Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Warum der ukrainische Professor Schaloba sein Maschinengewehr immer dabei hat

Interview

Warum der ukrainische Professor Schaloba sein Maschinengewehr immer dabei hat

    • |
    Prof. Ihar Schaloba bei der ukrainischen Territorialverteidigung. Der 58-jährige Historiker meldete sich am Tag nach dem offenen russischen Angriffskrieg freiwillig.
    Prof. Ihar Schaloba bei der ukrainischen Territorialverteidigung. Der 58-jährige Historiker meldete sich am Tag nach dem offenen russischen Angriffskrieg freiwillig. Foto: Sammlung Ihar Schaloba

    Professor Schaloba, Sie sind Wissenschaftler, waren an Universitäten in Kiew oder im litauischen Vilnius. Als Historiker lehren Sie Internationale Beziehungen. Jetzt dienen Sie als Soldat bei der ukrainischen Territorialverteidigung. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?

    Ihar Schaloba: Die Grundlage dieser Entscheidung ist, dass ich Ende der 90er Jahre nach dem Ende der Sowjetunion Vertrauen fasste, dass die Ukraine zu ihren europäischen Wurzeln zurückkehrt. Dabei wollte ich mithelfen. In einer Zeit, als viele

    Es gab aber in dieser Zeit auch schwere Rückschläge für die Demokratiebewegung.

    Schaloba: Natürlich, man musste Angst haben, verhaftet zu werden. Studenten von mir sind auf dem Maidan verprügelt worden. Es gab Wahlfälschungen. Als man mich anrief und fragte, ob ich mithelfen wolle, die Rechtmäßigkeit der Wahlen zu kontrollieren, bin ich losgegangen. Ich befürchtete, dass ich dabei auf mich allein gestellt sein würde. Dann habe ich mich wahnsinnig darüber gefreut, dass ich eben nicht allein war, dass die Leute zu den Wahllokalen strömten. Dieses Gefühl, dass eine Mehrheit der Menschen genug davon hat, fremdgesteuert zu leben, werde ich nie vergessen. Trotz aller Rückschläge: Wir haben in den 32 Jahren unserer Unabhängigkeit einiges geschafft, obwohl niemand an uns geglaubt hat. Jetzt wird zum Beispiel unsere innovative IT-Branche weltweit geschätzt.

    Ukrainerinnen und Ukrainer demonstrieren 2013 auf dem Maidan in Kiew für Freiheit und Demokratie. Ihar Schaloba und seine Studenten sind in dieser Zeit oft auf dem zentralen Platz der Hauptstadt.
    Ukrainerinnen und Ukrainer demonstrieren 2013 auf dem Maidan in Kiew für Freiheit und Demokratie. Ihar Schaloba und seine Studenten sind in dieser Zeit oft auf dem zentralen Platz der Hauptstadt. Foto: Sergey Dolzhenko, dpa (Archivbild)

    Sie waren 1998/99 mit Ihrer Familie in Wien. Haben Sie nach dem einjährigen Forschungsaufenthalt nicht auch mit dem Gedanken gespielt, dort zu bleiben oder in ein anderes Land zu gehen?

    Schaloba: Das hätten wir natürlich machen können, Möglichkeiten dazu gab es genug. Aber ich wollte zurück. Ich erlebte in Österreich, wie eine demokratische Gesellschaft funktioniert, die nicht von Korruption und Bestechlichkeit dominiert wird. Dafür habe ich mich mit meinen Studenten in Kiew eingesetzt. Auf dem Maidan, bei der Orangenen Revolution. Als am 24. Februar 2022 der offene Krieg begann, lief ich gleich am Tag danach zu einer Sammelstelle der Streitkräfte in einem Einkaufszentrum. Die Familie habe ich in meine Heimatstadt Czernowitz geschickt. In der Nacht auf den 25. Februar habe ich das letzte Mal zu Hause geschlafen. Seitdem bin ich Soldat. Dass die Russen irgendwann angreifen würden, war mir und vielen Ukrainern klar.

    Hatten Sie zuvor eine militärische Ausbildung?

    Schaloba: Ich war ja ein "Homo Sowjeticus". Als braver Student musste ich zu Sowjetzeiten einmal pro Woche an einer militärischen Offiziersausbildung teilnehmen. Ich kann mich erinnern, dass ich im August 1985 als Offizier bei einem Schießtraining meine letzten sechs Schuss aus einer Kalaschnikow vor dem Untergang der Sowjetunion abgab. Am 26. Februar 2022 hielt ich mit 58 Jahren wieder eine solche Waffe in der Hand. In meiner Einheit hatten viele jüngere Männer keinerlei militärische Erfahrungen. Wir brachten uns vieles gegenseitig bei.

    Welche Aufgaben hat Ihre Einheit?

    Schaloba: Wir haben im letzten Jahr verschiedene Aufträge erfüllt. Wir schützten Kiew vor bewaffneten Gruppen, die von Russland gesteuert in der Stadt verdeckt unterwegs waren. Später waren wir in Bachmut im Einsatz. Wir sichern militärische Einrichtungen und Transporte.

    Wie gefährlich sind die Einsätze?

