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Interview: Wie der Radikalismus-Forscher Peter Neumann den Erfolg der AfD erklärt

Interview

Wie der Radikalismus-Forscher Peter Neumann den Erfolg der AfD erklärt

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    Professor Peter Neumann aus Würzburg ist Rechtsextremismusexperte. 
Jetzt erscheint Neumanns neues Buch "Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln".
    Professor Peter Neumann aus Würzburg ist Rechtsextremismusexperte. Jetzt erscheint Neumanns neues Buch "Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln". Foto: Thomas Obermeier

    Den Namen Peter Neumann verbinden viele mit den Themen . Nun haben Sie ein Buch über Rechtsextremismus geschrieben. Wie kommt’s?

    Peter Neumann: Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit Rechtsextremismus und habe in London ein Institut geleitet, das alle Formen von Radikalisierung untersucht hat. Als dann die Corona-Pandemie kam und ich mich drei Monate lang in Würzburg zurückgezogen habe, hatte ich Zeit, mich systematisch in das Thema einzuarbeiten. Das Ergebnis ist das neue Buch.

    Welche Rolle hat Corona dabei inhaltlich gespielt?

    Neumann: Durch Corona hat sich viel verändert. Wenn ich vor fünf Jahren nach Antisemitismus in Deutschland gefragt worden wäre, hätte ich gesagt, dagegen sind die Deutschen immun. Damals glaubten viele, es gebe nur noch einen importierten Antisemitismus, nämlich bei Muslimen. Während der Pandemie mussten wir jedoch sehen, wie Verschwörungstheorien florierten. Viele davon waren antisemitisch geprägt. Da hat sich herausgestellt: Wir sind doch nicht immun.

    Die Hauptthese in Ihrem Buch ist, dass Angst der Nährboden für Rechtsextremismus ist.

    Neumann: Angst macht Menschen empfänglich für rechtsextreme Thesen. Das Vorgehen hat sich in den vergangenen 200 Jahren kaum verändert: Rechtsextremisten identifizieren immer zwei Feinde. Das Fremde, also Leute, die ins Land kommen und angeblich die dortige Identität untergraben. Und die liberalen Eliten – also Politik, Wissenschaft, Medien –, denen vorgeworfen wird, ihr eigenes Land zu hassen. Häufig standen dann Juden im Fokus.

    Warum?

    Neumann: Weil sie beides verkörperten: Sie wurden als Fremde in der eigenen Gesellschaft wahrgenommen und waren häufig relativ erfolgreich, gehörten also der Elite an. Heute sind es aber auch Muslime, die aus Sicht von Rechtsextremisten ins Land kommen, ihre Kultur etablieren und das Einheimische verdrängen. Und die Eliten, so die Erzählung, lassen das zu oder begrüßen es sogar. In der Szene spricht man vom "großen Austausch".

    Kalter Krieg, die RAF, Wirtschaftskrise, Terrorismus – Gründe, Angst zu haben, gab es in der Vergangenheit in Deutschland genug. Dennoch spielten rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien in Deutschland – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – bis vor einigen Jahren kaum eine Rolle. Ist das nicht ein Wunder?

    Neumann: In der Wissenschaft wurde tatsächlich die deutsche Ausnahme diskutiert. Bis vor zehn Jahren gab es hier ja keine erfolgreiche rechtspopulistische Partei. Die Erklärung war dann, die Deutschen seien durch die Nazi-Erfahrung sensibilisiert und die Hemmung, für solche Parteien zu stimmen, sei groß. Das war auch lange so. Frühere rechtsextreme Parteien, die NPD, die Republikaner, hatten auch immer einen Nazi-Touch. Erst mit der AfD wurde das anders: Die war anfangs zumindest keine Nazi-Partei.

    Wie würden Sie die AfD heute einordnen?

    Neumann: Die Mehrheit in der AfD unterstützt seit etwa 2017 Björn Höcke. Und der ist ein völkischer Nationalist. Er glaubt an eine homogene deutsche Volksgemeinschaft, die sich durch Abstammung definiert, sich in den letzten 1000 Jahren nie verändert hat und sich nie verändern soll. Das bedeutet, dass aus Höckes Sicht jemand wie Cem Özdemir, dessen Eltern aus der Türkei kommen, niemals Deutscher werden kann. Deshalb ist Höcke ein gefährlicher Extremist. Ich würde aber nicht sagen, die AfD will einen faschistischen Staat.

    Sondern?

    Neumann: Die AfD will eine illiberale Demokratie wie in Ungarn, wo noch gewählt wird, wo es eine Opposition gibt, wo man auch – eingeschränkt – eine andere Meinung haben kann, wo aber alle Kontrollinstanzen, die für eine liberale Demokratie wichtig sind – Medien, Gerichte – ausgeschaltet sind. Sie will die Demokratie Stück für Stück aushöhlen und das ist viel gefährlicher, als wenn sie radikal sagen würde, wir schaffen die Demokratie ab.

    Das kann doch eigentlich niemand wollen. Woher kommt der Erfolg?

    Neumann: Weil sie anspricht, was viele Leute empfinden. Es gibt eine große Verunsicherung, wegen der vielen Krisen: Migration, Klima, Corona, Ukraine-Krieg. Wenn die AfD dann verspricht, wir stellen ein Deutschland wieder her, wie ihr es als Kinder in den 1980ern erlebt habt, dann ist das illusorisch, aber es verfängt. So hat auch Donald Trumps "Make America great again" funktioniert: Suche dir einen Zeitpunkt aus, in dem dir Amerika gut gefallen hat und da gehen wir wieder hin.

    Einfache Antworten auf einfache Fragen.

