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Interview: SPD-Verteidigungsexperte: "Sonst treiben wir Russland in die Arme Pekings"

Interview

SPD-Verteidigungsexperte: "Sonst treiben wir Russland in die Arme Pekings"

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    "Wir müssen alles unternehmen, um Russland wieder in die internationale Ordnung einzubinden", sagt Brunner.
    "Wir müssen alles unternehmen, um Russland wieder in die internationale Ordnung einzubinden", sagt Brunner. Foto: Matthias Becker

    Herr Brunner, Sie waren gerade als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato in Brüssel beim

    Karl-Heinz Brunner: Es war schon nicht einfach. Von Seiten der USA und auch der Ukraine wurde von Deutschland ein klares Bekenntnis zu einer möglichst harten Haltung gegenüber Russland gefordert, das schließt auch den Wunsch nach deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine mit ein. Wir als Deutsche haben natürlich bekräftigt, dass es an unserer Bündnistreue keinen Zweifel gibt, aber auch, dass wir glauben, in diesem Konflikt eine wichtige Vermittlerrolle einnehmen können.

    Wir sind überzeugt, dass der Konflikt nicht militärisch, sondern nur diplomatisch zu lösen ist. Das aber ist schwierig, weil zwischen dem Westen und Russland ein Zustand entstanden ist, in dem nur noch übereinander und nicht mehr miteinander gesprochen wird. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland wurde versäumt, einen Gesprächsfaden zu knüpfen. Das war ein riesengroßer Fehler, der sich nun bitter rächt. Denn die Russische Föderation ist nun mal nicht Liechtenstein, sondern das größte Land der Welt. Mit dieser Tatsache müssen wir klarkommen, ob es uns nun gefällt oder nicht.

    Soll die Bundesregierung unter Führung Ihrer Partei, der SPD, die russischen Drohgebärden etwa einfach hinnehmen?

    Brunner: Natürlich nicht. Aber es ist eine gefährliche Illusion, dass der Streit mit Waffen beendet werden kann. Deutschland fällt auch nicht seinen Nato-Partnern in den Rücken, wenn es darauf hinweist, die wissen das ja letztlich selbst. Es ist wichtig zu verstehen, dass Russland trotz seiner Größe wirtschaftlich über kaum Druckmittel oder anders gesagt, Verhandlungsmasse verfügt. Vom Gas einmal abgesehen, deshalb sollten wir auch nicht ständig das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 in Frage stellen. Außerdem brauchen wir das Gas ja auch dringend. Dass wir im Falle eines russischen Angriffs die Röhre nicht in Betrieb nehmen können, ist klar. Aber wir sollten einen Einmarsch nicht herbeireden.

    Sollte Deutschland die Ukraine wenigstens mit Waffenlieferungen unterstützen?

    Brunner: Das fordern die USA und die Ukraine. Ob Waffen, die Deutschland in der Vergangenheit an die baltischen Staaten geliefert hat, an die Ukraine weitergegeben werden dürfen, war ein sehr umstrittenes Thema beim Treffen. Aber wir sind der Meinung, Nein, das verbietet sich aus historischen Gründen und ist auch sicherheitspolitisch nicht klug. Denn wenn wir die Ukraine aufrüsten, liefern wir den Russen ja erst recht Argumente für eine Aggression.

    Bleiben also wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland?

    Brunner: Auch da sollten wir uns ehrlich machen. Wirtschaftssanktionen oder Embargos haben in der Vergangenheit nicht allzu viel bewirkt und Russland sogar eher gestärkt, weil es dadurch bestimmte Wirtschaftszweige schneller entwickelt hat und da nun nicht mehr so stark auf Einfuhren angewiesen ist. Es kann auch nicht in unserem Interesse sein, die russische Bevölkerung auszuhungern. Das wird im Übrigen auch nicht funktionieren, das ist nicht einmal den Nazis in all ihrer Skrupellosigkeit gelungen.

    Aber wie soll der Westen denn dann auf die Aggression reagieren?

    Brunner: Wir müssen alles unternehmen, um Russland wieder in die internationale Ordnung einzubinden, es wieder an den Tisch zu holen. Dazu müssen wir eben zunächst wirtschaftliche Perspektiven anbieten. Und so utopisch das gerade im Moment klingen mag: Wir brauchen einen Prozess, an dessen Ende Russland auch ein Weg in die Nato offensteht. Denn sonst treiben wir Moskau in die Arme Pekings. Das wäre der schlimmste denkbare Fall.

    Was würde das bedeuten?

    Brunner: China ist heute der gefährlichste Akteur auf der Weltbühne, verfügt über eine gewaltige Militärmacht und Atomwaffen. Anders als Russland ist es aber auch technologisch und wirtschaftlich eine Supermacht, könnte unsere Lieferketten durchbrechen und unsere Wirtschaft in die Knie zwingen, allein schon, wenn es den Zugang zu seinem riesigen Absatzmarkt verwehrt. Wenn ein solcher Block entstünde, zu dem dann auch noch die kleine, aber brandgefährliche Atommacht Nordkorea stößt, könnte für den Westen eine Situation entstehen, gegen die der Kalte Krieg wie eine Kleinigkeit erscheinen würde.

    "Dass wir im Falle eines russischen Angriffs die Röhre nicht in Betrieb nehmen können, ist klar", sagt Brunner über Nord Stream 2.
    "Dass wir im Falle eines russischen Angriffs die Röhre nicht in Betrieb nehmen können, ist klar", sagt Brunner über Nord Stream 2. Foto: Jens Büttner, dpa

    Beim Nato-Ukraine-Rat ging es ja gerade um einen möglichen Beitritt der Ukraine zum westlichen Bündnis, den Russland um jeden Preis verhindern will. Die Ukrainer erhoffen sich dagegen Schutz vor russischer Aggression. Wie ist hier der Stand?

    Brunner: Da muss die Nato sich noch darüber klar werden, das wird ein längerer Weg. Ich sehe einen solchen Beitritt im Moment nicht. Das hat einerseits militärische und sicherheitspolitische Gründe. Die Nato hat aber eine weitere Dimension, das sind Werte wie Demokratie. Zugegeben, da gibt es auch unter den Nato-Ländern Defizite, etwa in der Türkei. Aber gerade deshalb sollte die Ukraine nicht auch noch aufgenommen werden, denn dort ist die Demokratie noch nicht so stabil, wie wir dies erwarten. Am Beispiel des früheren Präsidenten Poroschenko. zeigt sich ja, dass ein Grüppchen von Oligarchen immer noch autokratisch auf die Politik Einfluss nehmen. Da gibt es noch viel zu tun. Und dazu bedarf es noch strategischer Geduld.

    Welche nächsten Schritte empfehlen Sie also?

    Brunner: Es muss jetzt schleunigst ein Gesprächsprozess mit Russland beginnen, meiner Meinung nach bietet das Normandie-Format mit Russland, der Ukraine unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich einen guten Rahmen. Wir dürfen uns russischen Drohungen nicht beugen. Aber eine Eskalation bringt uns nur einer militärischen Auseinandersetzung näher, von der ich glaube, dass sie auch Russland nicht will. Es hilft also nur reden, reden, reden. Wir müssen eine Situation schaffen, von der beide Seiten profitieren.

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