Herr Kretschmann, Ihr Kollege Markus Söder lässt kein gutes Haar an den Grünen, aber wenn er über Sie spricht, hört sich das fast an, als wären Sie sein Blutsbruder. Können Sie uns da aufklären? Wie ist das Verhältnis zwischen den Ministerpräsidenten Bayerns und Baden-Württembergs?
Winfried Kretschmann: Mein Verhältnis zum Kollegen Söder ist gut, offen und belebend. Bayern und Baden-Württemberg sind die wirtschaftlichen Lokomotiven der Republik. Da arbeiten wir eng zusammen. Wir stehen zwar in einem sportlichen Wettbewerb zueinander und gucken immer genau, was der andere macht. Aber wir konkurrieren beide nicht mit Mecklenburg-Vorpommern, sondern mit Shenzhen in China, mit Singapur oder dem Silicon Valley. Da ist es sehr wichtig, einen guten Austausch zu haben, und der ist zwischen uns professionell. Das gilt aber grundsätzlich für das Miteinander der Ministerpräsidenten.
Sie sind offenbar der einzige Grüne, dem Herr Söder mit freundlichen Worten begegnet. In Bayern sind Ihre Parteifreunde Gegner Nummer 1 für die CSU.
Kretschmann: Wenn das stimmt, was Sie sagen, dann sollte man schon mal darüber nachdenken, was das bedeutet. Warum sollten die Grünen in Bayern anders sein als ich? Ich finde, dass Kollege Söder da überzieht mit seiner Kritik. Aber das sollte man nicht immer eins zu eins nehmen. Es ist Wahlkampf. Da ist immer auch ein bisschen bayerische Liturgie dabei.
So ähnlich haben Sie sich jüngst in einer Talkshow über Hubert Aiwangers umstrittenen Auftritt bei der Anti-Heizungsgesetz-Demonstration in Erding geäußert. Fanden Sie das so harmlos?
Kretschmann: Nein. An diesem Abend ging es zunächst um Donald Trump. Es wurde ein Film über ihn gezeigt, bei dem es einem kalt den Rücken runterlief. Dann wurde bei Markus Lanz der Bogen von Trump zu Aiwanger geschlagen. Das fand ich dann doch eine Nummer drüber, Aiwanger sagt gefährliche Dinge, Trump ist gefährlich.
Und was sagen Sie zu Aiwangers Auftreten in Erding und seiner Redeweise im bayerischen Landtagswahlkampf?
Kretschmann: Es sind hochgradig gefährliche Aussagen, wenn Aiwanger sagt, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie zurückholen. Es ist aber auch schlicht Unsinn. Entweder die Mehrheit schweigt, dann weiß man nicht, was sie will. Man weiß nicht einmal, ob es sie gibt, weil sie ja schweigt. Oder sie schweigt nicht und ist so laut wie in Erding, dann ist das keine schweigende Mehrheit. Der einzige Ort, an dem die schweigende Mehrheit in der Demokratie zeigt, was sie will, ist die Wahlkabine. Da schweigt man in der Tat. Aber da ist man ja mittendrin in der Demokratie. Es ist also einfach wirres Zeug, was der Kollege Aiwanger da gesagt hat. Da hat er recht genau die Methoden der Populisten studiert, die sind leider anfällig für solchen Unsinn. Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum Markus Söder mit Leuten weitermachen will, die derart populistische Reden schwingen.
Vielleicht, weil es bequem ist?
Kretschmann: Dazu erzähle ich gerne diese Geschichte über meinen Vorvorgänger Günther Oettinger: Da ging es seinerzeit auch um die Frage, ob wir eine schwarz-grüne Koalition eingehen. Wir haben das ordentlich besprochen, aber zum Schluss wollte die CDU doch wieder mit der FDP regieren, weil die halt pflegeleichter waren. Lange gehalten hat das nicht. Das Ergebnis dieser Politik sitzt jetzt gerade vor ihnen. Wer in der Politik nicht zur rechten Zeit springt, den bestraft das Leben.
