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Interview: Serap Güler: „Minister zu sein ist etwas anderes als Dauer-Talkshow-Gast“

Interview

Serap Güler: „Minister zu sein ist etwas anderes als Dauer-Talkshow-Gast“

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    Serap Güler unterstützt Helge Braun in seinem Kampf um den CDU-Vorsitz.
    Serap Güler unterstützt Helge Braun in seinem Kampf um den CDU-Vorsitz. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Frau Güler, Sie haben für Ihre Partei gerade eine bittere Diagnose ausgestellt. Die CDU biete schlicht keine Lösungen mehr für die Probleme vieler Menschen. Wie konnte das passieren?

    Serap Güler: Wir haben es uns in den letzten 16 Jahren zu bequem gemacht und uns auf der Popularität der Bundeskanzlerin ausgeruht. Dabei haben wir das Kämpfen verlernt. Das Kämpfen um die besten Ideen und um die Zustimmung der Bevölkerung. Wir haben geglaubt, die Menschen würden uns sowieso wählen. Aber es reicht eben nicht, sich nur darauf zu berufen, was die CDU in der Vergangenheit geleistet hat.

    Sie wollen als Generalsekretärin dafür sorgen, dass die CDU wieder für soziale Gerechtigkeit steht. Warum setzen Sie gerade auf dieses Thema?

    Güler: Weil das in den letzten Jahren eine offene Flanke in unserer Partei war. Und auch aufgrund meiner eigenen Biografie. Ich komme nicht aus einer Unternehmer- oder Akademikerfamilie. Mein Vater kam als Gastarbeiter aus der Türkei und hat als Bergmann unter Tage geschuftet. Meine Mutter ist putzen gegangen. Wir mussten aufs Geld schauen und konnten uns nicht alles leisten. So geht es vielen Menschen in unserem Land. Doch sie wählen uns nicht mehr, weil sie das Gefühl haben, dass wir uns nicht mehr um sie kümmern.

    So könnte auch eine SPD-Generalsekretärin reden. Dabei sehen viele in Ihrer Partei gerade in ihrer vermeintlichen Sozialdemokratisierung den Grund für den Niedergang der CDU.

    Güler: Falsch. Zum Markenkern der CDU gehört das Soziale genauso wie das Konservative und Liberale. Die „Neue Soziale Frage“ war mal Programmatik der CDU. Das hat die SPD nicht für sich alleine gepachtet. Die wahre Sozialdemokratisierung in unserer Partei findet doch in den Personaldebatten statt. Es hat uns sehr geschadet, dass wir seit 2018 quasi ununterbrochen die eigene Parteispitze infrage gestellt haben. So etwas gab es früher nur bei den Sozialdemokraten.

    Zumindest bis zum Parteitag im Januar werden die Diskussionen weitergehen. Friedrich Merz will dann im dritten Anlauf an die Spitze. Warum wollen Sie das verhindern?

    Güler: Moment! Dass ich mit Helge Braun einen anderen Kandidaten unterstütze, heißt nicht, dass ich Friedrich Merz verhindern will. Eines ist völlig klar: Nach der Wahl muss sich die CDU geschlossen hinter dem neuen Vorsitzenden versammeln – egal, wer das dann ist. Nach den letzten beiden Wahlen haben wir das nicht geschafft. Ein drittes Mal darf es uns nicht passieren.

    Helge Braun kandidiert für den CDU-Vorsitz. Beim Neuaufbau der Partei setzt er auf Serap Güler (links), die Generalsekretärin werden würde, und auf Nadine Schön, die helfen soll, die CDU zu modernisieren.
    Helge Braun kandidiert für den CDU-Vorsitz. Beim Neuaufbau der Partei setzt er auf Serap Güler (links), die Generalsekretärin werden würde, und auf Nadine Schön, die helfen soll, die CDU zu modernisieren. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Es gab nicht nur Zwist innerhalb der CDU, sondern auch mit der CSU. Wie soll das weitergehen?

