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Interview: Wirtschaftsexperte: „Russland ist auf dem Weg zu einem großen Nordkorea“

Interview

Wirtschaftsexperte: „Russland ist auf dem Weg zu einem großen Nordkorea“

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    Ein Gasembargo gegen Russland lehnt Wirtschaftsprofessor Jens Südekum wegen der enormen Schäden in der Industrie ab.
    Ein Gasembargo gegen Russland lehnt Wirtschaftsprofessor Jens Südekum wegen der enormen Schäden in der Industrie ab. Foto: Axel Heimken, dpa

    Herr Professor Südekum, Russland hat die Ukraine überfallen, Präsident Wladimir Putin lässt Städte und Dörfer dem Erdboden gleichmachen. Sollte Deutschland ökonomisch bis an die Schmerzgrenze gehen, um ihn zu stoppen?

    Jens Südekum: Wir sollten Dinge tun und Sanktionen verhängen, die ihm maximal schaden. Wir wollen ja, dass Putin diesen Krieg verliert und vielleicht am Ende sogar von der Macht lassen muss. Aber wir sollten dabei das Prinzip nicht außer Acht lassen, dass diese Beschlüsse Putin mehr schaden müssen als uns selbst. Das bedeutet, die Folgen der Sanktionen, die auf uns zurückschlagen, müssen wir auch durchhalten können. Bei der Energieversorgung haben wir uns in eine große Abhängigkeit von Russland begeben.

    Spielen Sie damit auf ein totales Energieembargo an, wie es auch von einigen Ihrer Kollegen gefordert wird?

    Südekum: Genau. Es geht um Öl, Kohle und Gas aus Russland. Kohle lässt sich relativ leicht ersetzen. Wir werden schon in den nächsten Wochen aufhören, sie aus Russland zu importieren. Einspringen kann zum Beispiel Australien. Russland wiederum kann die überschüssige Kohle nach Indien und China verkaufen. Das ist so eine Art Drehtüreffekt. Bei russischem Öl funktioniert es im Prinzip genauso, auch wenn es etwas länger dauert. Wegen dieses Verschiebebahnhofs erwarte ich nicht, dass es dadurch zu massiven Preisaufschlägen kommt.

    Gas ist das Problem…

    Südekum: Ein Gasembargo ist eine völlig andere Dimension. Es würde für uns massive wirtschaftliche Schäden mit sich bringen. Gas ist in der kurzen Frist bis zum nächsten Winter einfach nicht ersetzbar. In Deutschland wird es nicht nur zum Heizen gebraucht, sondern ist in wichtigen Industrien, also zum Beispiel der Chemie, der Metallverarbeitung und der Glasherstellung unverzichtbar. An denen hängen wieder andere Wirtschaftszweige, so dass es zu einer Kettenreaktion kommen könnte. Hier ist abzuwägen, ob ein vom Westen verhängter Gasstopp uns nicht mehr weh tut als Russland, wo er natürlich auch wirtschaftliche Verwerfungen auslösen würde. Dem Staat fehlten Einnahmen, der Rubel gäbe im Kurs nach, die Inflation würde steigen. Ob das Putin aber entscheidend schwächt, da habe ich große Zweifel, denn er hat weiterhin Reserven, und Länder wie China helfen ihm womöglich auch, wenn er nicht direkt bezahlen kann.

    Es gibt Kollegen von Ihnen, die haben vor Kurzem eine Studie gerechnet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Schäden gar nicht so groß ausfallen würden. Sie sagen voraus, dass die Wirtschaft nur um höchstens 3 Prozent schrumpfte.

    Südekum: Ich habe große Hochachtung vor der Arbeit der Kollegen. Das ist ein wertvoller Diskussionsvorschlag. Aber die Folgen eines vollständigen Embargos auf die Wirtschaft sind komplex und die Unsicherheit ist groß, ob sich das wirklich in einem Modell ermitteln lässt. Wir reden ja von einem kalten Entzug und da kann sich die Politik nicht auf eine Studie verlassen.

    Was können Europäer und Amerikaner noch tun, um Russland zu schwächen?

    Südekum: Es gibt unterhalb des Totalverzichts auf russische Energie weitere Möglichkeiten, die jetzt diskutiert werden, zum Beispiel einen Zoll auf den Import aufzuschlagen. Das könnte natürlich dazu führen, dass Russland als Reaktion von sich aus den Hahn zudreht. Die Folgen für die deutsche Wirtschaft wären die gleichen. Entscheidend sind jetzt die Waffenlieferungen. Wir sollten der Ukraine so viel Material wie möglich zur Verfügung stellen, ohne selbst Kriegspartei zu werden. Putin muss diesen Krieg verlieren.

    Werden in Deutschland die Preise für Sprit, Strom und Gas steigen, wenn die Importe aus Russland wegfallen?

    Südekum: Bei Gas wird das auf jeden Fall passieren. Billiges russisches Gas wird durch teureres Flüssiggas ersetzt. Das wirkt sich auf die Strompreise aus und auch auf Produkte bestimmter Branchen, zum Beispiel aus der Chemieindustrie oder von Papierfabriken. Für das Heizen werden Verbraucher und Unternehmen auch mehr zahlen müssen. Für ein paar Jahre wird das so sein und dann hoffentlich in sein Gegenteil kippen, wenn der schnelle Ausbau von Wind- und Solarkraft seine Früchte trägt. Schon heute ist Strom aus erneuerbaren günstiger als aus fossilen Kraftwerken. Wir brauchen jetzt wirklich einen Booster für grünen Strom.

    Richtig wirkungsvoll war das Einfrieren des russischen Devisenschatzes, der bei anderen Zentralbanken liegt. In anderen Diktaturen wird man diesen Schritt genau verfolgt haben. Ist das der Anfang eines neuen Finanzsystems?

    Südekum: Das Einfrieren kam überraschend und hat mit anderen Sanktionen den Rubel schwer unter Druck gesetzt. Das ging nur, weil das Weltfinanzsystem nach wie vor auf dem Dollar aufbaut und damit westlich dominiert ist. In China wird sich die Staatsspitze das genau anschauen, für sie war es ein Weckruf. Ob sich schon kurzfristig eine Verschiebung weg vom Dollar ergibt, weiß ich nicht. Das muss man beobachten. Dass China daran ein Interesse haben könnte, ist aber offensichtlich.

    Wenn Sie in die Zukunft schauen – wird es eine Zeit geben, in der Deutschland und Europa mit Russland wieder Handel treibt?

    Südekum: Das wird sehr stark davon abhängen, wie der Krieg ausgeht. Solange Putin an der Macht ist oder ihm ein Putin 2.0 folgt, ist Russland auf dem Weg zu einem großen Nordkorea. Die Sanktionen des Westens, der Abzug vieler Unternehmen vom russischen Markt, haben das Land ökonomisch 20 bis 30 Jahre zurückgeworfen. Wenn eine neue, demokratische Regierung an die Macht kommen sollte, die die Großmachtphantasien ablegt, kann ich mir vieles vorstellen. Zum Beispiel, dass grüner Wasserstoff durch die de facto fertige Pipeline Nord Stream 2 nach Europa fließt. Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen und zu schnell auf gute Beziehungen umstellen. Denn dann würden wir das Regime konsolidieren und in ein paar Jahren gäbe es den nächsten und vielleicht noch größeren Konflikt.

    Deutschland plant die Loslösung von russischer Energielieferung. Zu welchem Preis?

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