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Interview: Wahlforscher: "Weder Bayern insgesamt noch die CSU werden fundamental benachteiligt"

Interview

Wahlforscher: "Weder Bayern insgesamt noch die CSU werden fundamental benachteiligt"

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    Blick in den Plenarsaal des Bundestags zu Beginn der Sitzungswoche. Mit der Wahlrechtsreform, die SPD, Grüne und FDP vorschlagen, soll der Bundestag auf seine Regelgröße schrumpfen.
    Blick in den Plenarsaal des Bundestags zu Beginn der Sitzungswoche. Mit der Wahlrechtsreform, die SPD, Grüne und FDP vorschlagen, soll der Bundestag auf seine Regelgröße schrumpfen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Faas, im Moment wird intensiv über das deutsche Wahlsystem diskutiert. Es geht um die Größe des Bundestags, aber auch um das Wahlalter. Was ist so reformbedürftig an unserem Wahlrecht?
    THORSTEN FAAS: Die Geschichte von Wahlen ist eine Geschichte permanenten Wandels – und dabei alles in allem geprägt von einer Ausweitung des Wahlrechts. Das Wahlrecht für Frauen haben wir in Deutschland seit gut 100 Jahren, für 18- bis 20-Jährige seit 50 Jahren. Zumindest bei manchen Wahlen dürfen auch EU-Ausländer und 16- und 17-Jährige wählen. Daran merkt man aber auch: Wer wählen darf, hat (ein bisschen) Macht. Und das ist der zweite Grund: Wahlsystemfragen sind Machtfragen … Daher ist es nicht egal, ob man ein Mehrheits- oder ein Verhältniswahlsystem hat, ob es ein paar unausgeglichene Überhangmandate mehr oder weniger gibt. Und deswegen wird dann mitunter auch so hart gestritten.

    Thorsten Faas ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin.
    Thorsten Faas ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin. Foto: Freie Universität Berlin, dpa

    In Bayern sorgt besonders die Wahlrechtsreform für Unruhe. Die CSU sieht sich im Nachteil, wenn Direktmandate abgeschafft werden. Ist das so?
    FAAS: Das hängt letztlich davon ab, mit welchen normativen Prämissen Sie auf ein Wahlsystem schauen. Was ist Ihnen am Ende wichtig beziehungsweise am wichtigsten? Wenn Sie sagen: Mein ultimativer Fluchtpunkt in der Debatte ist, dass jeder Wahlkreis durch einen Wahlkreissieger vertreten ist, dann ist der Reformvorschlag ein Problem. Wenn Sie sagen: Mir ist wichtig, dass der Bundestag nicht XXXXXL ist, sondern auf 598 Mandate beschränkt bleibt und noch dazu gilt, dass die Zahl der Sitze ungefähr der Zahl der Zweitstimmen entspricht, dann können Sie mit dem Ampel-Vorschlag sehr gut leben. Das zeigt aber auch: Man kann nicht alles haben, das eine perfekte Wahlsystem gibt es nicht. Aber man muss auch sagen: Weder wird Bayern insgesamt fundamental benachteiligt, noch die CSU; vielmehr wird der CSU ein kleiner Vorteil, den sie gegenüber anderen Parteien aktuell hat, genommen – nämlich drei unausgeglichene Überhangmandate. Verlierer der Reform sind nicht Bayern oder die CSU, sondern die Wahlkreisgewinner (der CSU), die vielleicht zukünftig zwar den Wahlkreis gewinnen, aber trotzdem nicht mehr in den Bundestag kommen. 

    Ist nicht das Direktmandat Ausdruck besonderer Bürgernähe?
    FAAS: „Besondere Bürgernähe“ ist vielleicht zu viel gesagt. Studien zeigen, dass viele Menschen gar nicht wissen, wer ihr Wahlkreisabgeordneter ist – und schon gar nicht mehrere Wahlkreiskandidaten kennen. Da wird manchmal ein hohes Lied auf Wahlkreise und die Kandidaten dort gesungen, das nicht ganz gerechtfertigt ist. Das heißt in keiner Weise, dass die nicht wahnsinnig viel arbeiten und unglaublich präsent sind, aber gleichwohl … Ich würde sagen, dass es eben verschiedene Logiken gibt, die im Bundestag vertreten sind: nach regionaler Logik – Bundesländer, Wahlkreise – und nach Parteien. Und letztlich ist Letzteres schon wichtiger. Das sieht man übrigens auch daran, dass erfolgreiche Wahlkreiskandidaten bislang immer gescheitert sind, wenn sie nach einem Streit mit ihrer Partei als unabhängige Kandidaten angetreten sind.