    Güler: Fakt ist: Das Verhältnis muss dringend repariert werden. Die Wut, die sich da im Wahlkampf zum Teil aufgestaut hat, ist langsam verflogen. Und ich glaube, auch Markus Söder hat inzwischen erkannt, dass der Streit nicht nur der CDU, sondern auch der CSU geschadet hat. Selbst eine bayerische Landtagswahl ist heutzutage kein Selbstläufer mehr. Es muss deshalb beidseitige Priorität sein, wieder schnell zueinander zu finden.

    Sie gelten als Entdeckung von Armin Laschet. Er selbst macht inzwischen keinen Hehl mehr daraus, wie sehr ihm die Sticheleien aus Bayern zugesetzt haben. Wie haben Sie persönlich seine Niederlage empfunden?

    Güler: Es tut mir weh, das muss ich ganz offen sagen. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass er ein guter Kanzler geworden wäre.

    Welche Lehren haben Sie aus dem Wahldebakel gezogen?

    Güler: Dass es ein großer Fehler war, so lange mit der Kür des Kanzlerkandidaten zu warten. Wie soll man eine gute, überzeugende Kampagne auf die Beine stellen, wenn man wenige Monate vor der Wahl immer noch nicht weiß, wer an der Spitze stehen wird? Das hätte wohl nicht einmal Heiner Geißler geschafft. Die Lehre für die CDU daraus kann nur lauten: Spätestens ein Jahr vor der Wahl muss der Spitzenkandidat feststehen.

    Wie Laschet steht nun auch Helge Braun, dessen Generalsekretärin Sie werden wollen, für eine Fortsetzung der Ära Merkel. Mancher behauptet sogar, er sei die letzte Patrone der Merkel-Fans. Sehen Sie das als Kompliment oder Verunglimpfung?

    Güler: Ich halte es für völligen Quatsch. Helge Braun ist eine eigenständige politische Persönlichkeit. Abgesehen davon: Von Angela Merkel kann man unglaublich viel lernen. Diese Frau war 16 Jahre Bundeskanzlerin, hat vier Wahlen gewonnen und uns durch sämtliche Krisen geführt. Sie hat die CDU stabil gehalten, während in vielen anderen Ländern konservative Parteien in der Versenkung verschwunden sind. Natürlich hat Angela Merkel Fehler gemacht, aber eben auch Enormes für unser Land geleistet. Und ich verstehe nicht, warum man sich davon distanzieren sollte.

    Serap Güler gilt als politische Entdeckung von Armin Laschet. In NRW war sie Staatssekretärin für Integration.
    Serap Güler gilt als politische Entdeckung von Armin Laschet. In NRW war sie Staatssekretärin für Integration. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Zumindest in seiner demonstrativen Gelassenheit ist Helge Braun der ewigen Kanzlerin ziemlich ähnlich. Nur bräuchte die CDU jetzt nicht jemanden, der sie mitreißt?

    Güler: Ja, er lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. Das ist eine große Stärke. Außerdem ist er fachlich extrem breit aufgestellt und trotzdem keiner, der anderen das Gefühl gibt, er sei ihnen überlegen. Er marschiert nicht einfach los und erwartet, dass alle hinterherlaufen. Er hört anderen zu, nimmt sie ernst und ist auch mal bereit, sich von einem anderen Weg überzeugen zu lassen. Diese menschliche Größe beeindruckt mich sehr. Um ein guter Parteichef zu sein, muss man nicht bei jeder Gelegenheit ein Feuerwerk abfackeln. Das können dafür dann Nadine Schön und ich machen (lacht).

    Zuletzt haben sich viele Unions-Politiker an der noch gar nicht regierenden Ampel abgearbeitet. Ist das der richtige Weg, um die Menschen für eigene Ideen zu begeistern?

    Güler: Wir sind die Opposition und es gehört zu unserer Rolle, zu sagen, wenn etwas nicht richtig läuft. Wenn zum Beispiel mitten, in der vierten Corona-Welle die epidemische Lage beendet werden soll.

