Herr Wickert, der Titel Ihres 1989 erschienenen ersten, von Sympathie durchfluteten Buches über Frankreich lautete „Die wunderbaren Illusionen“. Welche Illusionen machen Sie sich heute noch über Frankreich, 35 Jahre später?
Uli Wickert: Ich bin eigentlich sehr zufrieden, wenn ich jetzt diese ganze Zeit sehe, die ich in meinem neuen Buch beschreibe. Ich fange ja damit an, wie ich als 13-jähriger Junge von Heidelberg nach Paris ziehe. 1693 wurde die Heidelberger Schlossanlage von französischen Soldaten im pfälzischen Erbfolgekrieg auf Befehl des Sonnenkönigs Ludwig XIV. gesprengt. Als wir in den 1950er Jahren im Sommer in der Normandie Urlaub machten, war unser Ferienhäuschen am nächsten Tag mit Hakenkreuzen beschmiert. Da war es ja auch noch nicht lange her, dass bei der Invasion der Alliierten eben in dieser Küstenregion Zehntausende Menschen, darunter natürlich auch französische Zivilisten, ums Leben gekommen sind. Und heute? Heute werde ich in der Normandie wie ein Freund empfangen. Regelmäßig sagen die Franzosen in Umfragen, dass die Deutschen ihre liebsten Nachbarn sind. Das ist doch eine sehr schöne Entwicklung.
Was gab den Ausschlag dafür, mit „Salut les amis“ („Seid gegrüßt, liebe Freunde“) eine sehr persönliche Sicht auf die deutsch-französischen Beziehungen vorzulegen?
Wickert: Wie so oft im Leben, hat sich das einfach so ergeben. Der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Hendrik Hering hat mich gebeten, im Januar 2023 in der Konstantin-Basilika der evangelischen Erlöserkirche in Trier eine Rede zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu halten. Das habe ich dann getan, so aus der Lamäng. Der Text wurde auszugsweise in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Dann hat meine Verlegerin das gelesen und mich begeistert angerufen. Sie sagte: „Das machen wir als Buch!“ Und ich muss sagen, das Schreiben hat mir wirklich Spaß gemacht.
Sie schildern in dem Buch das Verhältnis zu unserem Nachbarn, nicht zuletzt anhand von familiären Ereignissen. Ihr Großvater hat im Ersten Weltkrieg gegen Frankreich gekämpft, Sie sind Mitglied der französischen Ehrenlegion. Das ist ein langer Weg, oder?
Wickert: In der Tat. Ein Weg, den ich immer mit Optimismus verfolgt habe. Aus guten Gründen: Ich war zwölf Jahre, als ich in Paris auf eine Schule kam. Ich war dort der einzige Deutsche – nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Die französischen Mitschüler haben mich sofort als Kumpel aufgenommen, nicht als Feind. Mein Lateinlehrer hat erzählt, dass er in deutscher Kriegsgefangenschaft war. Aber er hat das nicht mit einem bösen Unterton gesagt, sondern er hat mir geholfen, als ich noch nicht so gut Französisch konnte. Da habe ich ein Gefühl dafür entwickelt, dass Deutsche und Franzosen zusammengehören. Ein Gefühl, das mich danach nie mehr verlassen hat.
Sie haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten ein enges Netz von Kontakten aufgebaut, haben die französischen Präsidenten und viele politische Akteure kennengelernt. Wie wichtig ist das persönliche Verhältnis der Spitzenpolitiker untereinander?
Wickert: Ich bin davon überzeugt, dass die Beziehungen zwischen den jeweiligen französischen Präsidenten und den deutschen Kanzlern oder der Kanzlerin immer sehr wichtig waren und sind. Das sehen wir an einer ganzen Reihe von Beispielen, die ich schildere. Da geht es darum, Vertrauen aufzubauen, es geht darum, dass man sagt: Pass auf, hier gibt’s ein Problem. Wie können wir das unkompliziert unter uns lösen?
Haben Sie ein Beispiel?
Wickert: Aber klar. Kanzler Gerhard Schröder und der französische Präsident Jacques Chirac waren wegen der Auseinandersetzung um die Stimmenzahl in der EU völlig verkracht. Dann hat sich Chirac gedacht, ich lade den Gerhard einfach mal in das ausgezeichnete Sterne-Restaurant im elsässischen Ort Blaesheim ein. Das war der Anfang einer großen Freundschaft. Als Schröder aus innenpolitischen Gründen einmal nicht an einem EU-Gipfel teilnehmen konnte, hat er den Präsidenten gebeten „Jacques, kannst Du für Deutschland abstimmen?“ – mehr Vertrauen ist auf politischer Ebene nicht denkbar, basierend auf persönlicher Freundschaft.
Frankreich ist vielleicht noch stärker als Deutschland gesellschaftlich gespalten. Wie tief ist die Krise, die Entfremdung zwischen den Schichten?
Wickert: Bei den letzten Parlamentswahlen wurde extrem links oder extrem rechts gewählt. Präsident Emmanuel Macron hat darauf gesetzt, dass es eine große Mitte geben wird. Vergebens. Das ist das große Problem. Auch wenn sich Marine Le Pen moderat gibt, auf den verschiedenen Ebenen des Rassemblement National gibt es natürlich knallharte Neonazis. Und Jean-Luc Mélenchon, Chef der linksradikalen Partei La France insoumise, also übersetzt „Das Unbeugsames Frankreich“, ist für mich nichts anderes als ein Linkstrumpist.