    Schaloba: Wir gerieten schon unter Raketenbeschuss, zwei Männer aus der Einheit sind gefallen. Darunter im November unser Kommandant. Das geht mir noch immer sehr nahe, er war ein toller Mensch. Andere sind verletzt worden.

    Wie schätzen Sie die militärische Situation ein?

    Schaloba: Angespannt. Beide Seiten bereiten sich vor. Hoffnung gibt mir, dass Putin sich in drei Punkten geirrt hat. Er dachte, die Ukraine ist militärisch schwach und die Ukrainer hätten seit der Besetzung der Krim 2014 acht Jahre lang Blumen gezüchtet, um die russischen Soldaten freudig zu empfangen. Zudem glaubte Putin, die EU würde nichts tun. Auch falsch. Und dann dachte er, Biden ist zu alt. Wer den US-Präsidenten bei seiner Rede in Warschau erlebt hat, weiß, dass das ebenfalls nicht stimmt.

    Ihar Schaloba ist davon überzeugt, dass sich der russische Präsident in mehreren Punkten geirrt hat, als er den Befehl zum Angriffskrieg auf die Ukraine gab.
    Ihar Schaloba ist davon überzeugt, dass sich der russische Präsident in mehreren Punkten geirrt hat, als er den Befehl zum Angriffskrieg auf die Ukraine gab. Foto: Gavriil Grigorov, Pool Sputnik Kremlin, AP, dpa

    Sie sind in diesen Tagen von Ihrer Einheit freigestellt und absolvieren als Präsident der Paneuropa-Union der Ukraine eine Reise durch Deutschland mit Veranstaltungen und politischen Gesprächen. Haben Sie sich von Europa, insbesondere von

    Schaloba: Ja. Vor dem 24. Februar haben alle gesagt, wir unterstützen euch massiv, wenn die Russen einen Großangriff starten. Als sie dann einmarschiert sind, hieß es bei der Nato, wir treffen uns in der nächsten Woche, um die Lage zu besprechen. Obwohl viele Politiker im Westen glaubten, dass die Russen Kiew in drei Tagen erobern werden. Das hat mich sehr geärgert. Dann setzten Waffenlieferungen ein. Besser spät als gar nicht. Aber es zählt jede Sekunde. Zögern kostet Leben.

    Befremdet Sie es, dass viele Deutsche befürchten, durch die Lieferung schwerer Waffen in den Krieg hineingezogen zu werden?

    Schaloba: Ich hatte als Soldat kaum Zeit, das zu verfolgen. Doch jetzt in Deutschland habe ich in einem Hotel unglücklicherweise abends den Fernseher eingeschaltet. Es lief ein Bericht über das Manifest von Frau Wagenknecht, in dem sie Friedensverhandlungen fordert. Ich weiß nicht, ob sie vergessen hat, dass Putin immer wieder öffentlich mit Vernichtung droht. Er sagt, es gebe keine Ukraine, weder als Volk noch als Nation.

    In Ihrer Kindheit und Jugend war die Ukraine Teil der Sowjetunion. Haben Sie heute trotz des Krieges noch Kontakte nach Russland?

    Schaloba: Freunde gibt es eigentlich nicht. Aber ich habe einen Cousin in Russland, mit dem ich ein gutes Verhältnis habe. Seit dem 24. Februar haben wir allerdings nicht mehr miteinander gesprochen. Das wäre für ihn zu gefährlich. Er ist höherer Staatsbeamter.

    Wie geht der Krieg aus?

    Schaloba: Wir müssen gewinnen und wieder in den Grenzen leben, die uns Russland 1997 vertraglich garantiert hat. Zu unserem Territorium gehören nach internationalem Recht die Ostukraine und natürlich auch die Krim. Ich kann nicht fassen, wie dumm Putin war, diesen Krieg zu beginnen. Haben Sie die Zuschauer beobachtet bei seiner Rede an die Nation in der letzten Woche? 2014 hat sein Publikum die Besetzung der Krim noch bejubelt, jetzt sahen die meisten nicht gerade fröhlich aus. Die Angehörigen der Elite wissen, was sie verloren haben. Ihr Vermögen, die schönen Reisen – alles vorbei. Dabei gäbe es in Russland so viel zu tun. Das Land mit seinen Bodenschätzen könnte unermesslich reich sein. Aber es muss fast alles importieren, kaum etwas funktioniert.

    Welches wissenschaftliche Projekt gehen Sie zuerst an, wenn in der Ukraine wieder Frieden herrscht?

    Schaloba: (lächelt) Ich habe einen Traum. Wenn Frieden ist, gehe ich in mein Wochenendhäuschen und schreibe in Ruhe ein Buch über Handel und Schifffahrt am Schwarzen Meer während der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das will ich schon lange machen.

    Zur Person: Prof. Ihar Schaloba, geboren 1964 im ukrainischen Krowka, nahe der ukrainischen Stadt Czernowitz, ist Experte für Internationale Beziehungen. Der Historiker lehrte unter anderem in Kiew und im estnischen Vilnius. Seit Februar ist der verheiratete Vater von zwei Töchtern Mitglied der ukrainischen Territorialverteidigung.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden