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Interview: Sicherheitspolitik-Experte Mölling: "Die Folgen der Krisen werden uns Geld und Wohlstand kosten"

Interview

Sicherheitspolitik-Experte Mölling: "Die Folgen der Krisen werden uns Geld und Wohlstand kosten"

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    «Krieg, Krise, Klimakollaps» - ein Dreiklang, der die internationale und die deutsche Politik noch lange beschäftigen dürfte. Der Experte für Sicherheitspolitik, Christian Mölling, beschäftigt sich in seinem aktuellen Buch "Fragile Sicherheit" mit Strategien gegen die Auswirkungen der multiplen Krisen.
    «Krieg, Krise, Klimakollaps» - ein Dreiklang, der die internationale und die deutsche Politik noch lange beschäftigen dürfte. Der Experte für Sicherheitspolitik, Christian Mölling, beschäftigt sich in seinem aktuellen Buch "Fragile Sicherheit" mit Strategien gegen die Auswirkungen der multiplen Krisen. Foto: Marcus Brandt, dpa (Archivbild)

    Herr Mölling, Sie befassen sich intensiv mit Sicherheitspolitik. Das war, mit Blick auf den Ukraine-Krieg, zuletzt sicher auch belastend. In Ihrem Buch „Fragile Sicherheit“ bemühen Sie sich, nicht alles schwarz in schwarz zu schildern und Chancen aufzuzeigen. War das Schreiben auch ein wenig Selbsttherapie?

    Christian Mölling: Natürlich gibt es Momente, in denen einen ein Gefühl der Ohnmacht heimsucht, weil alles so schrecklich ist. Das Buch ist nicht für Experten geschrieben, sondern für ein breites Publikum. Es geht darum, konstruktive Ansätze dafür zu finden, wie die Bevölkerung in Zukunft sicher leben kann. 

    Politik und Gesellschaft haben lange die Gefahren, die von Russland ausgehen, unterschätzt. Ändert sich das gerade?

    Mölling: Ich glaube, es gibt eine sehr laute Minderheit, und es gibt eine Mehrheit. Wir sehen in den Umfragen, dass die Mehrheit weiterhin fest für die Unterstützung der Ukraine eintritt. 

    Ist in Deutschland angekommen, dass die relativ sorglosen Zeiten – ökonomisch und sicherheitspolitisch – zu Ende sind?

    Mölling: Nein. Lange war die Erzählung, dass alles gut ist, dass wir von Freunden umgeben sind, dass das Land reich ist und so weiter. Jetzt kommt auf einmal der tiefe Fall in die Realität, und dann ist es die Aufgabe von Führung durch die Politik, Lösungen zu beschreiben. Die Parteien scheuen sich, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, die Einschränkungen für die Menschen bedeuten. In der nächsten Generation wird schlicht weniger möglich sein als in der jetzigen. Die Versprechen, dass alles so weiter geht wie bisher, werden noch immer gerne verbreitet – gerade am linken oder rechten Rand. Doch das bringt uns nicht weiter. 

    Schon das Zwei-Prozent-Ziel für das Verteidigungsbudget ist nicht überall populär.

    Mölling: Das mit dem Zwei-Prozent-Ziel ist natürlich schön griffig. Aber der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass auch andere Faktoren wichtig sind. Da ist die Resilienz, also die Fähigkeit der Bevölkerung, aber auch der Wirtschaft, mitzuziehen, wenn es eine Bedrohung von außen gibt. 

    Sie schildern eine Atmosphäre der Unsicherheit und Zukunftsangst. Was würde eine erneute US-Präsidentschaft von Donald Trump in dieser Situation bedeuten? 

