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Interview: Was ist eigentlich los in diesem Land, Frau Münch?

Interview

Was ist eigentlich los in diesem Land, Frau Münch?

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    Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.
    Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Foto: Bernhard Weizenegger

    Frau Münch, die Bauern demonstrieren, die Eisenbahner und Spediteure streiken, Zehntausende gehen gegen Rechtsextremismus und für Menschenwürde auf die Straße. Das Jahr beginnt mit einer relativ aufgeheizten Stimmung. Was erleben wir da gerade in unserem Land?
    URSULA MÜNCH: Die Schnittmenge ist meines Erachtens die Bundesregierung. Ich mache sie jetzt nicht für sämtliche Prozentpunkte der AfD verantwortlich. Ich würde aber schon sagen, dass diese Unzufriedenheit mit der

    Sie sagen, dass sich der Nährboden für die AfD insgesamt vergrößert hat, der bestand ja bis vor einem Jahr vor allem in Migrationsthemen.
    MÜNCH: Ich lehre auch an der Universität der Bundeswehr und meine ostdeutschen Studenten haben mir schon vor 20 Jahren erzählt, wie es in ostdeutschen Kommunen zugeht. Dort hatten versprengte rechtsextremistische Kräfte schon früh Fuß gefasst. Und die Veränderung kam dann mit der AfD als vermeintlich bürgerlicher Partei. Die Politikwissenschaft hat immer gedacht, dass sich die Ostdeutschen schon den Westdeutschen anpassen würden, und jetzt ist es ist eher umgekehrt mit Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen. Es gibt ein relativ stabiles Potenzial von Leuten, die empfänglich sind für rassistisches Gedankengut und jetzt kommt noch diese Unzufriedenheit dazu. Mein Eindruck ist, dass die Forderung nach einer schärferen Migrationspolitik in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Jetzt ist die Grundfrage, kriegt man die Leute wieder zurück? Ich glaube schon, dass man einen nennenswerten Anteil wieder zurückbekommen kann. Aber das setzt voraus, dass die Leute die Regierung als handlungsfähig wahrnehmen.

    Schwächen die Proteste die AfD oder verschärfen sie die Gegensätze sogar? 
    MÜNCH: Das kann man mangels Daten nicht seriös sagen. Aber wenn wir uns jetzt die Bundestags-Nachwahl in Berlin anschauen, dann spricht das nicht für die Hoffnung, dass die Proteste gegen die AfD helfen. 

    Wer geht gegen die AfD auf die Straße? Ist es wirklich die Mitte der Gesellschaft?
    MÜNCH: Ich war jetzt am Sonntag selbst bei der Lichterkette auf der Theresienwiese und ich würde sagen, da war ein breiter Durchschnitt der Bevölkerung. Ich weiß hundertprozentig, dass da sehr viele ganz „normale“ Leute dort waren, denen das ein Bedürfnis ist, weil man vielleicht auch sagen will, also, das lasse ich mir nicht vorwerfen, dass ich bloß daheim gesessen wäre.

    Was bedeuten denn diese Demonstrationen für die anderen Parteien? Ist es nicht auch ein Misstrauensvotum, weil die Leute das Gefühl haben, die Parteien packen es allein nicht?
    MÜNCH: Ich fürchte, dass ein großer Teil der Leute gar nicht groß an die Parteien denkt. Aber ich hoffe, dass die Leute heimgehen und sich überlegen, was können wir eigentlich jenseits der Demonstrationsteilnahme machen, und da wäre meine naheliegende Empfehlung schon, sich in einer Partei zu engagieren. Das wäre schon mal was. Denn wir leben in einer Parteiendemokratie und nicht in einer Demonstrations-Demokratie. Das passt ja nicht zu unserem politischen System. Deshalb sehe ich es insgesamt eher als ein Krisenphänomen, wenn die Leute ständig alle zwei oder drei Wochen auf die Straße gehen. Eigentlich wollen wir ja am Sonntag alle was anderes machen.

    Zehntausende demonstrierten in München gegen den Rechtsextremismus.
    Zehntausende demonstrierten in München gegen den Rechtsextremismus. Foto: Karl-josef Hildenbrand

