Herr Gabriel, US-Präsident Donald Trump will nicht nur Teile seiner Truppen aus Deutschland abziehen. Die Kritik an Berlin wird immer mehr zu seinem zentralen Wahlkampf-Mittel. Wie konnte es so weit kommen?
Sigmar Gabriel: Es gibt gewiss Kritik von Donald Trump an Deutschland, die berechtigt ist und von vielen in der Welt geteilt wird. Dass Amerika unzufrieden mit seinen hohen Verteidigungslasten ist, kann ich verstehen. Und in der Tat muss Deutschland da mehr tun. Oder den wachsenden Handelsbilanzüberschuss Deutschlands in den letzten Jahren. Den kritisieren viele andere Staaten auch. Im Kern ist die Welt für Donald Trump eine Arena, eine Kampfbahn, in der sich der Stärkere durchsetzt. Von allen anderen erwartet er Gefolgschaft. Unser transatlantisches Verhältnis war aber von Partnerschaft geprägt und nie von bedingungsloser Gefolgschaft. Weil wir uns seiner Sicht auf die Welt nicht anschließen, sieht Trump Deutschland nicht nur als wirtschaftlichen Wettbewerber, sondern als echten Gegner. Und Deutschland ist für ihn gleichbedeutend mit Europa. Europa aber, so Trump, sei „schlimmer als China, nur kleiner“. Von Verträgen, Partnerschaften auf Augenhöhe und Alliierten hält er nichts. Und da ist ein Land wie Deutschland, das auf ein faires Miteinander in der Welt setzt, ein Dorn im Auge.
Muss die Bundesregierung auf die ständigen Angriffe aus Washington stärker reagieren?
Gabriel: Sie sollte gelassen bleiben und das tut sie ja auch. Erstens ist es völlig unklar, ob Donald Trump noch einmal Präsident der Vereinigten Staaten wird. Und zweitens wird Deutschland mit oder ohne Trump ohnehin mehr auf die europäische Zusammenarbeit setzen müssen. Denn die USA werden – egal unter welchem Präsidenten – weniger europäisch werden und mehr pazifisch. Das liegt einfach daran, dass sich die wirtschaftlichen und politischen Schwerpunkte dorthin verlagern und die USA darauf reagieren müssen. Je stärker Europa wird, desto interessanter werden wir auch wieder für die USA als Partner.
Werden sich die Beziehungen durch einen Truppenabzug weiter verschlechtern?
Gabriel: Ich fürchte, wenn er nochmals Präsident wird, brechen sehr schwierige Zeiten für die Nato an. Er hat ja die Nato mehrfach infrage gestellt, wurde aber immer durch die Außenpolitiker im Senat und im US-Kongress gebremst und korrigiert. Gewinnt er ein zweites Mal, wer sollte ihn dann noch bremsen? Dann hat er freie Bahn, wird seine Wiederwahl als Bestätigung für die schlimmsten seiner Ideen empfinden und braucht keine Rücksicht mehr zu nehmen, weil er ja nicht ein drittes Mal kandidieren kann.
Was genau sind Ihre Befürchtungen?
Gabriel: Das Gefährlichste für die Nato ist nicht, wenn sie ein paar Panzer oder Flugzeuge zu wenig hat. Viel gefährlicher ist es, wenn der potenzielle Gegner – in unserem Fall nach wie vor Russland – den Eindruck hat, das Verteidigungsbündnis würde nicht mehr zusammenhalten und nicht mehr füreinander einstehen. Genau diesen Eindruck vermittelt der US-Präsident. Das lädt dazu ein, die Nato-Einheit zu testen. Niemand hat derzeit davor mehr Sorge als die baltischen Mitgliedsstaaten von EU und Nato.
Zur Person Sigmar Gabriel, 60, ist seit Juli 2019 Vorsitzender der Atlantik-Brücke, eines Vereins, der die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA pflegt.
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