    Kubicki: Ich kann das kaum beschreiben. Es war eine maßlose Enttäuschung, eine maßlose Wut, weil ich mir so einen Angriffskrieg auf ein souveränes Land nie mehr vorstellen konnte. Ich hatte zugleich das Gefühl, dass fast 50 Jahre meines politischen Wirkens zusammenbrechen. Ich stehe in der Tradition der Entspannungspolitik. Putins Regime hat aber offenbart, dass unter ihm Russland tatsächlich ein aggressiver Nachbar ist, den man eingrenzen muss und mit dem man nur schwer Gespräche führen kann. Wenn man die Bilder aus der Ukraine sieht, muss man sagen, der Mann ist schlicht und ergreifend ein Kriegsverbrecher im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand jemals wieder mit ihm an einen Tisch setzen und vernünftige Gespräche führen wird. Das muss Russland lösen. Sonst werden wir eine jahrzehntelange Eiszeit zwischen Russland und der Europäischen Union und anderen vernünftigen Staaten haben. Das können wir uns als Deutsche nicht wünschen. Es geht da wirklich um Putin. Ich habe unglaublich viele herzliche Beziehungen nach Russland, diese Menschen haben es nicht verdient, von einem Diktator dieser Art und Weise an ihrem weiteren Leben gehindert zu werden.

    Hätte man Putin schon früher bei der Krim-Annexion in die Schranken weisen müssen? Haben Sie sich selber auch in ihm getäuscht?

    Kubicki: Ja, ich habe mich persönlich tatsächlich auch getäuscht und war überrascht. Bei der Krim stellt sich die Frage, was man damals an der Seite der Ukraine hätte machen können. Wir können auch heute nicht in der Ukraine militärisch aktiv werden, weil das eine unmittelbare Konfrontation mit Russland auslösen und dann den Krieg auch nach Deutschland tragen würde. Wir müssen rational bleiben. Die Sanktionen, die jetzt von der gesamten westlichen Welt ergriffen wurden, zwingen Russland wirtschaftlich in die Knie. Bei der Annexion der Krim waren viele von uns noch der Auffassung, dass man das anders lösen kann. Mit dem Angriffskrieg auf das Territorium der Ukraine sind alle Dämme gebrochen. Wir werden mindestens ein bis zwei Jahrzehnte brauchen, um ein vernünftiges Verhältnis zwischen Deutschland und Russland, zwischen Europa und Russland wiederherstellen zu können. Auch diese große Schuld trägt Putin auf seinen Schultern.

    Die Koalition ist erst 100 Tage im Amt und muss mit dem Krieg nun viele ihrer Pläne ändern. Wird das zu einer Zerreißprobe oder schweißt das die Ampel zusammen?

    Kubicki: Wir sind noch in den Kinderschuhen, aber die Krise zwingt uns dazu, schneller erwachsen zu werden, als wir es eigentlich wollten. Wir haben in den letzten 100 Tagen gesehen, dass trotz unterschiedlicher Auffassungen es auf allen Seiten den Willen gibt, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen, die alle mittragen können. Ich habe bereits viele Koalitionen mitgemacht, aber noch keine, bei der das gemeinsame Verständnis für eine vernünftige Lösung so grundlegend war wie gegenwärtig. Ich habe noch keine Koalition erlebt, bei der die einzelnen Parteien bereit sind, bis an die Schmerzgrenze zurückzustecken, wenn es darum geht, eine gemeinsame Lösung zu finden. Also kann ich nur sagen, diese Koalition wird besser als alle Koalitionen vorher in der Lage sein, mit den Herausforderungen fertigzuwerden. Gerade weil wir von unterschiedlichen Ausgangslagen herkommen und deshalb alles aufnehmen können, was auch die Bevölkerung umtreibt.

    Wie weit geht die Nähe inzwischen? Gehen Sie mit Karl Lauterbach ein Bier oder einen Wein trinken?

    Kubicki: Das wird Sie überraschen, aber wir haben ein persönlich sehr gutes Verhältnis zueinander. Wir akzeptieren beide, dass er der bessere Mediziner ist, aber ich der bessere Jurist. Und wir haben auch schon was zusammen getrunken, so ist das nicht. Und wir werden mit Sicherheit auch, wenn sich die Pandemie entspannt, gemeinsam ein Gläschen Wein trinken. Wir sind nicht nur Teil der gleichen Koalition, wir haben auch beide den gleichen Ansatz: Wir wollen für die Menschen in Deutschland nur das Beste.

    Wenn er der bessere Mediziner und Sie der bessere Jurist sind, wer ist dann der bessere Politiker von Ihnen beiden?

    Kubicki: Diese Frage müssen die Wähler entscheiden. Aber wir äußern uns beide manchmal nicht sehr klug, um es freundlich zu formulieren.
     

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