    Unsere Demokratie hat in wirtschaftlich hervorragenden Zeiten immer gut funktioniert. Jetzt erleben wir ja möglicherweise eine Zeit, in der es zumindest wirtschaftlich nicht mehr aufwärtsgeht. Was bedeutet das für uns?
    MÜNCH: Eigentlich müssten die Volksparteien hinstehen und sagen, wir müssen uns verändern, wir müssen kleinere Brötchen backen. Es wird nicht für alle besser werden, es wird eher stagnieren, und es wird auch schlechter werden, weil wir so große Aufgaben mit Blick auf Umwelt und Artenschutz haben, weil wir unsere Energiepolitik ändern müssen. Und vor allem, weil uns die Kriege und die Bedrohung durch Putin zu einer anderen Verteidigungspolitik zwingen. In der alten Bundesrepublik hätte das eventuell noch funktioniert, weil wir ja nur zwei große Volksparteien und eine FDP hatten, aber jetzt klappt das nicht mehr. Da haben wir populistische und extremistische Parteien, die zu den Leuten sagen, was für ein Quatsch! Wir brauchen doch gar keine Politik der Zumutungen, wir brauchen doch bloß die Flüchtlinge aus dem Land rauswerfen, und wenn wir dann noch den Klimawandel ignorieren, dann geht es uns allen wieder gut. 

    Wer den Wählern etwas zumutet, verliert also?
    MÜNCH: Erinnern Sie sich, wie es Angela Merkel ging, die vor der Bundestagswahl 2005 gesagt hat, dass die Mehrwertsteuer erhöht werden müsste? Das hat sie ein einziges Mal gemacht und dann nie wieder. Die Leute wollen nur dann große Veränderungen, wenn sie sich für sie positiv auswirken.

    Gerhard Schröder hat die Agenda 2010 den Job gekostet. Zugleich rufen viele Menschen im Land nach Reformen, um Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Nachdem die Ampel vorgemacht hat, wie es nicht geht – welche Parteienkonstellation hätte überhaupt die Kraft dazu?
    MÜNCH: Jamaika (schwarz-grün-gelb, Anmerkung der Red.) wird nun sicherlich auch nicht die Lösung sein. Die beiden, die am wenigsten miteinander können, wären dann immer noch dabei. Gleichzeitig muss ich ganz ehrlich sagen, ich wundere mich, warum jetzt alle auf einmal eine große Koalition für so attraktiv halten. Also, sie haben wir lange genug gehabt, alle waren ihrer komplett überdrüssig und inzwischen wissen wir auch, warum. Eine ideale Konstellation einer Bundesregierung wird es garantiert nicht geben. Man kriegt dann so reflexartig den Vorschlag, dann lasst es doch mal die AfD probieren. Um Gottes willen! 

    Nehmen wir an, Björn Höcke von der AfD würde Ministerpräsident in Thüringen. Wäre die Demokratie wirklich in Gefahr? 
    MÜNCH: Eine AfD-Regierung würde relativ schnell vieles verändern können. Das ist die Justiz, das ist der Medienstaatsvertrag, das ist die Bildungspolitik. Das wirkt sich relativ schnell aus und wäre auch schwierig wieder rückgängig zu machen. Das wäre tatsächlich ein Verlust an demokratischen Errungenschaften und vor allem an freiheitlicher Demokratie. Gleichzeitig muss man natürlich immer sagen, wir haben nach wie vor eine Bundesrepublik, wir haben nach wie vor eine relevante Bundespolitik. Ein Land kann nicht alles aushebeln und das ist ja auch das Wunderbare an unserem Föderalismus.

    Noch einmal die Frage: Welche Parteienkombination wäre aus Ihrer Sicht im Bund am sinnvollsten?
    MÜNCH: Ich würde mir wünschen, dass die Leute ihr Heil nicht ständig in neuen kleinen Parteien suchen würden. Das ist mein Appell. Wenn wir ständig als Wählerschaft etwas Neues ausprobieren, wenn wir uns holländischen Verhältnissen annähern, die jetzt natürlich wesentlich extremer sind, weil die keine Fünf-Prozent-Hürde haben, dann nähern wir uns einer kompletten Blockade. Diese zunehmende Unregierbarkeit nutzt den Extremisten.

    Wenn die Kraft der etablierten Parteien abnimmt, wie geht es dann weiter? 
    MÜNCH: Wenn wir uns mal darauf verständigen könnten, was die Prioritäten eines Staates sind, wäre schon etwas gewonnen. Es ist zunächst mal die äußere Sicherheit, es ist die innere Sicherheit. Es ist in Zeiten des Klimawandels unbedingt auch das Thema Klimapolitik. Wenn man sich darauf verständigt, dass man die sozial Schwachen tatsächlich absichern muss, ohne ihnen im Vergleich zur erwerbstätigen Bevölkerung zu viele Wohltaten zukommen zu lassen, dann wäre das schon mal eine gute Grundlage. Aber mir ist natürlich klar, dann kommen die nächsten Punkte. Denn wir wissen natürlich alle, wie wichtig die Bildungspolitik ist – um nur ein Beispiel zu nennen.

    Zur Person

    Die Politikwissenschaft-Professorin Ursula Münch (63) ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und zählt zu den bekanntesten "Politik-Erklärern" in Bayern.

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