    Der Bundestag wurde immer größer, das wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern kritisiert. Aber wenn es weniger Abgeordnete gibt, will keine Partei ,,verlieren". Lässt sich das Problem überhaupt lösen? Es klingt nach der Quadratur des Kreises ...
    FAAS: Genau das ist es – man kann nicht alles haben: Eine Zahl von 598 mit perfektem Verhältniswahlsystem und garantiert einziehenden Wahlkreissiegern zu haben, das geht nicht. Insofern setzen die unterschiedlichen Vorschläge, die im Raum stehen, einfach unterschiedliche Schwerpunkte und Prioritäten. All das kann sehr wohl demokratisch sein – daher habe ich mich über so manche Wortmeldung, in der von „Wahlbetrug“ und „Schurkenstaaten“ die Rede war, schon sehr gewundert bis geärgert. Damit tut man der Sache keinen Gefallen, gerade in Zeiten, in denen Parlamente gestürmt werden, weil Wahlen systematisch infrage gestellt werden.

    Es scheint, als ob die CSU dann vor allem in den Städten ein zusätzliches Problem bekäme ...
    FAAS: Ja, das kann passieren. Warum? Das Ampel-Modell sieht vor, dass nicht mehr alle Sieger von Wahlkreisen in den Bundestag garantiert einziehen, sondern nur noch so viele, wie einer Partei nach erhaltenen Zweitstimmen zustehen. Gegebenenfalls können also diejenigen mit den schwächsten Wahlkreisergebnissen nicht einziehen – und das sind typischerweise die aus Städten, weil dort der Parteienwettbewerb besonders heftig ist und daher die Siege knapper ausfallen. Und keine Frage: Das ist ein Effekt für die CSU, aber eher ein innerparteilicher.

    In der Debatte ist auch das Absenken der Altersgrenze auf 16 Jahre. Bei vielen Kommunal- und Landtagswahlen ist das jetzt schon der Fall. In Bayern nicht. Was hat dies zur Folge?
    FAAS: Eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre produziert keine Revolution. Dafür ist die Gruppe der neu Wahlberechtigten auch viel zu klein. Und zudem sind sie auch gar nicht „unreif“ oder was man da manchmal hört. Wir haben gerade eine neue Studie dazu gemacht und wieder zeigen können: Interesse an Politik, Wissen über Politik – das ist bei 16- und 17-Jährigen genauso ausgeprägt wie bei Menschen Anfang 20. Warum soll man sie also nicht wählen lassen, gerade in Zeiten des demografischen Wandels?

    Die Wahlbeteiligung bei jungen Menschen ist ohnehin gering. Würde es mehr von ihnen motivieren, wenn sie schon mit 16 auf Bundesebene wählen dürften?
    FAAS: Erst einmal muss man da vorsichtig sein: Es würden mehr Menschen wählen in absoluten Zahlen. Und die geringste Beteiligung finden wir nicht bei Erstwählern, sondern bei Menschen Anfang 20. Die ist unter dem Blickwinkel der Wahlbeteiligung die schwierigste. Was wir aber auch sehen: Wenn Menschen nur bei Kommunalwahlen, aber nicht bei den „großen“ Bundestagswahlen mitwählen dürfen, ärgert sie das. Und das kann man eigentlich nicht wollen. Zudem führt dieser Flickenteppich zu seltsamen Mustern, dass man nämlich zum Beispiel bei der Europawahl 2024 als 16-Jährige wählen darf nach heutigem Stand, bei der Bundestagswahl 2025 dann aber nicht, weil noch nicht 18. Auch nicht schön.

    Die Grünen fordern seit Langem eine Absenkung des Wahlalters, die konservativen Parteien sind eher dagegen. Weil sie das Ergebnis scheuen?
    FAAS: Jein. Das ist erst mal die Linie, die wir da sehen. Aber die Absenkung wird ja auch von SPD, FDP und Linken befürwortet, die können ja kaum alle gleichzeitig profitieren. Wieder einmal sieht man: Bei Wahlsystemen geht es um normative Prämissen, aber eben auch um Macht. Beides. 

    Zur Person

    Thorsten Faas ist Professor für „Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland“ am Otto-Suhr-Institut an der FU Berlin. Sein Schwerpunkt sind Wahlen und Wahlkämpfe. Im Auftrag der Otto Brenner Stiftung hat er eine Studie angefertigt zu den unterschiedlichen Altersgrenzen bei Wahlen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.

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