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Interview: Volker Schlöndorff im Gespräch: "Ich will ein anderes Bild von Afrika zeigen"

Interview

Volker Schlöndorff im Gespräch: "Ich will ein anderes Bild von Afrika zeigen"

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    Mit Filmen wie "Die Blechtrommel" wurde er berühmt, mit Waldlauf hält er sich heute fit: Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff, 83.
    Mit Filmen wie "Die Blechtrommel" wurde er berühmt, mit Waldlauf hält er sich heute fit: Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff, 83. Foto: Jena Kalaene, dpa

    Herr Schlöndorff, lange Zeit war das Klima das vorherrschende Thema, wenn es um die Zukunft der Menschheit ging, auch Ihr neuer Film knüpft daran an. Seit zwei Monaten wird das alles überdeckt durch ein anderes Thema, den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Sie, Jahrgang 1939, sind einer der nicht mehr vielen Menschen in Deutschland, die den Krieg noch am eigenen Leib erlebt haben. Wie ist Ihnen gerade zumute?

    Volker Schlöndorff: Schlimm. Ich habe eine Großmutter, eine Mutter und ein Kind aus Charkiw bei mir zu Hause in der Einliegerwohnung.

    Sie nehmen Flüchtlinge auf?

    Schlöndorff: Ja. Mutter und Kind sind schon kurz vor meiner derzeitigen Kinotour eingezogen, die Oma ist jetzt nachgekommen. Sehr nette Leute. Das hat mich so daran erinnert, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg ganz selbstverständlich war, dass in dem kleinen Ort, wo ich damals lebte, überall Flüchtlinge untergebracht wurden. Charkiw ist eine Stadt unter Beschuss, die Leute aus der Ukraine sind alles andere als Wirtschaftsflüchtlinge. Für mich ist das kein Opfer, die aufzunehmen. Was ich mache, erscheint mir nicht zu viel, eher zu wenig.

    Die Nachrichten aus der Ukraine, die ganze entstandene Situation, das drückt auch bei Ihnen die Stimmung.

    Schlöndorff: Die Unsicherheit, wie lange das dauern wird – Unsicherheit sowohl für die Flüchtlinge als auch für uns, die wir das beobachten. Es ist ja ein vollkommen offener Ausgang. Die Flüchtlinge haben die Hoffnung, sie könnten in drei Monaten wieder nach Hause. Ich schließe nicht aus, dass sich das zehn Jahre lang hinziehen wird. Quälend, nicht als offener Krieg, sondern so wie bisher im Donbass-Gebiet mit Scharmützeln. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass durch eine irrationale Reaktion, wenn sich Russland durch die Nato bedroht fühlt, Putin plötzlich sagt: Jetzt schmeiße ich die große, dicke Bombe ab. Ja, dann fragt man sich, wohin denn? Nach Kiew? Oder auf Berlin? Oder in die Pfalz, nach Ramstein? Alles ist möglich, man muss sich in der Ungewissheit einrichten. Wir werden keine Antwort kriegen auf Jahre.

    Sie hegen hinsichtlich der Ukraine keinen Optimismus, wie ihn Tony Rinaudo, der Protagonist in ihrem neuen Film, beim Thema Afrika pflegt.

    Schlöndorff: Ich konnte ja leicht ein hoffnungsvolles Bild von Afrika zeichnen. Wenn ich heute einen Dokumentarfilm in der Ukraine machen würde, bin ich mir nicht sicher, ob ich da so viel Optimismus aufbringen könnte.

    Bisher hat man Sie vor allem als Regisseur von fiktionalen Stoffe wahrgenommen, als einen, der große Literatur verfilmte , Grass, Böll, Max Frisch … Jetzt gibt es mit „Der Waldmacher“ einen abendfüllenden Dokumentarfilm von Ihnen.