    Neumann: Genau. Aber das ist der Grund, warum solche Parteien, wenn sie denn mal an der Macht sind, nichts zustande bringen. Sie gehen mit Versprechen an den Start, die sich nicht erfüllen lassen. Nehmen Sie Österreich: Als die FPÖ zwischen 2017 und 2019 regiert hat, hat Innenminister Herbert Kickl ein Ende der Migration versprochen und dass mehr Menschen ausgewiesen werden. Was ist passiert? Die Anerkennungsquote in Österreich lag über der in Deutschland und die Zahl der Abschiebungen hat sich verringert. Was Kickl geschafft hat? Er hat Aufnahmezentren in Ausreisezentren umbenannt.

    Noch einmal zurück zum Erfolgsrezept: Überfordern Politik und Medien viele Menschen und spielt das Rechtspopulisten und Rechtsextremen in die Karten?

    Neumann: Ich glaube, ja. Zwar passt einigen vieles einfach nicht – vom Gendern bis zum Klimaschutz. Vielen geht es aber schlicht zu schnell, sie fühlen sich nicht mitgenommen. Nehmen Sie einen ostdeutschen Autofahrer, der keiner Minderheit angehört und kein Cannabis raucht. Der fragt sich: Was hat die Politik mir eigentlich anzubieten? Leider sprechen gerade weder die Ampel-Parteien noch die Union diese Leute an. Und dann wird nicht aus Überzeugung, sondern als Denkzettel die AfD gewählt. Aber auch andere Parteien profitieren davon, etwa in Bayern.

    Sie spielen auf die Freien Wähler und die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger an.

    Neumann: Das eigentliche Problem mit Aiwanger ist nicht, dass er als 17-Jähriger für ein antisemitisches Flugblatt in der Schule bestraft worden ist. Er ist heute offensichtlich kein Antisemit oder Extremist mehr. Den Vorwurf, den man ihm machen kann, ist aber, dass er sich überhaupt nicht mit den Vorwürfen auseinandergesetzt hat und keine Reue zeigt. Ich finde, Markus Söder hätte einen höheren Preis dafür einfordern können, um Aiwanger in der Regierung zu belassen.

    Laut aktuellen Umfragen scheint den Freien Wählern die Angelegenheit zu nutzen. Was sagt das über die Gesellschaft aus?

    Neumann: Das zeigt, wie oberflächlich die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und der Nazi-Zeit ist. Wir erinnern ritualisiert an den Holocaust. Aber wenn tatsächlich eine Auseinandersetzung mit dem Thema gefordert wäre, interessiert das viele schlichtweg zu wenig.

    Die QAnon-Bewegung, Querdenker, Reichsbürger: Das rechtsextreme Spektrum ist heute viel größer als früher und kennt unterschiedliche Ausprägungen. Gibt es ein Allheilmittel gegen Rechtsextremismus?

    Neumann: Man muss Angebot und Nachfrage bekämpfen. Wir konzentrieren uns auf rechtsextremistische Akteure – Terroristen, Gruppierungen, Parteien – und fordern Festnahmen und Verbote. Das kann beim Kampf gegen Terrorismusnetzwerke eine gute Strategie sein. Wir sprechen aber zu wenig davon, wie man die Zahl derer, bei denen extremistisches Gedankengut auf fruchtbaren Boden fällt, verkleinern kann.

    Wie kann das gelingen?

    Neumann: Das ist eine politische Frage. Nehmen wir das Heizungsgesetz. Das hat viel Verunsicherung ausgelöst. Nicht weil man gesagt hat, wir müssen den Klimawandel bekämpfen, sondern weil man gesagt hat, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt müssen Hausbesitzer für Zehntausende Euro eine neue Heizung einbauen. Man muss bei jeder politischen Initiative darüber nachdenken, wie erreichen wir die Ziele und wie nehmen wir möglichst viele Menschen mit.

    Ende 2022 wollten Reichsbürger einen Putsch versuchen und den Reichstag stürmen. Haben die Sicherheitsbehörden Rechtsextremisten unterschätzt?

    Neumann: Ja und nein. Es kann sein, dass man dem Rechtsextremismus über Jahre nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt hat. Das hatte aber einen guten Grund: Mitte der 2010er Jahre gab es eine wirklich intensive Bedrohung durch Islamisten. Dutzende Anschläge in Deutschland wurden verhindert, weil man sich auf die größte Gefahr konzentriert hat. Man hat aber versäumt, sich schneller auf die veränderte Bedrohungslage einzustellen. Da waren die Behörden zu träge. Der zweitgrößte rechtsextremistische Anschlag in Deutschland – das OEZ-Attentat in München 2016 – wurde lange nicht als solcher erkannt, weil der Täter, ein Sohn iranischer Flüchtlinge, nicht ins Schema gepasst hat.

    Gibt es eigentlich Parallelen zwischen Islamisten und Rechtsextremisten?

    Neumann: Beide sind Feinde der liberalen Demokratie. Und: Jede Radikalisierung läuft vom Schema her ähnlich ab. Am Anfang stehen Unzufriedenheit, Verängstigung, Verunsicherung. Und dann kommt ein Akteur und lenkt das in eine politische Agenda. Unmut plus Ideologie erzeugt Radikalisierung.

    Zur Person: Peter Neumann, 48, ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College in London. Der Würzburger gilt als einer der renommiertesten Experten für Terrorismus und Radikalisierung. Neumann war Sonderbeauftragter der OSZE und berät Regierungen, Nachrichtendienste und internationale Organisationen. Vor der Bundestagswahl 2021 unterstütze er CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Wahlkampf. Diese Woche erschien sein neues Buch "Logik der Angst".

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