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Interview: Soldat Jonas kämpfte freiwillig für die Ukraine – und überlebte schwer verletzt

Interview

Soldat Jonas kämpfte freiwillig für die Ukraine – und überlebte schwer verletzt

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    Krieg, Leid, Zerstörung – und kein Ende in Sicht. Ein ukrainischer Soldat steht vor einem Trümmerfeld in der Region Donezk.
    Krieg, Leid, Zerstörung – und kein Ende in Sicht. Ein ukrainischer Soldat steht vor einem Trümmerfeld in der Region Donezk. Foto: Libkos, AP/dpa

    Herr Kratzenberg, wie kam es zu der Entscheidung, in der Ukraine zu kämpfen. War es ein spontaner Entschluss oder haben Sie lange mit sich gerungen?

    Jonas Kratzenberg: Das war ganz und gar nicht spontan. Es kamen viele Gründe zusammen, bis mir klar wurde, dass mein Weg in die Ukraine führen würde, um das Land gegen den russischen Angriff zu unterstützen. Die starke moralische Komponente war, dass mich dieser Krieg anwiderte, dieser völlig unprovozierte Einmarsch. Aber auch die anfängliche Inaktivität des Westens, vor allem auch Deutschlands. Diese pazifistische Sentimentalität hat mich auf die Palme gebracht. 

    Hat Sie der massive Angriff der Russen am 24. Februar überrascht?

    Kratzenberg: Ich war ehrlich gesagt nicht überrascht. Als die Nato erklärte, dass sie die Ukraine im Falle eines Krieges nicht mit Bodentruppen unterstützen werde, war mir klar, dass die Russen angreifen würden. Völlig unterschätzt habe ich hingegen die Widerstandsfähigkeit der Ukraine. 

    Wie haben Ihre Eltern auf Ihren Entschluss reagiert?

    Kratzenberg: Ich wusste natürlich, dass sie entsetzt sein würden. Ich habe ihnen erst wenige Minuten vor der Abfahrt gesagt, wo ich hingehen werde. Das war für meine Eltern, aber auch für mich natürlich sehr hart. Es gab Tränen. 

    Sie hatten auf der Fahrt durch Polen in Richtung Ukraine ja einige Zeit, um nachzudenken. Stieg da nicht auch Angst in Ihnen hoch?

    Kratzenberg: Die Gedanken und Gefühle auf so einer Fahrt sind die gleichen, die man hat, wenn man zu einem Kampfeinsatz fährt. Man malt sich aus, was auf einen zukommt. Ich wusste, dass es im Krieg sehr schnell gehen kann, dass es Situationen gibt, die man nicht kontrollieren kann. Wenn ein Kampfjet oder eine Drohne über einem auftaucht und eine Bombe abwirft oder die gegnerische Artillerie einen Volltreffer landet, dann war’s das. Gleichzeitig hofft man, sich im Einsatz zu bewähren. 

    Sie sind ausgebildeter Panzergrenadier, waren auch in Afghanistan eingesetzt und hatten gerade die Offizierslaufbahn eingeschlagen. Dann sind Sie bei der Bundeswehr ausgestiegen. Fühlten Sie sich gut vorbereitet auf einen Krieg?

    Kratzenberg: Ich fühlte mich schon relativ gut vorbereitet. Was mich eher überrascht hat, ist, wie gering der militärische Standard der Kämpfer in der internationalen Legion, die die Ukraine unterstützen, war. Ich hatte vielen Kameraden von den militärischen Kenntnissen her einiges voraus. Tatsächlich war die Ausbildung bei der Bundeswehr sehr gut. 

    Jonas Kratzenberg vor zerstörten Militärfahrzeugen in der Ukraine. Der junge Mann, der auf eine Karriere bei der Bundeswehr verzichtet hat, um der Ukraine als Soldat gegen den russischen Angriff zu unterstützen, hat ein Buch über seine Kriegserlebnisse geschrieben.
    Jonas Kratzenberg vor zerstörten Militärfahrzeugen in der Ukraine. Der junge Mann, der auf eine Karriere bei der Bundeswehr verzichtet hat, um der Ukraine als Soldat gegen den russischen Angriff zu unterstützen, hat ein Buch über seine Kriegserlebnisse geschrieben. Foto: Taras Fedorenko

    Zunächst kämpften Sie für die internationale Legion aus Freiwilligen. Es gab verschiedene Berichte, dass diese Truppe chaotisch geführt wird und nur geringe Durchschlagskraft entwickelt.

