Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Christian Lindner im Interview: "Wir tun das, was für das Land richtig ist"

Interview

"Wir tun das, was für das Land richtig ist"

    • |
    "Unsere Sozialsysteme sind allerdings sehr komplex geworden und haben oft paradoxe Ergebnisse", kritisiert Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner.
    "Unsere Sozialsysteme sind allerdings sehr komplex geworden und haben oft paradoxe Ergebnisse", kritisiert Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Herr Lindner, es gibt ein erhöhtes Bürgergeld, womöglich bald eine Kindergrundsicherung. Wenn der Strompreis zu hoch ist, springt der Staat ein, in vielen Fällen werden Subventionen gezahlt. Eigenverantwortung, so scheint es, lohnt sich kaum noch. Haben wir uns in Deutschland vom Leistungsprinzip verabschiedet?
    CHRISTIAN LINDNER: Der Staat musste in Krisen einspringen. Aber wir dürfen den Exit aus dem Krisenmodus nicht verpassen. Mit Subventionen schafft man keine Wettbewerbsfähigkeit. Der Sozialstaat sollte bei Schicksalsschlägen zur Stelle sein, aber nicht Leistungsanreize nehmen. Es entspricht auch dem Gerechtigkeitsgefühl der großen Mehrheit, dass der, der arbeitet, mehr hat als der, der nicht arbeitet. Die gegenwärtige Wachstumsschwäche überwinden wir daher nur durch Anerkennung von Leistung. Ein Beispiel dafür wäre, Überstunden ab der 41. Wochenstunde steuerlich zu begünstigen. 

    Dagegen laufen die Gewerkschaften Sturm. 
    LINDNER: Ich wundere mich mitunter über die DGB-Vorsitzende. Mit der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich werden wir unser wirtschaftliches Fundament nicht stärken. Der Blick auf das Arbeitsleben ist bei Frau Fahimi leider einseitig. Denn mir berichtet zum Beispiel das Handwerk, dass gut bezahlte Mitarbeiter neben der Vollzeitstelle noch einen Minijob in einem anderen Betrieb haben, weil sie zum Beispiel den Traum von der eigenen Wohnung verfolgen. An diese fleißigen Menschen denke ich, wenn ich die Überstunden steuerlich begünstigen will. Davon profitieren wir alle, weil der Arbeitskräftemangel das Land Wachstum kostet.

    In der geplanten Kindergrundsicherung sieht die FDP eher eine Schwächung des Leistungsprinzips. Doch immerhin gehen die Grünen auf Sie zu, signalisieren ein Entgegenkommen bei der Zahl der benötigten Beamten. Was wird nun aus diesem Projekt, das eigentlich schon geeint war?
    LINDNER: Die Kindergrundsicherung war unter zwei Voraussetzungen geeint. Erstens darf es keinen überproportionalen Verwaltungsaufwand geben, sondern es muss weniger Bürokratie geben durch Digitalisierung. Zweitens dürfen wir keine Anreize setzen, dass Menschen aufgrund höherer Sozialleistungen nicht mehr arbeiten gehen. Beide Voraussetzungen sind offenbar nicht gegeben. Denn es müssen offenbar bis zu 5000 Staatsbedienstete eingestellt werden, damit 70.000 Menschen keinen Anreiz mehr haben zu arbeiten. Denn genau dies ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie des Ministeriums von Frau Paus. Man stelle sich vor, dass wir Milliarden Steuerzahlermittel einsetzen, damit die ganze Stadt Aschaffenburg aus dem Arbeitsleben ausscheidet. 

    Ist die Kindergrundsicherung damit tot?
    LINDNER: Es muss nachgearbeitet werden. Wir müssen uns auch stärker mit den Ursachen der Kinderarmut beschäftigen. Die Ursache ist zumeist die Erwerbslosigkeit der Eltern. Sie ist oft begründet in mangelnder Integration und geringen deutschen Sprachkenntnissen. Das dürfen wir nicht noch verstärken, indem der Anreiz vergrößert wird, sich keine Arbeit zu suchen. Vielleicht wäre das Geld der Steuerzahler besser eingesetzt, wenn wir in Kita-Plätze, Schulen und Sprachförderung investieren.

