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Steffen Hebestreit: "Ich schrieb dem Kanzler eine SMS: historisch"

Interview

"Ich schrieb dem Kanzler eine SMS mit nur einem Wort: historisch"

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    Regierungssprecher Steffen Hebestreit war zu Gast bei der Veranstaltung "Augsburger Allgemeine live".
    Regierungssprecher Steffen Hebestreit war zu Gast bei der Veranstaltung "Augsburger Allgemeine live". Foto: Ulrich Wagner

    Herr Hebestreit, Ihr Job ist Regierungssprecher, aber ist Ihre Aufgabe nicht eigentlich, möglichst wenig nach außen zu lassen? Also eher Regierungsschweiger?
    STEFFEN HEBESTREIT: Nein, ich gehöre sicher nicht zu den Schweigern im politischen Betrieb. Meine Jobbeschreibung enthält ja auch die Aufgabe, die Politik der Bundesregierung zu erläutern. Genauso wie das der Kanzler, das Kabinett und die Koalitionsfraktionen tun – und ich habe das Gefühl, dass die Regierung das deutlich häufiger macht als frühere Regierungen. Trotzdem kann das nie genug sein, weil uns gerade viele grundlegende Fragen umtreiben. Zuletzt hat die Koalition manches vielleicht zu sehr auf offener Bühne miteinander verhandelt statt hinter verschlossenen Türen – das geschieht dann nicht immer zu meiner Freude. 

    Sie haben lange als Journalist gearbeitet. Wenn Sie heute einen Kommentar schreiben müssten zur Zwischenbilanz der Ampelkoalition: Wie würde die Überschrift lauten?
    HEBESTREIT: (lacht) Das ist natürlich jetzt fies. Wenn ich eine freundliche Überschrift mache, sagen Sie: Kein Wunder, dass der nicht mehr Journalist ist. Wenn ich ganz gemein titele, liefere ich Ihnen eine Schlagzeile für morgen. Insofern sage ich: Im Ergebnis gut, in der B-Note noch Luft nach oben.

    Haben Sie das trainiert, unangenehme Fragen halbwegs elegant zu umschiffen?
    HEBESTREIT: Es gibt Floskeln, um etwas Zeit zu gewinnen. Vor allem aber muss man in diesem Beruf lernen, dass man nicht auf jede kluge Frage zu jedem Zeitpunkt eine kluge Antwort geben sollte. Ein Beispiel: Wenn ich gefragt werde, woran es denn bei dieser oder jener Entscheidung im Kabinett gerade noch hakt, kann eine Antwort die nötige Kompromissfindung erschweren. Weil politische Positionen mit Personen verknüpft werden. Denn die Politik-Berichterstattung erinnert mich oft an einen Sportbericht: Wer hat wie gespielt, wer ist der Gewinner und wer der Verlierer. Da niemand gern der Verlierer sein will, fällt es dann oft noch schwerer, sich auf einen Kompromiss einzulassen, für den man vermeintlich nachgeben musste. Insofern ist Schweigen manchmal Gold.

    Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Live-Interview mit Michael Stifter und Margit Hufnagel.
    Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Live-Interview mit Michael Stifter und Margit Hufnagel. Foto: Ulrich Wagner

    Es wurde zuletzt aber auch viel gestritten in der Regierung …
    HEBESTREIT: Solange ich mich zurückerinnern kann, wurde in jeder Regierung viel gestritten. Nur, weil man miteinander regiert, heißt das nicht, dass plötzlich der Heilige Geist über einen kommt und alle das Gleiche denken. 84 Millionen Bürgerinnen und Bürger leben in Deutschland mit sehr unterschiedlichen Positionen. Die Kunst ist es, daraus gute Politik zu formen, die Unterstützung findet. Insofern wird in einer Koalition, die aus unterschiedlichen Parteien besteht, auch viel miteinander gestritten. Streit ist nicht schlimm. Schlimm wird es erst, wenn der Streit unversöhnlich wird. 