    Kratzenberg: Als ich in die Ukraine kam, gab es zwei Flügel der internationalen Legion. Ich war bei den Spezialkräften, die dem Geheimdienst unterstanden, der zweite Flügel war den regulären Streitkräften unterstellt. Tatsächlich ließ die Schlagkraft der Legion zu wünschen übrig. Ich habe dort viele Glücksritter kennengelernt, auch viele Zivilisten oder Kameraden mit abgebrochener militärischer Ausbildung. Das Hauptproblem war aber, dass die Einheiten nur aus Infanterie bestanden. Wir verfügten weder über Gefechtsfahrzeuge noch Artillerie. Es gab keinen Freiraum für eigene Strukturen. Die Ukrainer duldeten keine Eigeninitiative. 

    Das klingt etwas bitter.

    Kratzenberg: Ja, es war bitter, zu erleben, dass die Ukraine kaum Interesse daran hat, den Freiwilligen aus anderen Ländern etwas zu bieten. Nicht einmal die Verträge, die wir unterzeichnen mussten, wurden eingehalten. 

    Später kämpften Sie bei den regulären ukrainischen Streitkräften. Wie groß waren die Unterschiede?

    Kratzenberg: Sehr groß. In der Armee gibt es eigene Teams, die professionell zusammengestellt sind. Das ist der große Unterschied. 

    Sie waren auch in Butscha und wurden dort mit russischen Kriegsverbrechen konfrontiert. Wie gingen und gehen Sie mit den schrecklichen Bildern um?

    Kratzenberg: Ich war in Irpin und später in Butscha. Dort sahen wir eine schreckliche Seite des Krieges, die meistens in den Medien nicht gezeigt wird. Natürlich haben die Bilder von Kriegsverbrechen sich eingebrannt. Viel schlimmer finde ich aber die Erinnerungen an die Gerüche und Geräusche, die man nicht vergessen kann. Traumatisiert fühle ich mich nicht. Es ist aber gut zu wissen, dass ich als früherer Soldat der Bundeswehr das Privileg habe, mich an den Sozialdienst der Streitkräfte wenden zu können, falls ich doch noch Probleme bekommen sollte. 

    Nachdem Sie bei einem Drohnenangriff im November 2022 schwer verletzt wurden, war dieser Krieg für Sie zu Ende. Leiden Sie unter gesundheitlichen Folgen?

    Kratzenberg: Ich hatte wirklich Glück im Unglück. In meinem Körper stecken viele Metallpartikel. Aber ich habe im Alltag keine gesundheitlichen Einschränkungen. 

    Sie haben erlebt, wie Kameraden verwundet wurden oder starben. Sind Sie heute in Gedanken noch immer in der Ukraine?

    Kratzenberg: Jeden Tag. Ich denke an Kameraden und Freunde. Und ich will unbedingt einen Sieg der Ukraine sehen. 

    Das ist Ihre Hoffnung. Sie waren hautnah dabei. Wie geht dieser Krieg aus?

    Kratzenberg: Wie ich schon sagte, ich habe die Kampfkraft der ukrainischen Armee immer wieder unterschätzt. Ich denke beispielsweise daran, dass es gelungen ist, die Russen aus Charkiw und Cherson zu vertreiben. Ich glaube tatsächlich, dass ein Sieg der Ukraine möglich ist, wenn der Westen das Land weiter umfassend militärisch unterstützt – allerdings nicht in diesem, frühestens vielleicht im nächsten Jahr. Wetten würde ich darauf aber nicht. 

    Haben die Russen nicht die größeren Reserven?

    Kratzenberg: Russland macht vieles mit schierer Masse. Aber ich glaube, dass Moskau kein Ass mehr im Ärmel hat.

    Sie leben jetzt mit Ihrer ukrainischen Freundin in Deutschland. Welche Pläne haben Sie?

    Kratzenberg: Ich will vom Militärischen weg, eine Familie aufbauen. Deshalb bin ich dabei, beruflich neu zu starten und hoffe schon im Sommer in Vollzeit zu arbeiten. Am 25. April wird jetzt erst einmal mein Buch über meine Erlebnisse im Krieg erscheinen, dass ich mit dem Journalisten und freiem Autor Fred Sellin geschrieben habe. („Schützenhilfe. Für die Ukraine im Krieg – ein deutscher Soldat berichtet von der Front“; Yes Publishing, 200 Seiten, 22 Euro).

    Gerade erschienen: "Schützenhilfe. Für die Ukraine im Krieg - ein deutscher Soldat berichtet von der Front."
    Gerade erschienen: "Schützenhilfe. Für die Ukraine im Krieg - ein deutscher Soldat berichtet von der Front." Foto: Verlag

    Jonas Kratzenberg: 1997 im Rheinland geboren, ging Jonas Kratzenberg nach dem Abitur zur Bundeswehr. Der Zeitsoldat war in Afghanistan im Einsatz. Er verzichtete auf die Offizierslaufbahn und zog Anfang 2022 in den Ukraine-Krieg. Dort kämpfte er gegen russische Truppen bis er im November 2022 schwer verletzt wurde.

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