Frau Högl, Sie sind gerade aus Mali zurückgekommen. Die Regierung in Bamako schränkt den Einsatzradius der Bundeswehr stark ein. Verteidigungsminister Pistorius hat bereits einen früheren Abzug als Mai 2024 ins Spiel gebracht. Wie haben Sie die Situation wahrgenommen?
EVA HÖGL: Der Einsatz findet unter massiven Einschränkungen statt. Die malischen Machthaber verweigern beispielsweise den Überflug mit unseren Aufklärungsdrohnen Heron und Luna. Aber der Auftrag der deutschen Soldaten ist, Lagebilder zu liefern. Gleichzeitig sichert so eine Drohne mit ihren Bildern die Patrouillen, wenn sie hinausgehen. Deswegen stellt sich die Frage, wie sinnvoll der Einsatz dort in Mali überhaupt noch ist. Und daran mache ich ein Fragezeichen. Wenn unsere Systeme keine Überfluggenehmigung bekommen, dann ist der Auftrag nur eingeschränkt durchführbar.
Was heißt das in der Konsequenz?
HÖGL: Der Verteidigungsminister hat gesagt, es sei Zeit- und Geldverschwendung, noch länger in Mali zu bleiben. Das waren sehr deutliche Worte. Die Regierung hatte vorgeschlagen, bis Mai 2024 zu bleiben. Der Bundestag muss darüber entscheiden. Dass der Einsatz endet, halte ich für richtig, er ist nicht mehr sinnvoll und ordentlich durchführbar. Es ist aber auch richtig, jetzt nicht holterdiepolter abzuziehen. Wir sollten uns Zeit für einen geordneten Rückzug nehmen. Für den Fall, dass die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten gefährdet ist, beinhaltet das Mandat eine Klausel für einen früheren Rückzug. Momentan funktioniert aber die Rettungskette, zumindest das ist beruhigend.
Wie schnell könnte ein Abzug erfolgen?
HÖGL: Die Bundeswehr braucht ungefähr ein Jahr. Die Verantwortlichen vor Ort haben sich vorgenommen, im Frühjahr mit dem Rückzug zu beginnen, so wie die Regierung es vorgeschlagen hat. Dann ist Deutschland pünktlich im Mai 2024 raus. Gleichzeitig wird überlegt, ob man einzelne Fähigkeiten schon deutlich früher rauszieht. Die Drohne Heron kann ja, wie gesagt, überhaupt nicht fliegen. Da macht eine Stationierung in Mali wenig Sinn.
Es gibt Berichte über eine hohe Zahl psychischer Erkrankungen im Einsatz-Kontingent in Mali. Wie haben Sie da die Situation erlebt?
HÖGL: Es kommt bei Auslandseinsätzen leider häufiger vor, dass unsere Soldatinnen und Soldaten nicht völlig unbeschädigt an der Seele und manchmal auch am Körper bleiben. Es gibt dafür in der Bundeswehr ein breit aufgebautes Hilfesystem. In Mali habe ich mich dazu unter anderem mit der Militärseelsorge, mit dem Psychologen-Team und den Sanitätskräften ausgetauscht. Das ist ein absolut wichtiges Thema. Die ernste Sicherheitslage in Mali lässt die seelische Gesundheit unserer Soldatinnen und Soldaten nicht unberührt.
In der Zivilbevölkerung lösen Meldungen über Panzerlieferungen Ängste aus, es gibt die Sorge, dass Deutschland in diesen Krieg hineingezogen wird. Gibt es diese Ängste in der Truppe auch?
HÖGL: Bei all meinen Truppenbesuchen stelle ich fest, dass die Soldatinnen und Soldaten es für dringend erforderlich halten, dass die Ukraine unterstützt wird – mit allem, was sie braucht. Und sie sagen mir auch mehrheitlich, dass die Ukraine unseren Kampf um Freiheit, Frieden, Demokratie und Rechtsstaat führt. Deswegen habe ich keine kritischen Stimmen vernommen, sondern im Gegenteil auch Unterstützung für ein sehr abgewogenes Vorgehen. Die Bundeswehr ist andererseits sehr betroffen davon, dass viel Gerät abgegeben wird. Das reißt heftige Lücken. Dafür herrscht Verständnis. Aber die Soldatinnen und Soldaten erwarten zu Recht, dass das Gerät schnell wieder beschafft wird und die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen zügig ausgegeben werden.
Was ist denn in Bezug auf Panzerlieferungen Ihre persönliche Meinung? Sie sind ja langjähriges SPD-Mitglied, diese Debatte wird ja in der Partei auch geführt.