Was raten Sie Ihren grünen Freunden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann in Bayern?
Kretschmann: Die bayerischen Grünen haben mit Katharina Schulze und Ludwig Hartmann zwei Persönlichkeiten an der Spitze, die wissen, worum es geht: Es geht um Veränderung mit dem Ziel, das zu erhalten, was uns lieb und teuer ist – in der Natur und in der Gesellschaft. Ich finde, die Beiden machen an der Sache orientierte, konstruktive Arbeit und versprechen nix, das sich in der Regierung nicht auch umsetzen lässt. So habe ich das als Fraktionsvorsitzender auch gehandhabt. Und das zahlt sich aus. Um ihnen Empfehlungen zu geben, bin ich aber etwas zu weit weg. Bayern hat, wie gesagt, eine eigene politische Liturgie. Ich sag mal das Stichwort "Amtszeitbegrenzung". Ich könnte es mir in Baden-Württemberg jedenfalls nicht zweimal leisten, ein Jahr dieses und ein Jahr später wieder etwas ganz anderes zu sagen. In Bayern regt das offenbar niemand groß auf.
War für Sie in Baden-Württemberg die Union nicht auch der pflegeleichtere Koalitionspartner?
Kretschmann: Pflegeleicht ist für mich kein Maßstab. Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein großer Vorteil ist, wenn man über die klassischen Lager hinweg regiert. Wir stehen vor den großen Herausforderungen des Klimawandels und auch des Artenschwunds. Wir müssen das Wirtschaftswachstum vom Naturverbrauch entkoppeln. Es geht darum, die Wirtschaftspolitik ökologisch zu imprägnieren und Ökologie zum wirtschaftlichen Erfolg zu machen. Die CDU ist eine wirtschaftsnahe Partei und wir sind eine naturnahe Partei. Deshalb passt diese Koalition gut in die Zeit. Wir Grüne sagen aber ehrlich, dass der Transformationsprozess nicht ohne Zumutungen geht, auch wenn man niemand überfordern darf. Da sollte man nicht populistisch draufhauen.
Der Unmut über das Heizungsgesetz ist groß. Lenken Debatten wie über Aiwanger nicht davon ab, die Sorgen der Menschen vor einer Überforderung ernst zu nehmen?
Kretschmann: Robert Habeck steckt in einem echten Dilemma: Handelt er zu langsam, wird er den Erfordernissen des Kampfs gegen den Klimawandel nicht gerecht, handelt er zu schnell, verunsichert man die Bevölkerung. Aber Habeck ist ein sehr guter Politiker, er handelt entschlossen und geht dabei auch ins Risiko. Das Wort Risiko bedeutet, dass man dabei auch etwas falsch machen kann. Und dann korrigiert Habeck genau an diesen Stellen. Dagegen sollte man keine Kampagnen machen, der Republik kann nichts Besseres passieren, als entschlossene, risikobereite Politiker, die in der Lage sind, sich zu korrigieren, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Ist der Preis für dieses hohe Tempo nicht sehr hoch? Viele führen den Höhenflug der AfD auch auf das Heizungsgesetz zurück…
Kretschmann: Der tiefere Grund für diese Entwicklung ist nicht das Heizungsgesetz, sondern das öffentliche Auftreten der Ampel. Wenn wir in Baden-Württemberg so miteinander umgingen, würde das meine Koalition nicht länger als sechs Wochen aushalten. Die Ampel muss den öffentlichen Streit eindämmen, und Kontroversen intern beilegen. Wenn diejenigen, die handeln sollen, ständig streiten, bekommt die Öffentlichkeit das Gefühl, es geht nichts mehr voran. Die Menschen nehmen dann auch keine Erfolge mehr wahr.
Würde das eine schwarz-grüne Koalition im Bund besser hinbekommen? Oder klappt das nur bei Ihnen?