    War es nicht der Gesundheitsminister von der CDU, der genau das als Erster ins Gespräch gebracht hatte...

    Güler: …zu einer Zeit, als die Infektionszahlen noch niedrig waren und die FDP vom „Freedom Day“ geträumt hat.

    Im Bundesrat haben die CDU-regierten Länder dem Infektionsschutzgesetz der Ampel trotzdem zugestimmt. War das Getöse zuvor also nur Show?

    Güler: Nein, wir haben auf Missstände hingewiesen. Die CDU ist sich aber ihrer staatspolitischen Verantwortung in dieser Krise bewusst und hat im Bundesrat deshalb trotz der Kritik an dem Gesetz, die auch unsere Ministerpräsidenten deutlich gemacht haben, zugestimmt.

    Zu Beginn der Pandemie gab es einen unausgesprochenen Konsens, dass parteipolitisches Gezänk hintangestellt wird. Gilt das in der aktuellen Lage, die vielen Angst macht, nicht mehr?

    Güler: Natürlich müssen wir im Kampf gegen die Pandemie zu einer möglichst großen Geschlossenheit zurückfinden. Aber es ist auch die Aufgabe der jetzt politischen Verantwortlichen, die Opposition hier einzubinden. Ich kann nicht sagen, dass das bisher der Fall war.

    Bei der Bundestagswahl sind Sie in Ihrem Wahlkreis gegen Karl Lauterbach angetreten. Sie kennen ihn gut. Wäre er ein guter Gesundheitsminister?

    Güler: Wenn er es wird, wünsche ich ihm eine glückliche Hand – allein für unser Land. Ob er ein guter Gesundheitsminister wird, wird sich zeigen. So ein Amt auszuüben, ist ja schon etwas anderes, als Dauer-Talkshow-Gast zu sein. Er hat sich jetzt zwei Jahre lang als oberster Bedenkenträger inszeniert – und trotzdem nun dem Ende der epidemischen Lage zugestimmt. Glaubwürdig ist das nicht.

    Was würden Sie aus dem Koalitionsvertrag der Ampel sofort streichen, wenn Sie dürften? 

    Güler: Die Achillesferse dieser Koalition ist jetzt schon das Thema Innere Sicherheit. Der Koalitionsvertrag ist hier ein Dokument des Misstrauens gegen unsere Sicherheitsbehörden. Ziemlich kurios finde ich zum Beispiel den Satz, dass man sich erst eine definitorische Klärung zur Clankriminalität vornehmen will. Mir wäre ein konsequentes Vorgehen dagegen lieber. Das Migrationskapitel hingegen bietet weitere Anreize zur irregulären Migration, indem man die Sozialleistungen für Asylbewerber erhöhen und den Familiennachzug erweitern will. Das wird dazu führen, dass sich wieder mehr Menschen auf den Weg nach Deutschland machen. Und es wird dazu beitragen, dass viele Familien wieder die Jüngeren vorschicken, die sich dann auf diese gefährlichen Routen begeben.

    Die neue Regierung will auch, dass Menschen, die mindestens drei Jahre regulär hier leben, den deutschen Pass bekommen. Eine gute Idee?

    Güler: Das ist für Einwanderungsländer erst mal nichts Ungewöhnliches. Die Frist von drei Jahren erscheint mir allerdings übertrieben kurz. Ich kenne kein anderes Land, in dem das so schnell geht.

    Ihr Vater ist in den 60er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und hier heimisch geworden. Vor wenigen Monaten ist er gestorben. Wie fand er es, dass seine Tochter Politikerin geworden ist?

    Güler: Er hatte noch mitbekommen, dass ich für den Bundestag kandidieren wollte. Dass seine Tochter die Zukunft dieses Landes, in das er einmal als Fremder gekommen war, mitgestalten darf, hat ihn sehr gefreut. Er war megastolz.

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