    Haben Sie sich als Regierungssprecher schon einmal verplappert?
    HEBESTREIT: Ganz am Anfang habe ich mal einen Witz gemacht. Ich sagte, ich sei am Überlegen, ob der Kanzler bald Videos auf TikTok tanzen sollte. Als ich abends nach Hause kam, lief der Satz in der Tagesschau. Am nächsten Tag wurde ich im Büro darauf hingewiesen, dass

    Sind Sie eigentlich rund um die Uhr Regierungssprecher, also erklären beim Familienessen der Cousine zweiten Grades die Bundespolitik?
    HEBESTREIT: Eher umgekehrt. Es gibt so etwas wie ein Eingabewesen. Da sitzt der Steffen bei der Familienfeier am Tisch und dem kann ich sagen, was ich dem Kanzler schon immer mal sagen wollte. Da entgegne ich dann relativ klar: Ich habe jetzt Feierabend! Meine Frau und meine Kinder geben mir übrigens sehr genau zu verstehen, wann der Regierungssprecher mal Pause hat.

    Sie begleiten Olaf Scholz schon viele Jahre auf seinem politischen Weg. Wie nah kommt man ihm da als Mensch?
    HEBESTREIT: Seit acht Jahren arbeite ich für Olaf Scholz, wir verbringen sehr viel Zeit miteinander – da lernt man sich natürlich gut kennen. Auf den langen Flügen ins Ausland schweigt man sich ja nicht stundenlang an. Wir sind eine kleine Reisegruppe mit Büroleiterin und engen Beratern. Da spricht man dann auch mal über Privates und lernt sich von einer anderen Seite kennen. Der Bundeskanzler kann wirklich witzig sein. Es ist jetzt aber nicht so, dass wir uns gegenseitig ständig zum Geburtstag einladen würden. 

    Steffen Hebestreit ist der Mann hinter dem Kanzler. Er begleitet ihn seit vielen Jahren.
    Steffen Hebestreit ist der Mann hinter dem Kanzler. Er begleitet ihn seit vielen Jahren. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Sie sind immer wieder dabei, wenn Geschichte geschrieben wird – ist einem das in dem Moment selbst bewusst? 
    HEBESTREIT: Ich war relativ frisch im Job, als Russland die Ukraine überfiel. Da war allen klar, das ist ein historischer Tag. Die Erinnerungen haben sich sehr tief eingebrannt in mein Gedächtnis. 

    Etwa an den Antrittsbesuch des Bundeskanzlers in Moskau wenige Tage vor Kriegsausbruch.
    HEBESTREIT: Ja, einen Tag vor dem Besuch in Moskau hatten wir noch Kiew besucht. Am Grab des unbekannten Soldaten wurden ein Kranz niedergelegt und die Hymnen gespielt. Lauter junge Männer in Uniform salutierten – und ich dachte mir: In dieser Stadt könnte bald Krieg sein. Das fühlte sich absurd an. Und tags darauf, in Moskau, gab es eine Kranzniederlegung an der Kremlmauer. Auch da standen junge Uniformierte. Und uns wurde plötzlich klar: Es kann tatsächlich sein, dass diese Männer bald alle ihr Leben lassen müssen, weil ihr Herrscher eine irrsinnige Idee verfolgt. Neun Tage später befahl Putin den Überfall auf die Ukraine. 

    Hatten Sie in Moskau noch die Hoffnung, dass der Krieg abgewendet werden kann?
    HEBESTREIT: Der Bundeskanzler fragte Putin damals: Wenn ich jetzt in mein Flugzeug steige und zurück nach Berlin fliege – werde ich dann im Rückspiegel sehen, wie Ihre Kampfjets aufsteigen? Auf diese Frage antwortete Putin damals nicht. 

    Wie lief dieser 24. Februar 2022, an dem der Krieg begann, im Kanzleramt ab?
    HEBESTREIT: Als ich am Vorabend ins Bett ging, gab es auf Twitter erste Hinweise, dass der Krieg nun beginnen werde. Als dann um halb fünf mein Handy klingelte, war ich dann nicht mehr überrascht. Um sieben Uhr haben wir uns im Kanzleramt getroffen und alles Weitere für den Tag besprochen: Das Sicherheitskabinett wurde einberufen, auch der Generalinspekteur der Bundeswehr war dabei. 