Eine ganze Generation von Fernsehzuschauern kann sich daran erinnern, wie sie den verkehrsumtosten Place de la Concorde im Herzen von Paris überqueren und dabei nur die Kamera fixieren. Die Autos bildeten tatsächlich eine Gasse. Präsident Emmanuel Macron macht politisch gerade irgendwie dasselbe, nur, dass im übertragenen Sinne die Autos nicht anhalten. Was ist mit ihm los?
Wickert: Tatsächlich fuhren die Autos um mich herum. Macron macht einen entscheidenden Fehler. Ich habe mich im Mai länger mit ihm unterhalten können. Er ist ein hochintelligenter, freundlicher und angenehmer Mensch. Aber er kommt bei der Bevölkerung nicht an. Wenn Macron mit Ihnen über die Schönheit einer Blume sprechen würde, dann würde er Gedichte und Literatur zitieren. Er kennt Blumen nur aus Büchern, aber nicht aus der Natur. Und so ist es bei vielen Sachen. Die Leute merken das, er hat keine Ebene, auf der er mit einem Taxifahrer oder einem Metzger kommunizieren könnte.
Die zweite große Station in Ihrer Karriere als Auslandskorrespondent war Washington. Europa starrt mehr oder weniger angstvoll auf das Duell Kamala Harris gegen Donald Trump. Hat die Vizepräsidentin eine Chance als erste Frau Präsidentin zu werden? Oder ist sie der Strohhalm, an dem sich alle festhalten, die eine weitere Amtszeit von Trump nicht ertragen könnten.
Wickert: Für mich ist Kamala Harris tatsächlich der Strohhalm, an dem ich mich klammere. Meine amerikanischen Freunde sagen, dass sie es schaffen kann, weil sie frisch und intelligent ist. Allerdings traue ich den Umfragen über US-Wahlen generell nicht. Der Gedanke an weitere vier Jahre Trump lässt mich schaudern.
Als „Mister Tagesthemen“ haben Sie uns am Ende der Sendung stets eine geruhsame Nacht gewünscht. Wirklich geruhsam scheint ihr Leben als Pensionär nicht gerade zu sein. Wie schaffen Sie Ihr unglaubliches Pensum?
Wickert: Ich kann nicht Golf spielen (lacht). Das spart sehr viel Zeit. Mir hilft es, dass mir die Sachen, mit denen ich mich beschäftige, Spaß machen. Mir macht es beispielsweise Freude, gegen den Pessimismus der Medien anzuschreiben, wie schlecht es um das deutsch-französische Verhältnis steht. Da bin ich chronisch optimistisch, bei aller Verschiedenheit der Sichtweisen. Für Franzosen ist es beispielsweise völlig normal, dass ihre Soldaten nach Afrika gehen oder dass Waffen aus französischer Produktion ohne große Diskussion weltweit verkauft werden. In Deutschland ist das völlig anders.
Sie sind jetzt 81 Jahre alt, treten oft in Talkshows auf, schreiben Bücher. Wie halten Sie sich fit? Sport, ein Gläschen Wein, wie es sich für einen Frankophilen gehört? Wie ist Ihre Balance?
Wickert: Das Wichtigste: Ich habe ein ausgefülltes Familienleben. Ich habe zwei zwölfjährige Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Die Zwillinge halten mich auf Trab. Dann lese ich morgens meistens zwei Stunden Zeitung – deutsche und französische. Falls zum Beispiel Frau Maischberger anruft und mich in ihre Talkshow am Mittwoch einlädt, dann sollte ich gut im Stoff sein. Ich muss also, wenn nötig, aus dem Stand beispielsweise etwas Erhellendes über den neuen französischen Regierungschef Michel Barnier sagen können.
Und wie ist es mit dem Wein?
Wickert: Ja, da bin ich sehr Französisch. Ich trinke das Gläschen Bordeaux zum Abendessen. Die Deutschen machen es anders. Die trinken ihr Fläschchen nach dem Essen. Dabei schmeckt der Wein zum Essen einfach besser.
Seit einigen Jahren schreiben Sie auch noch Kriminalromane. Wie kam es dazu?
Wickert: Ich wollte eigentlich schon immer Krimis schreiben. Ein guter Freund von mir, ein Engländer, der früher bei der britischen Botschaft in Bonn gearbeitet hat und beim Geheimdienst war, hat mich dazu ermuntert. Er sagte, dass es da zwischen Ost und West und in der Welt der Spionage und Diplomatie ganz simple, aber sehr spannende Geschichten gibt. Und ich kann Ihnen garantieren, dass die Krimis mit meinem Titelhelden, dem Untersuchungsrichter Jacques Ricou, alle auf gründlich recherchierten, authentischen Fällen beruhen. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass die Geheimdienste in meinen Kriminalromanen meist sehr schlecht wegkommen.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Wickert: Da sind wir beim Thema. Ich plane, dass mein neuester Ricou-Krimi im Herbst 2025 herauskommt. Wenn das klappen soll, bin ich für den kommenden Herbst und das Frühjahr bestens ausgelastet.
Zur Person Ulrich „Uli“ Wickert, 81, bekannter und populärer Journalist und Buchautor, gehört zu den profunden Kennern der französischen Politik und des deutsch-französischen Verhältnisses. Geboren in Tokio, lebte Wickert zunächst in Heidelberg, dann von 1956 bis 1959 in Paris. Einem breiteren Fernsehpublikum bekannt wurde er als ARD-Korrespondent in Washington, Paris und New York. 15 Jahre war er Moderator bei den Tagesthemen. Das Buch „Salut les amis“ , 207 Seiten, ist im Verlag Piper erschienen.
Nach dem Krieg wurde der Begriff "Ugly German" geschaffen und bewusst gepflegt, wie Schweißfüße, bis heute.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden