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Mojib Latif: "Klimaschutz muss Spaß machen"

Interview

Mojib Latif: "Weniger über Klimaschutz sprechen, mehr über Zukunftsfähigkeit"

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    "Es muss im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft liegen, bei der Transformation vorne dabei zu sein", sagt Klimaforscher Mojib Latif.
    "Es muss im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft liegen, bei der Transformation vorne dabei zu sein", sagt Klimaforscher Mojib Latif. Foto: Carsten Rehder, dpa

    Herr Professor Latif, wir erleben dieses Jahr eine extreme Dürre und Hitze in Brasilien mit gefühlten Temperaturen über 58 Grad. In Spanien könnten angesichts der Dürre bald Tankschiffe Trinkwasser nach Katalonien bringen müssen. Der Klimawandel scheint immer mehr greifbar zu werden. Ist es denn noch realistisch, die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie es im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart war? 
    MOJIB LATIF: Die 1,5 Grad sind überhaupt nicht zu erreichen. Dieser Meinung war ich schon im Jahr 2015, als das Pariser Klimaabkommen verhandelt wurde. Ich habe mich damals gewundert, dass die 1,5 Grad in das Protokoll als Ziel aufgenommen wurden. Es war damals schon nicht zu schaffen und jetzt erst recht nicht. Im Oktober dieses Jahres waren wir schon über den 1,5 Grad verglichen mit der vorindustriellen Zeit, auf das ganze Jahr 2023 gesehen werden wir bereits ein Plus von 1,2 Grad haben. 

    Weshalb hat man das Ziel damals überhaupt aufgenommen? 
    LATIF: Es war aus meiner Sicht eine Art Selbstbestätigung der Politik, vielleicht mit der Hoffnung verbunden, dass die Staaten dann doch mehr für den Klimaschutz unternehmen, als man erwartet hätte. Ich halte das Ziel sogar für kontraproduktiv...

    Weshalb das? 
    LATIF: Manche Menschen geraten in Panik und denken, die Welt geht unter, wenn die 1,5 Grad nicht eingehalten werden. Das Hauptziel von Paris war es aber, die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. 

    Was würde eine Erwärmung von zwei Grad bedeuten? 
    LATIF: Im Prinzip sehen wir die Folgen heute schon. Hierzulande beträgt die Erwärmung übrigens schon deutlich über 1,5 Grad. In Deutschland spielt Starkregen mit seinen Folgen eine Rolle. Die Temperaturextreme gehören ebenfalls zu den dramatischen Folgen. In Hamburg haben wir letztes Jahr 40,1 Grad Hitze erlebt. Das hätte man sich überall träumen lassen, aber nicht in Hamburg! Diese Hitzewellen nehmen zu und fordern auch in Deutschland bereits Tausende Todesopfer. Steigende Meeresspiegel kommen hinzu. Ein Plus von 10 oder 20 Zentimetern klingt immer lächerlich, es reicht aber, dass es unter ungünstigen Umständen zur Katastrophe kommt, wie wir gerade bei der Sturmflut an der Ostsee gesehen haben. In Ostdeutschland nimmt die Sommertrockenheit zu. Wie will man Landwirtschaft betreiben, wenn es kaum regnet? 

    Müssen wir uns stärker an den Klimawandel anpassen? 
    LATIF: Man kann sich ein Stück weit anpassen, aber nicht immer und in allen Fällen wird das möglich sein. Die Extremwetterereignisse werden zunehmen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. 

    In diesem Jahr ist vielen aufgefallen, wie stark sich die Ozeane erwärmen. Welche Folgen hat dies?
    LATIF: Die Ozeane sind fundamental wichtig für das Klimageschehen. Die Erwärmung beeinflusst Meeresströmungen, regional kann dies zu Extremwetterlagen führen, auch zu heftigen Stürmen. Bei höheren Temperaturen verdunstet mehr Wasser, es ist mehr Energie im System und die Wahrscheinlichkeit von Starkregen nimmt zu. Und die Meeresspiegel steigen allein, weil sich das Wasser ausdehnt.

