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Interview: Staatsrechtler Josef Lindner: "Der Bund steuert den öffentlichen Diskurs"

Interview

Staatsrechtler Josef Lindner: "Der Bund steuert den öffentlichen Diskurs"

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    Der Rechtsprofessor Josef Franz Lindner von der Uni Augsburg hält nicht viel vom Demokratiefördergesetz der Ampel.
    Der Rechtsprofessor Josef Franz Lindner von der Uni Augsburg hält nicht viel vom Demokratiefördergesetz der Ampel. Foto: Naomi Rieger (Archivbild)

    Herr Professor Lindner, die Ampelkoalition bastelt an einem Demokratiefördergesetz. Steht es schon so schlecht um unsere Demokratie, dass wir ein Gesetz brauchen, um sie zu retten?

    Lindner: Das Signal, das von diesem Gesetz ausgeht, ist beunruhigend. Offenbar meint die Bundesregierung, sie müsse den Bürgern mit Steuermitteln Nachhilfeunterricht in Demokratie erteilen

    Innen- und Familienministerin wollen Vereine und Initiativen stärker fördern, die sich für Vielfalt, Toleranz oder den Schutz von Minderheiten einsetzen. Kann man dagegen ernsthaft etwas haben?

    Lindner: Nein, natürlich nicht. Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Was die Ampel da plant, klingt nach guter Absicht, birgt aber enorme verfassungsrechtliche Probleme. Das beginnt schon damit, dass der Bund seine Kompetenzen überschreitet, weil die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements vor allem Sache der Länder und der Kommunen ist. Weit schwerer aber wiegt für mich, dass der Bund sich mit dem Gesetz in die freie öffentliche Meinungsbildung einmischt. Er steuert den öffentlichen Diskurs, indem er mit Steuergeld Organisationen unterstützt, die für ganz bestimmte politische Meinungen stehen. Der Prozess der Meinungsbildung aber muss in einer Demokratie frei von staatlicher Steuerung sein. Außerdem, und das ist mein dritter Kritikpunkt, kommen wir mit dem geplanten Gesetz in einen Grenzbereich zur staatlichen Parteienfinanzierung. 

    Das müssen Sie uns genauer erklären

    Lindner: Die Finanzierung der Parteien aus staatlichen Mitteln ist streng reglementiert und begrenzt. Durch das Demokratiefördergesetz würden auch parteinahen Organisationen oder Initiativen Mittel bereitgestellt, die in einem weiteren Sinne auch parteipolitisch instrumentalisiert werden können. Salopp gesagt: Wenn die Koalition über das Demokratiefördergesetz einen Verein fördert, der SPD und Grünen nahesteht, profitieren dadurch indirekt natürlich auch die Parteien selbst. Das macht das Ganze noch nicht zwingend verfassungswidrig. Notwendig aber wären aus meiner Sicht Regelungen, die einen parteipolitischen Missbrauch der Förderung ausschließen. Dazu sind drei Aspekte erforderlich: Es müsste erstens ein plural zusammengesetztes Gremium eingerichtet werden, das darüber entscheidet, wer eine Förderung bekommt und wer nicht. Das kann nicht einfach ein Minister, eine Ministerin oder ein Staatssekretär entscheiden. Voraussetzung für eine Förderung muss zweitens sein, dass eine personelle oder organisatorische Verflechtung der geförderten Einrichtung mit einer Partei ausgeschlossen werden kann. Drittens halte ich ein Transparenzregister für zwingend, in dem für jeden einsehbar ist, welche Organisation für welchen Zweck wie viel Geld bekommt und wie diese Organisation im politischen Raum verankert ist. Insgesamt gibt es also dringenden, verfassungsrechtlich gebotenen Nachbesserungsbedarf. Der Entwurf des Demokratiefördergesetzes ist in der jetzigen Fassung nicht beschlussreif. 

    Innenministerin Nancy Faeser sagt, sie wolle Hasskriminalität bekämpfen. Sie werfen ihr vor, sie greife damit als Verfassungsministerin in die von der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit an. Warum?

    Lindner: Hasskriminalität ist kein Rechtsbegriff und damit für die juristische Diskussion unbrauchbar. Im Grundsatz gilt: Jede Meinung darf geäußert werden. Welche Meinungsäußerungen ausnahmsweise nicht hingenommen werden, ergibt sich aus dem Strafgesetzbuch: Das ist vor allem Volksverhetzung, Beleidigung, Verunglimpfung des Staates und der Verfassungsorgane. Für bedenklich halte ich Äußerungen aus der Koalition, nach denen man auch unliebsame Meinungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle stärker in den Blick nehmen wolle. Generell gilt in einem Rechtsstaat jedoch: Alle Meinungsäußerungen, die keinen Straftatbestand erfüllen, sind erlaubt und vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt. 

    Der Bund fördert auch Portale wie die antifeministische Meldestelle der Amadeu-Antonio-Stiftung, die unter anderem kritische Äußerungen über das Gendern sammelt und dokumentiert. Darf sie das überhaupt? 

    Lindner: Solche Meldestellen haben in einem demokratischen Rechtsstaat aus meiner Sicht nichts verloren. Denunziation schafft ein Klima der Einschüchterung, der privaten Spitzelei und des generellen Misstrauens. Dies steht der freien Meinungsbildung in einer Demokratie entgegen. Deswegen sollte sie der Rechtsstaat nicht auch noch finanziell fördern. Meinungsäußerungen, die strafbar sind, kann und muss der Staat mit seinen Möglichkeiten verfolgen. Weitergehende Eingriffe hat der Staat zu unterlassen. 

    Wann wäre die Demokratie denn wirklich in Gefahr? Wenn die AfD den ersten Ministerpräsidenten stellt?

    Lindner: Die Demokratie ist dann bedroht, wenn die demokratischen Prozesse gestört sind und insbesondere die öffentliche Meinungsbildung nicht mehr hinreichend frei stattfinden kann. Davon sind wir im Moment weit entfernt. Zu behaupten, die Demokratie sei in Gefahr, halte ich deshalb für übertrieben. Die AfD hat zumindest auf Bundesebene keine realistischen Möglichkeiten auf irgendeine Form von Regierungsbeteiligung. Und selbst bei einer Regierungsbeteiligung, sei es im Bund oder in Thüringen, greifen die rechtsstaatlichen Mechanismen nach wie vor. Auch eine von der AfD geführte Landesregierung wäre an die Grundrechte, den Rechtsstaat und den Sozialstaat gebunden. Darüber wachen die unabhängigen Verfassungsgerichte. 

    Muss das Bundesverfassungsgericht besser geschützt werden? Zumindest theoretisch könnte heute ein Extremist auf dem Ticket der AfD Verfassungsrichter werden.

    Lindner: Das ist richtig. Eine grundgesetzliche Sicherung der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes halte ich für sinnvoll. Die wesentlichen Regelungen von der Zahl der Senate, den Amtszeiten der Richter, ihrer Wahl und dem Ablauf von Verfahren sind heute einfachgesetzlich geregelt und könnten vergleichsweise einfach geändert werden. Würde man diese Regelungen ins Grundgesetz schreiben, könnten sie nur noch mit Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat verändert werden. So würden wir das Verfassungsgericht zumindest präventiv für den Fall schützen, dass eine extremistische Partei auf Bundesebene irgendwann doch einmal regieren oder mitregieren sollte.

    Zur Person: Josef Franz Lindner ist seit 2012 Professor für öffentliches Recht an der Universität Augsburg. Seit 2015 ist der 57-jährige auch Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht.

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