    Schlöndorff: Dieser Film hat sich aus einem Zufall ergeben. Ich war dabei, als Tony Rinaudo auf der Rückfahrt von Stockholm, wo er mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt wurde, in Berlin Station gemacht und im Hinterzimmer eines Italieners einen Vortrag gehalten hat über das, was er eigentlich macht und warum er den Preis bekommen hat. Ich war so angetan von seiner Persönlichkeit und auch von seiner Methode und bin zu ihm hingegangen. Das ist ja fantastisch, habe ich zu Rinaudo gesagt, mit Ihrer Methode kann man ja Afrika und auch andere Länder retten, ich nehme an, Sie haben Tausende von Jüngern, die das jetzt überall in die Welt tragen? Und er geantwortet: Meistens bin ich allein. Und ich: Soll ich einen Film über Sie machen? Da hat er mir die Hand hingehalten, und ich musste einschlagen. Sechs Wochen später habe ich Tony Rinaudo in Mali wiedergetroffen und angefangen zu filmen. So ist „Der Waldmacher“ entstanden. Natürlich mit Covid-Unterbrechungen, außerdem musste ich erst die Finanzierung zusammenbringen. Das hat sich hingezogen, im Ganzen über drei Jahre. Als ich Tony Rinaudo in Berlin den Vorschlag gemacht hatte, dachte ich, das ist in einem halben Jahr erledigt.

    Ein Zufall also, durch den Sie zu Ihrem ersten Dokumentarfilm gekommen sind.

    Schlöndorff: Es gibt noch einen zweiten Grund. Ich bin seit fast 15 Jahren humanitär in Afrika unterwegs. Das mache ich gerne, weil ich finde, dass Afrika und Europa eine Schicksalsgemeinschaft sind – zwei Kontinente, die so nah beieinander s liegen und sehr viel gemeinsam haben. Nicht nur ein paar Jahrhunderte Kolonialgeschichte, wir haben auch unsere Sprachen Englisch und Französisch importiert. Wir müssen also damit rechnen, dass die Afrikaner zu uns kommen, und nicht nur zehn oder 20, sondern vielleicht 100 Millionen Menschen. Weil ich Afrika so ein bisschen kennengelernt habe, wollte ich die Menschen hier bei uns etwas vorbereiten, ihnen ein anderes Bild von Afrika vermitteln.

    Um damit das oft einseitige Bild der Europäer von ihren Nachbarn zu korrigieren?

    Schlöndorff: Die Jugendlichen, die bei uns in der Fußgängerzone herumhängen, das ist nicht Afrika. Afrika, das sind 70 Prozent Kleinbauern, die auf dem Land leben, so wie bei uns vor 200 Jahren viele noch auf dem Land gelebt haben. Die kämpfen um ihr Überleben, die wollen gar nicht in die Migration, weder in ihre eigenen Metropolen noch etwa nach Europa. Die wollen auf ihrem Grund und Boden bleiben. Wenn man diesen Menschen, wie Tony Rinaudo es tut, die Möglichkeit gibt, dass sie in ihrer Heimat leben können, dann bleiben sie auch.

    Würden Sie sagen, Ihr Film vermittelt so etwas wie eine Utopie?

    Schlöndorff: Eine Utopie in dem Sinne, dass es eine Lösung gibt, auch wenn die noch weit am Horizont ist, diese Utopie teile ich. Tony Rinaudo hat mich schon mit seinem Optimismus angesteckt. Es ist ein bisschen wie mit einer Wette: Entweder man tut alles, um jemandem zu helfen, sich weiterzuentwickeln, dann besteht eine Chance, dass es besser wird. Oder man tut nichts, und dann geht es ganz bestimmt den Bach runter.

    Sind wir Wohlstandsmenschen in Europäer dazu verpflichtet, Afrika unter die Arme zu greifen?