    Was ist die Bedeutung der Ozeane im Klimasystem? 
    LATIF: Zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt, es ist deshalb selbstverständlich, dass sich die Ozeane erwärmen. Die Ozeane nehmen über 90 Prozent der Wärme auf, die durch den Anstieg der Treibhausgase im System zurückgehalten wird. Das stresst die marinen Ökosysteme. Auch im Klimaschutz sind die Weltmeere ein Partner für uns, da sie ein Viertel der CO2-Emissionen binden. Der Nachteil ist, dass dies zu einer Versauerung der Meere führt. Die Folgen für die Meereslebewesen sind oft hart. Wir sehen immer häufiger ein Korallensterben, aber auch Muscheln und Krebse mit ihren Schalen sind gefährdet.

    Reicht es vielleicht gar nicht mehr aus, den Klimawandel einbremsen zu wollen, indem wir weniger Öl, Kohle und Gas verbrennen und damit die CO2-Emissionen senken. Müssen wir nicht gleichzeitig versuchen, CO2 aus der Atmosphäre zu holen? 
    LATIF: Ohne negative Emissionen wird es am Ende wahrscheinlich leider nicht gehen, weil wir nicht schnell genug im Klimaschutz sind. Die Transformation der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität schreitet sehr langsam voran, wir müssen also versuchen, CO2 wieder aus der Atmosphäre heraus zu bekommen. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Einmal die Aufforstung von Wald, der CO2 im Holz bindet. Das reicht aber hinten und vorne nicht. Der zweite Weg sind Technologien. Die stecken aber noch in den Kinderschuhen, kosten gigantisch viel Geld und die Risiken sind häufig nicht erforscht. Man überlegt zum Beispiel, Substanzen in das Meer zu kippen, um das Algenwachstum anzuregen, was dann die CO2-Aufnahme erhöht. Was aber bedeutet das für andere Tiere und Pflanzen im Meer? Man überlegt auch, im Weltall Spiegel zu installieren, die Sonnenlicht von der Erde abwenden. Könnten solche Spiegel aber nicht als Waffe eingesetzt werden? Die Erde als System ist sehr komplex, sodass ich mir nicht anmaßen würde, hier herumzuexperimentieren. Manche Lösung klingt für mich wie der Ruf nach dem Zauberlehrling. Wollen wir uns auf solche unsicheren Pfade begeben? Wollen wir gigantische Finanzmittel aufwenden, um krampfhaft an den fossilen Energien festzuhalten?

    Der bessere Weg wäre also, CO2-Emissionen gleich von Beginn an zu vermeiden. Was erwarten Sie sich von der Klimakonferenz in Dubai? 
    LATIF: Die Klimakonferenzen – die COPs – haben das Problem, dass sich dort Vertreter von fast 200 Ländern mit völlig unterschiedlichen Interessen treffen. Darunter sind Länder wie Russland, Saudi-Arabien oder auch Norwegen, die sich auf absehbare Zeit nicht bereit erklären werden, ihre Ölförderung aufzugeben, oder China, das nicht auf Kohle verzichten wird. Es ist gut, dass das Thema auf internationaler Bühne behandelt wird. Aber einigen kann man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Man darf nichts Großartiges von diesen COPs erwarten. 

    Bräuchte man andere Formate? 
    LATIF: Es braucht mehr Formate. Falls man im Klimaschutz vorankommen will, kann man nicht auf den Letzten warten, man bräuchte eine Allianz der Willigen. Deutschland sollte Teil einer solchen Allianz der Willigen sein, ebenfalls die USA. Kanzler Olaf Scholz hat dies "Klima-Klub" genannt. Ein solcher Klub baut die erneuerbaren Energien aus, treibt die Nachhaltigkeit voran, er muss sich dann aber auch ein Stück weit abschotten gegenüber Ländern wie China – zur Not Zölle erheben. Es kann nicht sein, dass diese Länder dann mit nicht-nachhaltigen Produkten unsere Märkte überschwemmen und unsere Industrie kaputtgeht. 

    Kann Klimaschutz ohne Länder wie China oder Russland gelingen? 
    LATIF: Alle Länder müssen gemeinsam handeln, wir stehen als Menschheit vor einer neuen Herausforderung. Es ist völlig irrelevant, wo das CO2 ausgestoßen wird, es verweilt über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende in der Atmosphäre. Die Pole schmelzen, auch wenn dort kein Mensch CO2 ausstößt. Um das Problem zu lösen, müssen wir wegkommen von den fossilen Brennstoffen. Wir müssen die Förderländer bewegen, Öl, Kohle und Gas in der Erde zu belassen. Das bedeutet aber, dass es faire Deals geben muss. Wir müssen ihnen Geschäftsmodelle anbieten, mit denen sie leben können. Saudi-Arabien hat erneuerbare Energien im Überfluss. Mit Fotovoltaik lassen sich dort große Mengen an grünem Strom und damit grüner Wasserstoff erzeugen, den wir dann abkaufen. So wird ein Schuh daraus.

