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Interview: Verfassungsschutzchef: "Björn Höcke meint, was er sagt"

Interview

Verfassungsschutzchef: "Björn Höcke meint, was er sagt"

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    "Björn Höcke ist ein Nazi" steht auf dem Transparent mit dem Bild von Björn Höcke, Thüringer AfD-Chef, das Teilnehmer einer Demonstration vor dem Thüringer Landtag in den Händen halten.
    "Björn Höcke ist ein Nazi" steht auf dem Transparent mit dem Bild von Björn Höcke, Thüringer AfD-Chef, das Teilnehmer einer Demonstration vor dem Thüringer Landtag in den Händen halten. Foto: Martin Schutt, dpa

    Herr Kramer, Sie beschäftigen sich in Thüringer als Verfassungsschutzpräsident schon lange mit der AfD. Der Thüringer

    Stefan Kramer: Man muss nicht Attentäter bemühen, um diese Verschwörungsfantasie für gefährlich zu halten, auch wenn diese sich in der Tat auf solche Vorstellungen bezogen. Schließlich wird mit der Annahme, es gebe einen überstaatlichen Plan unter anderem zur Ersetzung ethnisch Deutscher mit anderen Ethnien – und es gebe die Machtmittel, um diesen Plan auch umzusetzen, unterstellt, demokratische Regierungen, Parlamente und Gerichte hätten diese Mittel gerade nicht mehr in der Hand. Sie werden entweder zu Machtlosen vor den eigentlich Mächtigen erklärt oder zu deren willfährigen Gefolgsleuten. In letzter Konsequenz ist das der Glaube an eine Weltverschwörung und jeder kann sich vermeintlich selbst zum Widerstand legitimieren, um diese Verschwörung aufzudecken oder zu bekämpfen. Da wird am Fundament unserer bestehenden Ordnung gegraben, um sie substanziell zu beschädigen: Der Landesverband Thüringen und sein Spitzenpersonal sähen damit ganz bewusst eine Saat, die sie selbst nicht mehr kontrollieren können. 

    Zugleich benutzen AfD-Politiker häufig antisemitische Chiffren wie „globalistisches Establishment“, nennen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron „Rothschild-Bengelchen“ oder erklären, die Ukraine würde von „Juden beherrscht“. Für wie antisemitisch halten Sie die Thüringer AfD?

    Kramer: Der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma hat jüngst nochmals mit Blick auf einen Vortrag des großen Philosophen Theodor W. Adorno von 1962 auf die „Geheimnislosigkeit des Antisemitismus“ verwiesen. Dem ist zuzustimmen: Antisemiten glauben daran, dass Jüdinnen und Juden im Sinne einer Weltverschwörung die Geschicke der Menschheit mehr als alle anderen kontrollieren. Die Chiffren werden von denjenigen verstanden, auf die sie abzielen – auf Antisemiten, Rechtsextremisten und auch andere Extremisten. Wenn Herr Höcke, wie ich den Medien entnehmen konnte, sagt, man müsse kein Antisemit sein, um George Soros zu kritisieren, dann appelliert er genau an das, was seit Langem an antisemitischen Ressentiments in der Welt ist. 

    Viele halten AfD-Parolen von „globalistischen Eliten“ nur für rechtsradikales Geschwafel. Wie gefährlich ist das? Die Nazis prägten den Begriff des „Weltjudentums“ als umfassendes Feindbild. Gibt es eine direkte Linie?

    Kramer: „Geschwafel“ erscheint mir verharmlosend. Es handelt sich hier um den Landessprecher eines erwiesen extremistischen Landesverbandes, der mit verfassungsfeindlichen Positionen um politische Zustimmung wirbt. Höcke hat seine Pläne vorgestellt. Er meint nach unserem Dafürhalten, was er sagt: über ethnisch Nichtdeutsche ebenso wie über Juden oder über die Institutionen unseres Rechtsstaates. Wir sollten endlich unsere falsche Scheu ablegen, ernst zu nehmen, was exponierte Extremisten und Diktatoren schreiben oder sagen. Die Geschichte hat schon mehrfach bewiesen, dass sie meinen, was sie sagen und schreiben und, dass sie danach handeln, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen. 

    Ihre Behörde stuft den AfD-Landesverband Thüringen unter Björn Höcke ganz offiziell als „erwiesen rechtsextremistisch“ ein. Was bedeutet das konkret?

    Kramer: Die Bezeichnung bedeutet, dass sich die konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte, dass der Landesverband Thüringen der AfD Ziele verfolgt, die im Widerspruch unter anderem zur Menschenwürde, dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip stehen, zu einer Gewissheit verdichtet haben: Es handelt sich beim Landesverband Thüringen der AfD um eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

    Stephan Kramer ist Präsident des Amtes für Verfassungsschutz von Thüringen.
    Stephan Kramer ist Präsident des Amtes für Verfassungsschutz von Thüringen. Foto: Martin Schutt, dpa

    Wie sehr gibt es in Thüringen Überschneidungen der AfD mit anderen Rechtsextremisten? Die Correctiv-Recherche über das Geheimtreffen in Potsdam hat Verbindungen zu Neonazis der Identitären Bewegung offengelegt. Höcke spricht von einem „patriotischen Vorfeld“ seiner Partei …

    Kramer: Höcke macht keinen Hehl daraus, wie viel er von den Aktionsformen der Rechtsextremisten von der Identitären Bewegung hält. Es ist bezeichnend, dass er als Landessprecher seine Parteijugendorganisation sogar noch anfeuert „mehr IB“ zu „wagen“. Außerdem lässt sich unseren Lokalmedien als interessierter Bürger entnehmen, dass die Thüringer AfD den Begriff „Remigration“ auch nach der Correctiv-Recherche positiv aufgreift. 