Kretschmann: Das klappt auch gut in Hessen, in Nordrhein-Westfalen oder in Schleswig-Holstein. Und ich bin sicher, das würde auch in Bayern klappen. Das muss man natürlich wollen. Ein Bündnis, das man nicht will, ist immer schwierig. In der letzten Koalition musste ich mit der CDU koalieren, das war viel schwieriger als jetzt, als wir den Koalitionspartner wählen konnten. Ich hätte auch eine Ampel machen können, ich bereue allerdings keinen Tag, dass ich das nicht gemacht habe. Man könnte bei Koalitionen immer nach den größtmöglichen Schnittmengen suchen, ich habe das nie gemacht. Die entscheidende Frage muss sein, welches Bündnis entwickelt die beste Dynamik für das Land. Baden-Württemberg profitiert von einer produktiven Spannung bei der Transformation zu einer ökologischen Zukunftswirtschaft. In Bayern regiert dagegen das Prinzip Schnittmenge.
Bayern und Baden-Württemberg kämpfen mit gleichen Problemen: Nach dem Atomausstieg herrscht massiver Nachholbedarf bei der Windkraft. Wie kommt man aus diesem Hintertreffen raus?
Kretschmann: Meine Vorgänger hatten alle die Windkraft bekämpft. In meiner ersten Legislaturperiode hatten wir einen enormen Hochlauf beim Ausbau. Dann, 2017, knickte die steile Kurve parallel zu ganz Deutschland ab. Die von der damaligen Großen Koalition reduzierten Ausschreibungsbedingungen für die Windkraft haben uns im Süden völlig aus dem Spiel genommen. Es ging runter auf Null. Der kleine Rest, der unter den veränderten Bedingungen noch an neuen Windrädern möglich war, wurde im Norden gebaut. Bundesweit gingen 30.000 Arbeitsplätze verloren. Dank Robert Habeck haben wir jetzt ganz andere Verhältnisse und der Hochlauf beginnt wieder. Wir haben in Baden-Württemberg 400 neue Windräder in der Pipeline. Wir haben die Verfahren drastisch vereinfacht, die Genehmigungszeit mehr als halbiert, eine Taskforce eingesetzt und Flächen ausgewiesen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, genauso bei der Photovoltaik.
Auch Bayern baut die Windkraft aus. Reicht das, um im Süden die Stromkosten zu senken?
Kretschmann: Da haben wir leider wegen der bayerischen Staatsregierung ein dickes Problem bei den Stromtrassen an der Backe. Mein früherer Kollege Horst Seehofer hatte ja von "Monstertrassen" gesprochen und mehr als 1000 Kilometer unterirdische Verlegung durchgesetzt. Das ist aber nicht so einfach, wie wenn die Telekom mit dem Bagger ein Internetkabel verlegt. Wir sprechen von einem Graben durch die Republik mit einer Arbeitsbreite von rund 40 Metern. Das hat die Verfahren enorm verteuert und verlangsamt. Jetzt müssen wir schauen, dass wir das schnell hinbekommen. Es wäre eine Vollkatastrophe, wenn wir im Süden andere Strompreise bekämen als im Norden. Bayern und Baden-Württemberg werden mit aller Kraft dagegen kämpfen, der Schaden für unsere Wirtschaft im Süden wäre unermesslich. Jedes Windrad, das wir im Süden bauen, hilft uns.
Reicht dafür die Zeit?
Kretschmann: Wir sind bei einigen Projekten in Baden-Württemberg bei den Genehmigungszeiten bereits bei unter einem Jahr. Aber diese Probleme betreffen nicht nur die Windkraft, sondern Deutschland ganz grundsätzlich. Wenn der Bürokratieabbau nicht gelingt, wird Deutschland gegenüber den Wettbewerbern in der Welt allein schon deshalb ins Hintertreffen geraten. Wir müssen Verfahren beschleunigen, professionellen Bürgerdialog betreiben und entbürokratisieren. Es kann nicht sein, dass es Jahrzehnte dauert, in Deutschland eine bestehende Eisenbahnstrecke zu elektrifizieren. So kann es nicht weitergehen.