    Mölling: Zunächst einmal glaube ich nicht, dass unbedingt Trump gewinnt. Deutsche und Europäer können die Wahlen in den USA natürlich nicht entscheiden, aber an einer Stelle vielleicht mit beeinflussen. Die Amerikaner unter Präsident Joe Biden kümmern sich wieder um unsere Sicherheit. Dafür lassen wir ihn ziemlich im Regen stehen. Zwar investieren die Europäer mehr in Verteidigung, aber das führt noch nicht zu einer Entlastung der USA. Da muss mehr passieren, damit Biden im Repräsentantenhaus und im Kongress sagen kann: "Schaut her, die Europäer tun jetzt viel mehr für ihre Verteidigung". Das wäre ein Argument für Biden. Wenn Europa dieses Zeitfenster verpasst und die US-Unterstützung verliert, dann wird es schwierig und vor allem teuer. 

    Seit Jahren wird gefordert, dass Europa sich von der militärischen Abhängigkeit von den USA lösen muss. Ist das realistisch?

    Mölling: Es gibt kleinere gemeinsame europäische Projekte im Militärbereich, aber die großen Sachen kommen nicht voran. Wir müssen aber in den nächsten zehn Jahren unsere Verteidigungsfähigkeit in Europa deutlich steigern – sonst wird es gefährlich. Denn Russland wird seine Arsenale mit Hochdruck wieder auffüllen, wenn der Ukraine-Krieg an Intensität verliert oder gar zu einem eingefrorenen Konflikt wird. Europa muss möglichst schnell voll abwehrbereit sein, damit wir nicht in einen neuen Krieg hineinschlittern.

    Sie behandeln die Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Sicherheitspolitik. Wird dieser Punkt zu wenig wahrgenommen?

    Mölling: Gesprochen wird darüber schon, aber die Konsequenzen sind unterbelichtet. Wir sollten uns dringend darüber Gedanken machen, wie Klimaschutz auch unter konfrontativen Bedingungen funktionieren kann und was man auch an Abstrichen hinnehmen muss. Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Diktaturen und Demokratien, dass Autokraten auf die Rechte von Individuen keine Rücksicht nehmen, während der Mensch im liberalen Weltbild im Zentrum steht. Das gilt auch für die Folgen des Klimawandels: Da haben die Chinesen ganz andere Schmerzpunkte als wir. 

    Überfällig ist nicht eine neue Friedens-, sondern eine Konfliktordnung, schreiben Sie. Wie könnte sie aussehen?

    Mölling: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in den nächsten zehn, 20 Jahren mit Akteuren zu tun haben, die uns nichts Gutes wollen. Seit 2014 sprechen wir von hybrider Kriegsführung. Einige unserer Schwächen, die uns dafür anfällig machen, sind gleichzeitig unsere Stärken: die freie Gesellschaft, Pressefreiheit und einiges mehr. Aber es gibt Möglichkeiten, Menschen durch Bildung zu stärken, damit sie mit solchen Fake News und Angriffen besser umgehen können, also resilienter werden. Sicher scheint mir, dass die Folgen der Krisen uns Geld und Wohlstand kosten werden. Wir haben die Wahl, ärmer zu werden im demokratischen System oder aber später ärmer zu werden in einem nicht mehr demokratischen System. 

    Was macht Ihnen in dieser Zeit der multiplen Krisen Hoffnung?

    Mölling: Mir macht Hoffnung, dass es bei einer Mehrheit die Bereitschaft zum Austausch und einen Grundkonsens darüber gibt, was wir erhalten wollen. Ich wollte in meinem Buch Fakten und plausible Überlegungen zur Sicherheitspolitik in herausfordernden Zeiten beisteuern. Und ich wollte klarmachen, dass die grundsätzlichen Probleme mit einem Ende des Ukraine-Krieges nicht verschwinden werden. Etwas anderes ist es, eine positive Vision zu formulieren. Dafür ist ein überzeugender Ansatz noch nicht in Sicht. 

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    Foto: Verlag Herder

    Zur Person: Christian Mölling, 50, ist Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der Politikwissenschaftler ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Gerade erschienen ist sein Buch "Fragile Sicherheit" im Herder Verlag, 224 Seiten.

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