    Gilt das Leistungsprinzip in Deutschland also nur noch eingeschränkt?
    LINDNER: Die Mehrheit der Menschen hat ein klares Gerechtigkeitsgefühl. Unsere Sozialsysteme sind allerdings sehr komplex geworden und haben oft paradoxe Ergebnisse. Bei einer vierköpfigen Familie gibt es Fälle, da macht es beim verfügbaren Einkommen keinen Unterschied, ob das monatliche Bruttoeinkommen 3000 oder 5000 Euro beträgt. Kinderzuschlag, Wohngeld, Sozialabgaben und Steuern nivellieren das. Aus diesem Grund erinnere ich an den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, das Steuer- und Transfersystem so zu überarbeiten, dass zusätzliche Anstrengung und zusätzlicher Einsatz immer einen Unterschied machen.

    Kann das die Koalition in ihrem angeschlagenen Zustand noch schaffen?
    LINDNER: Von angeschlagen kann keine Rede sein. Klar ist, es gibt unterschiedliche Sichtweisen. Wir haben aber bisher immer tragfähige Lösungen gefunden. Beispielsweise haben wir ja 2023 und 2024 die Steuerlast für die arbeitende Bevölkerung deutlich gesenkt, um heimliche Steuererhöhungen der sogenannten kalten Progression zu vermeiden. Es muss in diesem Jahr noch einen Nachschlag für die Steuerzahler geben. Die Erhöhung des Bürgergelds hat nämlich die unmittelbare Konsequenz, dass auch der Steuerfreibetrag erhöht werden muss. Ich bedauere, dass dies von SPD und Grünen noch blockiert wird, obwohl es sogar ein Auftrag der Verfassung ist. Ich arbeite zudem daran, dass auch 2025 und 2026 die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt wird, um auf die Preisentwicklung zu reagieren.

    Das ist einerseits schön, bedeutet aber, dass Sie mehr Geld an anderer Stelle auftreiben müssen. Für das Jahr 2025 stehen etliche Milliarden Euro im Raum. Woher wollen Sie die Mittel nehmen?
    LINDNER: Natürlich haben wir erheblichen Konsolidierungsbedarf, ohne dass ich jetzt Zahlen nennen kann. Es würde uns helfen, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Das brächte höhere Steuereinnahmen und sinkende Sozialausgaben. Teile der SPD wollen aber die Schuldenbremse aufweichen, um Reformen im Sozialstaat zu tabuisieren. Bei mir ist es genau umgekehrt: Ich möchte Reformen im Sozialstaat, damit dieser Staat sich nicht durch immer höhere Zinszahlungen auf die Schulden stranguliert.

    Sie wollen die gewaltigen Aufgaben für die Bundeswehr nach dem Auslaufen des Sondervermögens aus dem laufenden Etat bezahlen. Das scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein?
    LINDNER: Das ist es nicht. Ich gehe davon aus, dass wir den Etat für die Bundeswehr ab 2028 um gut 30 Milliarden Euro aufstocken müssen. Wenn wir bis dahin diszipliniert wirtschaften, können wir dann schon die Schuldenquote unseres Staates wieder auf das Niveau vor der Coronapandemie gebracht haben. Dann reduziert sich die Notwendigkeit einer besonderen Tilgung dieser Schulden. Das bringt neun Milliarden Euro. Wenn wir außerdem beim Arbeitsmarkt, bei der Bürokratie, bei den Energiekosten und bei der Steuerbelastung der Wirtschaft die richtigen Schritte gehen, dann werden wir rasch positive Effekte beim Wachstum und auf der Einnahmeseite des Staats sehen. Weiter Disziplin halten und eine Wirtschaftswende sind die Voraussetzungen, dass wir unsere Ziele erreichen. Der scheinbar einfache Weg, Anstrengung durch Schulden zu ersetzen, würde uns Wohlstand und Sicherheit kosten.