    Und die Deutschen warteten auf eine Reaktion von Olaf Scholz.
    HEBESTREIT: Ja, am späten Vormittag gab er ein kurzes Statement vor Kameras. Für den Abend hatten wir eine Fernsehansprache angesetzt. Als G7-Präsidentschaft haben wir auch eine Video-Konferenz mit den Staats- und Regierungschefs der G7 verabredet – angesichts der Zeitverschiebung zwischen Japan und den USA organisatorisch auch nicht ganz einfach. Und die EU setzte für den Abend einen Sondergipfel in Brüssel an. Damals herrschten noch Corona-Bedingungen, weshalb nur die Chefs in den Sitzungssaal durften. Und plötzlich hatten wir, die Delegation, am Ende eines sehr intensiven Tages schlagartig nichts mehr zu tun. Ein Moment der Besinnung. Wir haben dann alles, was im Kühlschrank zu finden war, gegessen. Nachts um zwei ging es zurück nach Berlin, um das vorzubereiten, was die Zeitenwende-Rede wurde. 

    Diese Rede wird in die Geschichtsbücher eingehen. War Ihnen das von vornherein bewusst?
    HEBESTREIT: Zumindest war uns bewusst, wie außergewöhnlich die Situation ist und diese Rede wichtig werden würde. Der Redenschreiber des Kanzlers hat mit ihm grob besprochen, welche Themen angesprochen werden sollen. So entstand erst einmal ein Gerüst, mit dem wir dann weitergearbeitet haben. All die Entscheidungen, die die „Zeitenwende“ ausmachen – also Waffenlieferungen, das Sondervermögen für die Bundeswehr und die wachsende Bedeutung der Bündnisverteidigung – wurden parallel vorbereitet. Irgendwann, am Samstagabend, waren wir fertig und der Bundeskanzler las die Rede im kleinen Kreis nochmal laut vor. Da hatten wir schon das Gefühl: Das ist eine besondere Rede. 

    Auch die Abgeordneten im Parlament scheinen das gespürt zu haben …
    HEBESTREIT: Ich saß zwei Reihen hinter dem Kanzler und schrieb ihm eine SMS mit nur einem Wort: „historisch“. 

    Das von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Bild ging um die Welt. Es zeigt Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem Treffen im Kreml.
    Das von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichte Bild ging um die Welt. Es zeigt Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem Treffen im Kreml. Foto: Mikhail Klimentyev, dpa

    Der Krieg hat auch Deutschland gehörig durchgeschüttelt. Gerade wurde eine Umfrage publik, laut der zwei Drittel der Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben. Zugleich gewinnt die AfD in Umfragen. Der Kanzler erweckt manchmal den Eindruck, als würde er das eher achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Täuscht dieser Eindruck?
    HEBESTREIT: Im Augenblick erleben wir einen Höhenflug der AfD, der auch deshalb immer höher wird, weil wir ständig darauf gucken und sagen: Oh Gott, die AfD! Es ist im Moment sehr viel los in der Welt: Wir haben einen Krieg in Europa, eine Million ukrainische Flüchtlinge im Land, mehrere hunderttausend weitere Flüchtlinge aus anderen Ländern, eine hohe Inflation, wir kämpfen gegen den Klimawandel und bereiten unsere Wirtschaft darauf vor, ab 2045 klimaneutral zu produzieren. Insofern ist verständlich, wenn manche sich nicht sicher sind, ob das alles für sie am Ende gut ausgeht. Doch der Kanzler ist überzeugt: Die Zukunft lässt sich durch politische Entscheidungen positiv gestalten. Gemeinsam mit seinem Kabinett trifft er weitreichende Entscheidungen, damit wir all diese Herausforderungen gut bewältigen werden. Und gerade die intensiven Diskussionen der vergangenen Monate waren nötig, um die Zielkonflikte miteinander auszuhandeln und zu guten Kompromissen zu gelangen. Deshalb bleibt er zuversichtlich.

    Zur Person

    Steffen Hebestreit, 51, ist seit Dezember 2021 Sprecher der deutschen Bundesregierung und Chef des Presse- und Informationsamtes. Zuvor war der frühere Journalist Sprecher des Finanzministeriums unter Leitung von Olaf Scholz. 

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