HÖGL: Für mich ist der Gradmesser, dass die Lücken bei der Bundeswehr nicht zu groß werden. Deswegen bin ich immer zurückhaltend, wenn es um Gerät der aktiven Truppe geht. Wir sollten zunächst das Material in den Blick nehmen, das bei der Industrie zur Verfügung steht, zum Beispiel die Marder, aber auch die Leopard 1. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass wir die Ukraine mit allem unterstützen sollten, was sie benötigt. Aber wir müssen die eigene Einsatzbereitschaft im Blick behalten.
Unmittelbar nach der Leopard-2-Entscheidung ging ja gleich die Debatte um Kampfjets los. Ihre Meinung?
HÖGL: Als Wehrbeauftragte beteilige ich mich an dieser Debatte nicht. Mein Blickwinkel ist der, wie es den deutschen Soldaten geht.
Gerade kommen aus vielen europäischen Ländern Rückmeldungen, dass sie gar keine oder nur wenige Leopard-Panzer liefern können. Was bedeutet es für die Bundeswehr, wenn nun zwei Bataillone Leopard geliefert werden?
HÖGL: Die 14 Leoparden, die aus dem Panzerbataillon 203 in Augustdorf kommen, reißen dort eine gewaltige Lücke, weil sie selbst nicht genügend haben, um auszubilden und vollständig einsatzbereit zu sein. Deswegen war es auch sehr gut, dass der Minister persönlich nach Augustdorf gereist ist und den Soldatinnen und Soldaten versprochen hat, sich zügig für eine Wiederbeschaffung einzusetzen.
Bei unserem letzten Interview vor rund einem Jahr hatten wir über Ausrüstung nicht nur im ganz großen Maßstab gesprochen, sondern auch über Mängel bei ganz elementaren Dingen – wie warmer Unterwäsche im Winter. Sind diese Missstände inzwischen beseitigt?
HÖGL: In Litauen gibt es jetzt Kälte- und Nässeschutz. Da habe ich mich vor Weihnachten noch mal versichert, dafür ist gesorgt. Der Bundestag hat 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um Ausstattung zügiger zu beschaffen. Das kommt bei den Soldatinnen und Soldaten an, es ist noch nicht immer überall alles da, aber daran wird unter Hochdruck gearbeitet. Da sehe ich wirklich Bewegung.
Sie haben bei ihrem Amtsantritt 2020 für die Wiedereinführung der Wehrpflicht plädiert und gleichzeitig betont, dass der politische Boden für diese Debatte nicht bereit sei. Derzeit wird wieder über eine Wehrpflicht diskutiert – macht die Debatte jetzt mehr Sinn?
HÖGL: Damals hatte ich gesagt, dass ich es für einen Fehler gehalten habe, die Wehrpflicht auszusetzen. Klar ist auch: Ich will nicht zur alten Wehrpflicht zurück. Die Debatte gewinnt jetzt wieder an Fahrt und darüber freue ich mich. Sie hilft uns aber im Zusammenhang mit dem fürchterlichen Ukrainekrieg nicht weiter. Es würde Jahre dauern, bis man überhaupt Konzepte hat, bis die Infrastruktur und Ausbildungskapazitäten aufgebaut wären. Aber ich finde, wir müssen die Debatte jetzt beginnen – auch über die Frage, wie viel Zwang, wie viel Freiwilligkeit nötig ist. Wir brauchen auf jeden Fall mehr Personal bei der Bundeswehr. Sie muss die Rahmenbedingungen verbessern und die Einsatzbereitschaft gewährleisten. Sonst gehen die Besten verloren.
Mit Beginn des Ukraine-Kriegs hat auch die jahrzehntealte Diskussion über eine gemeinsame europäische Armee neue Nahrung bekommen...
HÖGL: ....und ich finde ja, dass das eine sehr schöne Vision ist. Als überzeugte Europäerin halte ich es für absolut richtig, die gemeinsame Verteidigungspolitik zu stärken. Wir sehen am Krieg in der Ukraine, dass wir das nur zusammen machen können. Es braucht eine intensive Abstimmung. Das betrifft sowohl die großen politischen Linien als auch die ganz konkreten, bei Waffenlieferungen oder Ausbildung. Das ist genau der richtige Weg. Aber wenn man sich die nationalen Befindlichkeiten anschaut, dann ist auch klar, dass es ein langer Weg werden wird.
Zur Person
Eva Högl, Jahrgang 1969, ist seit Mai 2020 Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Von 2009 bis 2020 war sie SPD-Bundestagsabgeordnete, von 2013 bis 2020 auch Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Die gebürtige Niedersächsin hat Rechtswissenschaften an den Universitäten in Osnabrück und Leiden (NL) studiert, 1997 zum Europäischen Arbeits- und Sozialrecht promoviert und 1999 das Zweite juristische Staatsexamen abgelegt. Von 1999 bis 2009 war sie im Bundesministerium für Arbeit und Soziales tätig, zuletzt als Leiterin des Referats „Europäische Beschäftigungs- und Sozialpolitik; Europabeauftragte“.