    Hält die Ampelkoalition bis zum Schluss durch?
    LINDNER: Bisher haben wir uns trotz aller Geräusche immer auf eine gemeinsame Linie verständigt. Natürlich ist es für mich verstörend, wenn ich auf der Regierungsbank sitze und der SPD-Fraktionsvorsitzende den CDU-Oppositionsführer dazu einlädt, den Koalitionsvertrag der Ampel zu brechen, indem man gemeinsam Verhandlungen über die Schuldenbremse führt. Ich frage mich manchmal in nächtlichen Stunden, was passiert wäre, wenn Herr Merz das Angebot angenommen hätte.

    Und zwar?
    LINDNER: Mindestens eine Koalitionskrise.

    Die eine Frage ist ja, was Sie sich in der Koalition zumuten wollen. Die andere Frage ist, was Sie als Vorsitzender Ihrer Partei zumuten können. Die Umfragewerte im Bund sind nicht gut. Sie haben Ende des Monats einen Parteitag, welches Zeichen soll davon ausgehen?
    LINDNER: Es geht um unser Land. Um die FDP muss sich niemand Sorgen machen. Deshalb spreche ich ja über eine Wirtschaftswende, weil wirtschaftliche Stärke immer Ausdruck unserer geopolitischen Stärke war. Auch der soziale Zusammenhalt in Deutschland basiert auf der Vorstellung, dass man durch eigene Anstrengung im Leben vorankommen kann, dass wir gewappnet sind für Krisen, weil wir über große Reserven verfügen. Der FDP kann es nur gut gehen, wenn es dem Land gut geht. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass dem so ist.

    Weil Sie das tun, sind Sie einerseits mit dem Vorwurf konfrontiert, Opposition in der Regierung zu sein. Andere sagen, Sie tragen alles mit, was die Grünen veranstalten. Ist das die Analyse? Und wenn ja, wie kommt man da raus?
    LINDNER: Die einzige Lösung ist die Orientierung an der Sache. Wir tun das, was für das Land richtig ist. Bei der Bundestagswahl urteilen die Menschen nicht über eine Regierung, sondern über einzelne Parteien und ihr Programm. Wir werden wieder eigenständig in die nächste Wahl gehen. Meine Prognose: Wie bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen wird die FDP deutlich besser abschneiden als die Umfragen das heute abbilden.

    Es gibt Gerüchte, dass das Verbot von Verbrenner-Motoren, das 2035 kommen soll, wieder gekippt wird. Wäre es Ihnen lieber, es würde gleich komplett wegfallen?
    LINDNER: Wir haben gegen den Widerstand von EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen durchgesetzt, dass es im Jahr 2035 eine Ausnahme vom Verbrennerverbot geben wir, wenn Fahrzeuge mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden. Wir sollten aber weiter gehen und generell auf Technologieoffenheit setzen. Synthetische Flüssigkraftstoffe und Biokraftstoffe sind auch ein Weg zur Klimafreundlichkeit. Es gibt nicht nur die E-Mobilität, die faszinierend ist, es gibt auch Alternativen. Der Markt soll dann darüber entscheiden, was wirtschaftlich ist und was die Verbraucher wollen, nicht Politiker und Beamte Das werden wir steuerlich unterstützen. 

    Wie?
    LINDNER: Wir haben verabredet, dass klimafreundliche Kraftstoffe steuerlich so behandelt werden wie Elektromobilität. Der Gesetzentwurf für die Änderungen im Steuerrecht ist fertig und wird innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Ich erhoffe mir davon auch ein Signal an die Industrie, dass die Bundesregierung es ernst meint mit Technologiefreiheit.

    Zur Person

    Christian Lindner wurde am 7. Januar 1979 in Wuppertal geboren. Seit 1995 ist er Mitglied der FDP, seit 2013 deren Bundesvorsitzender. Er absolvierte nach dem Abitur ein Studium der Politikwissenschaft an der Rheinischen Friedrich‐Wilhelms‐Universität Bonn und ist auch Reserveoffizier der Luftwaffe. Seit Dezember 2021 ist er Bundesfinanzminister. Lindner ist verheiratet.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden