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Lesetipp: Wahlverhalten junger Menschen: "Eine Generation Greta gab es nie"

Lesetipp

Wahlverhalten junger Menschen: "Eine Generation Greta gab es nie"

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    Wahlverhalten junger Menschen: "Eine Generation Greta gab es nie"
    Wahlverhalten junger Menschen: "Eine Generation Greta gab es nie" Foto: Bernd Weißbrod, dpa/piomars

    Herr Schnetzer, bei der Europawahl gab es einen Rechtsruck in Deutschland. Die Überraschung darüber hielt sich weitestgehend in Grenzen, das Ergebnis deckt sich mit den Umfragen im Vorfeld der Wahl. Größer war da schon das Erstaunen über das gute Abschneiden der AfD bei jungen Wählerinnen und Wähler. Dabei war der Stimmenanteil bei den 16- bis 24-Jährigen nicht signifikant größer als im bevölkerungsweiten Schnitt. Woher also diese Aufregung?
    SIMON SCHNETZER: Bei ganz vielen steckt da ein falsches Bild in den Köpfen. Sie glauben, die Jugend wählt links und grün, fürchtet den Klimawandel, protestiert mit Fridays for Future. Aber so ist es eben nicht. Zunächst einmal ist die Jugend kein monolithischer Block. So etwas wie eine "Generation Greta" gibt es nicht und gab es nie. Damit hat man es sich zu leicht gemacht. Unter jungen Menschen sind unterschiedliche politische Strömungen ebenso vertreten wie in älteren Generationen. Und das zeigt sich auch in den Wahlergebnissen. Was wir über die Jahre in unseren Trendstudien festgestellt haben: Die Jugend wählt sehr viel thematischer als ältere Generationen.

    Was heißt das?
    SCHNETZER: Sie sind meist nicht so sehr an eine Partei gebunden, wie das bei älteren Wählerinnen und Wählern der Fall ist. Die Jugend ist meist noch nicht festgelegt und votiert entsprechend den Themen, die sie in diesem Moment umtreiben. Vor fünf Jahren mag das der Klimawandel gewesen sein, davon haben die Grünen damals profitiert. Aber die Welt ist heute eine andere. Die Sorgen und Ängste der jungen Generation haben sich geändert. 

    Was waren denn dann die wahlentscheidenden Themen?
    SCHNETZER: Wir haben Anfang des Jahres über 2000 junge Menschen dazu befragt. Die wichtigsten Sorgen waren: Inflation, teurer und knapper Wohnraum, Krieg. Der Klimawandel kam erst an vierter Stelle. Auch die Angst vor Zuwanderung spielt eine große Rolle. Sie ist zwar nicht unter den wichtigsten fünf Themen. Die Zahl derer, die diese Sorge umtreibt, hat sich in den vergangenen zwei Jahren aber von 22 auf 41 Prozent fast verdoppelt. 

    Die Verteilungsängste werden größer ...
    SCHNETZER: Genau. Das Thema Geld und Verzicht nimmt einen immer größeren Platz ein. Viele sorgen sich, dass der Wohlstand schrumpft, dass ihre Zukunft nicht abgesichert ist und ihre Belange zu wenig Gehör finden. Das hängt auch mit den multiplen Krisen der vergangenen Jahre zusammen. Corona, Klimawandel, Krieg, Inflation – der Ausnahmezustand wird immer mehr zum Dauerzustand. Das führt gerade bei Jugendlichen zu einem Gefühl der Ohnmacht. Vor allem in der Coronakrise entstand der Eindruck, dass die Bedürfnisse der jungen Menschen egal waren. Wirklich einbezogen wurden sie selten. Das schlägt sich auch im Wahlverhalten nieder, die Regierenden wurden abgestraft.

    Zumindest in Teilen ist an der Vorstellung der linken Jugend aber etwas dran. Insgesamt wählten die Jungen progressiver als ältere Kohorten. Die Union ist zwar vor der AfD stärkste Kraft, liegt mit 17 Prozent aber weit unter ihrem Gesamtergebnis. Nur profitierten davon nicht Grüne und SPD, sondern in erster Linie kleine Parteien. Auffallend viele Stimmen gingen beispielsweise an die proeuropäische Volt oder an die Tierschutzpartei.
    SCHNETZER: Genau. Das ist nicht unüblich bei jungen Wählerinnen und Wähler. Es ist wichtig festzuhalten: Die Jugend hat nicht rechter gewählt als andere Altersgruppen, sie sind sicherlich nicht schuld am Rechtsruck bei der Europawahl. Aber das progressive Lager ist zersplittert. Das hängt auch damit zusammen, dass junge Menschen thematischer wählen und sich eben nicht so sehr einem Lager verbunden fühlen. Das begünstigt kleine Parteien.

    Warum?
    SCHNETZER: Weil sie sich spitzer auf ein Thema fokussieren. Wenn jungen Menschen der Tierschutz wichtig ist, dann wählen sie eben die Tierschutzpartei. Das Problem der großen Parteien ist, dass sie versuchen, es sehr vielen recht zu machen. Einen so konkreten Themenfokus wird man bei der Union, SPD oder FDP nicht finden. Der Effekt wird natürlich verstärkt durch die Europawahl, wo es keine Fünf-prozenthürde gibt. Die Stimme ist bei einer kleineren Partei eben nicht verloren.

    Was könnten etablierte Parteien denn Ihrer Meinung nach tun, um junge Wählerinnen und Wähler anzusprechen?
    SCHNETZER: Die Parteien müssen sich mehr Mühe geben, junge Menschen zu verstehen. Wer die Bedürfnisse und Sorgen der Jugendlichen nicht kennt, der wird ihre Stimme nicht bekommen. Dass die Parteien da Nachholbedarf haben, zeigt sich ja an der Verwunderung über den Wahlerfolg der AfD in dieser Zielgruppe. Gleichzeitig müssen die Politikerinnen und Politiker eben auch dorthin, wo junge Menschen ihre Zeit verbringen – also auf TikTok und auf Instagram.

    Stichwort TikTok. Gerade von den Wahlverlierern hört man jetzt, TikTok sei schuld am starken Abschneiden der AfD bei jungen Wählerinnen und Wählern. Machen es sich die Parteien damit nicht zu leicht?
    SCHNETZER: TikTok ist nicht schuld am Wahlverhalten. Das wäre in der Tat zu kurz gedacht. Das Grundproblem sind die Sorgen der jungen Menschen, das Gefühl von Ohnmacht angesichts der Dauerkrise. Gleichwohl ist TikTok aber ein Verstärker. Die Plattform ist eine wichtige Informationsquelle. Und ein Instrument für Politikerinnen und Politiker, um junge Menschen zu erreichen und in ihrer Wahlentscheidung zu beeinflussen. Das weiß die AfD geschickt für sich zu nutzen.

    Was ließe sich denn tun, um den jungen Wählerinnen und Wählern dieses Gefühl der Ohnmacht zu nehmen? Mehr Verantwortung?
    SCHNETZER: Genau! Die meisten wollen sich engagieren. Beispiel: Ukraine-Krieg. Wir haben Jugendliche befragt, die mit einer Spendenaktion Kinder in ihrer ukrainischen Partnerschule unterstützt haben. Und es hat sich gezeigt, dass diese Jugendlichen den Krieg psychisch besser verarbeiten konnten – eben weil sie das Gefühl bekommen haben: Wir können helfen, wir können etwas tun, wir sind nicht ohnmächtig. Da müssen wir noch viel mehr tun.

    Haben Sie da konkrete Vorschläge?
    SCHNETZER: Ich glaube, wir müssen zusehen, dass junge Menschen früh herangeführt werden an die Demokratie. Am besten noch in der Schule. Deshalb bin ich für eine Absenkung des Wahlalters auf 14. In dieser Zeit erreicht man die jungen Menschen noch mit politischer Bildung im Sozialkunde- oder Politikunterricht. So würde man den Jugendlichen schon früh die Bedeutung ihrer Stimme und der Demokratie vermitteln. Das ist es doch, worauf es langfristig ankommt. 

    Zur Person

    Simon Schnetzer ist Jugendforscher und Autor der Trendstudie "Jugend in Deutschland", die er zusammen mit Kilian Hampel von der Universität Konstanz und Klaus Hurrelmann, Professor an der Hertie School in Berlin, herausgibt. In regelmäßigen Abständen befragen die Forscher 2000 junge Menschen zur Lage ihrer Generation. 

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