    Warum ist ein Verbotsverfahren gegen die AfD für Sie nur eine Ultima Ratio – ein allerletztes Mittel?

    Kramer: Ich habe mit dem Begriff der „Ultima Ratio“ lediglich das auf den Begriff gebracht, was der Gesetzgeber ohnehin vorsieht. Es gibt das Parteiverbot, weil den Müttern und Vätern des Grundgesetzes mit dem Blick zurück auf die Weimarer Republik die nationalsozialistischen und völkischen Parteien ebenso vor Augen standen, wie die kommunistische Partei. Um eine solche Erosion der Republik durch Antidemokraten zu verhindern, wurde das Mittel – neben anderen – in den Instrumentenkasten der „wehrhaften Demokratie“ aufgenommen. Zugleich ist höchstrichterlich darauf hingewiesen und jüngst auch für die Frage nach der Parteienfinanzierung nochmals geschärft worden, dass die Hürden für ein solches Verfahren denkbar hoch liegen: Wer kann beantragen, wer kann Informationen beisteuern, was muss erfüllt sein. Auch das ist richtig und wichtig, damit nicht der – falsche – Eindruck entsteht, man könne sich mit rechtsstaatlichen Verfahren leichthin politischer Konkurrenz entledigen. Zugleich ist damit auch ein Auftrag verbunden: Wenn das Verbot der letztmögliche Weg ist, müssen Demokratinnen und Demokraten vorher alle anderen Wege gegangen sein. Auf dem Weg befinden wir uns gerade als Bürger. 

    Ist die Demokratie tatsächlich gefährdet? Vermutlich denken die meisten AfD-Wähler, dass Ihre Stimme Ausdruck demokratischer Kritik ist …

    Kramer: Die Partei AfD ist nicht verboten. Ihre Mitglieder wie auch ihre Unterstützer können vollumfänglich ihre demokratischen Möglichkeiten einsetzen, um sich im Widerstreit der politischen Meinungen zu beteiligen. Gleiches gilt für die Demonstrationen, die sich jetzt gegen die Partei und ihre Zielsetzungen wenden. Zugleich muss eine wehrhafte Demokratie, die diesen Namen verdient, die gegebenen Anhaltspunkte benennen: Dass der Landesverband Thüringen der AfD über den politischen Widerstreit der Meinungen hinaus darauf abzielt, demokratische Institutionen und Verfahren zu delegitimieren und Menschen ihre grundgesetzlich besonders geschützte Gleichwertigkeit abzusprechen. 

    Bevor Sie Verfassungschef wurden, waren Sie Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie haben einmal gesagt, wenn die AfD in einem Bundesland an die Macht kommt, werden Sie auswandern. Haben Sie das ernst gemeint?

    Kramer: Wenn ich etwas sage, dann meine ich es auch so. Die Entscheidung meine Heimat zu verlassen, wenn der beschriebene Fall eintritt, ist keine leichte und auch nicht aus einer Laune heraus gefallen. Aber für mich gilt ebenso, dass ich bis zum Tag der Entscheidung alles rechtlich Mögliche tun werde und mich dafür einsetze, dass die Feinde der Demokratie nicht gewinnen. 

    Was hat Sie in Ihrer Zeit als Verfassungsschutzchef in Thüringen bislang am meisten bewegt?

    Kramer: Seit ich das Amt im Dezember 2015 übernommen habe, war die Sicherheitslage für meine Kolleginnen, Kollegen und mich nie ruhig oder entspannt. Bewegt hat mich, dass es uns im Amt gemeinsam gelungen ist, trotz NSU-Skandal im Gepäck, langsam wieder Vertrauen in der Gesellschaft zurückzugewinnen. Es ist noch ein langer Weg, aber wir bewegen uns in die richtige Richtung.

    Zur Person: Stephan J. Kramer war zehn Jahre lang Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, als er 2015 auf Bitten der damaligen rot-rot-grünen Regierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow als neuer Präsident die Leitung des Thüringer Verfassungsschutzes übernahm. Die Landesbehörde befand sich damals in einer schweren Krise: Ihr wurde vorgeworfen nach dem Auffliegen der Terrorzelle NSU, deren Mitglieder aus Jena stammen, gravierende Fehler bei der Verfolgung der Rechtsextremisten gemacht zu haben. Kramers Vater und Großvater kamen aus Thüringen, der 56-Jährige wurden in Siegen geboren. 

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