    Schlöndorff: Was in Afrika passiert, das betrifft uns hier, und das gilt auch in umgekehrter Richtung – also ist Hilfe für Afrika in unserem wohlverstandenen Interesse. Aber Hilfe nicht in dem Sinn, dass wir jetzt Säcke mit Reis oder Getreide hinschicken. Sondern indem wir wirklich dabei helfen, dass das Land wieder so entwickelt wird, dass die Menschen dort von ihren eigenen Erträgen leben können. In dieser Richtung läuft viel zu wenig in der Entwicklungshilfe. Das ist eigentlich etwas, was Afrika immer mehr entmündigt und immer mehr abhängig macht, gerade dadurch, dass man es versorgt. Dagegen das große Beispiel von Tony Rinaudo: Das findet auf der untersten Ebene statt und zeigt, wie man auf Augenhöhe mit den Menschen umgehen kann und nicht als Besserwisser. Wir müssen die gesamte Entwicklungspolitik auf den Prüfstand stellen. Dass die in 60 Jahren so, wie sie lief, so wenig gebracht hat! Und wie viele Milliarden sind da reingepudert worden. Und doch denken alle, Afrika, das ist ein Fass ohne Boden.

    Weshalb stellt ein weltbekannter Regisseur wie Sie seinen neuen Film persönlich in 44 überwiegend kleinen Kinos in ganz Deutschland vor?

    Schlöndorff: „Der Waldmacher“ liegt mir am Herzen, ich will, dass er gesehen wird. Aber mein Verleiher und auch anderen Experten haben gesagt, den Film brauchst du gar nicht erst ins Kino zu bringen, es geht sowieso niemand mehr in ein Programmkino. Ein Dokumentarfilm? Ganz schlecht! Und so weiter…. Und da habe ich gesagt: Und wenn ich hinfahre? Als meine Biografie vor zehn Jahren herauskam, bin ich auch zu 30 Buchhandlungen gefahren und habe gelesen und zum Schluss hatten wir 30.000 Exemplare verkauft. Daraufhin hat mein Verleiher gesagt: Würdest du dir das denn antun? Lass es mich versuchen, habe ich ihm geantwortet, ich mache das. Statt zu Hause zu sitzen und Nachrichten zu schauen, mache ich lieber etwas Aktives. Wo ich bisher gewesen bin auf meiner Tour, waren die Kinos überall ausverkauft. Und die

    Auf Deutschland-Tour durch 44 Kinos, das ist eine lange Strecke. Wobei Sie als Marathonläufer lange Strecken gewohnt sind.

    Schlöndorff: Im Alter zwischen 60 und 65 bin ich jedes Jahr einen Marathon gelaufen. Inzwischen laufe ich noch jeden zweiten Tag für mich im Wald, aber ich mache nicht mehr diese Volksläufe mit.

    Wenn Sie so gut trainiert sind: Was darf man als nächstes vom Filmemacher Schlöndorff erwarten?

    Schlöndorff: Nichts mehr.

    Wie bitte?

    Schlöndorf: Na ja, ich bin körperlich zwar fit. Aber um einen guten Film zu machen, muss es einen wirklich dazu drängend. Ohne Dringlichkeit entsteht nichts Gutes. Und mir brennt gerade nicht wirklich was auf der Seele, von dem ich denke, das muss ich jetzt noch machen. Kann sein, dass ich morgen, so wie mit dem Tony Rinaudo, auf irgendeine Sache stoße, auf ein Buch oder sonst etwas – dann mache ich wieder was. Aber ich muss nicht. (lacht leise). Ja, das ist eine neue Lebenserfahrung. Das habe ich, glaube ich, so noch nie gesagt.

    Sie klingen dabei nicht traurig.

    Schlöndorff: Nein, überhaupt nicht. Mein Gott, ich habe so viel gemacht, das geht auf keine Kuhhaut. (lacht erneut) Viel zu viel. Also ich kann wirklich sagen, wenn ich jetzt ganz ruhig hier sitze und atme, dann reicht das auch.

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