    Manchmal wirkt die Bevölkerung inzwischen erschöpft, wenn man das Wort Klimakrise ausspricht...
    LATIF: Man kann die Erschöpfung gut verstehen, da zuletzt eine Krise die andere gejagt hat, erst die Finanzkrise, die Euro-Krise, später die Corona-Krise, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Energiekrise und die Inflation. Jetzt der Nahost-Krieg. Ich verstehe, dass die Menschen nichts mehr von "Krise" hören wollen. Wir müssen aber aufpassen, dass der Klimawandel nicht unterschätzt oder zum Brandbeschleuniger für andere Krisen wird. Einen Deich zu erhöhen ist nicht billig, Wetterextreme nehmen zu, manche politische instabile Region kann durch die Folgen kippen... Letztlich geht es um die Zukunft von uns Menschen. Klimaschutz bedeutet Zukunftsfähigkeit.

    Rentieren sich Deutschlands ganze Klima-Anstrengungen überhaupt, wenn der Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen gerade zwei Prozent beträgt? 
    LATIF: Historisch gesehen ist dies nur die halbe Wahrheit. Über die Zeit gerechnet ist Deutschlands Anteil an den CO2-Emissionen größer. Deutschland hat zudem mit der Energiewende bewiesen, dass es einen Einfluss hat. Die Bundesrepublik hat praktisch im Alleingang die erneuerbaren Energien bezahlbar gemacht. In China und den USA boomen heute die Erneuerbaren. Hätte Deutschland nicht damit angefangen, wären wir heute nicht so weit wie wir sind. Zudem muss es im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft liegen, bei der Transformation vorne dabei zu sein. In den USA treibt Präsident Joe Biden mit dem Inflation Reduction Act grüne Technologien voran. Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht zurückfallen wie in anderen Zukunftstechnologien. Wir sollten weniger über Klimaschutz sprechen, mehr über Zukunftsfähigkeit. Darüber, wie wir unseren Wohlstand und die Industrie erhalten. 

    Das Heizgesetz in Deutschland trug nicht unbedingt zu einer positiven Debatte bei, oder? 
    LATIF: Das Heizgesetz war natürlich ein Kommunikationsdesaster. Man hätte vor dem Heizgesetz das Klimageld für die Menschen einführen müssen. Die Menschen müssen sehen, dass sie nicht nur belastet werden, sondern auch entlastet. Sonst bekommt man nie die Unterstützung der Bevölkerung. Einfach gesagt, Klimaschutz muss auch Spaß machen. 

    Wo sehen Sie Zukunftschancen? In Wasserstoff?
    LATIF: Ja, grüner Wasserstoff ist eine Chance. Die Herstellung ist allerdings energieintensiv, wir haben aber kein Energieproblem auf der Erde. In der Sahara, in Texas oder Saudi-Arabien gibt es ein unglaubliches Potenzial für Sonnenenergie und Wind. Es ist wichtig zu erkennen, dass die erneuerbaren Energien die Zukunft sind. Unternehmen wie Intel haben sich in Ostdeutschland ja auch deshalb angesiedelt, weil es dort große Mengen an erneuerbarer Energie geben wird. 

    Ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt ein Rückschlag für den Klimaschutz?
    LATIF: Genau kennt man die Folgen des Urteils noch nicht. Ich sehe aber mit Sorge, dass manche Politiker jetzt fordern, Investitionen in den Klimaschutz auf den Prüfstand zu stellen. Wenn sich diese Denkweise durchsetzt, wäre das katastrophal, insbesondere für die Glaubwürdigkeit Deutschlands auf den Klimakonferenzen. Wenn die Investitionen nicht getätigt werden, wäre dies auch ein Bremsklotz für die deutsche Wirtschaft

    Zur Person

    Mojib Latif, 69, ist Meteorologe und Ozeanograph. Er arbeitet als Senior-Professor für das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (Geomar) und die Universität Kiel. Seit 2017 ist er Präsident der deutschen Gesellschaft des Club of Rome. Zuletzt erschien „Heißzeit: Mit Vollgas in die Klimakatastrophe – und wie wir auf die Bremse treten“.

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