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Interview: Sachsens Ministerpräsident: "Man darf die AfD nicht zu Märtyrern machen"

Interview

Sachsens Ministerpräsident: "Man darf die AfD nicht zu Märtyrern machen"

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    Die Energiewende müsse neu aufgesetzt werden, meint Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
    Die Energiewende müsse neu aufgesetzt werden, meint Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Foto: Jan Woitas, dpa

    Herr Kretschmer, wie können Sie die AfD im Zaum halten?
    MICHAEL KRETSCHMER: Es gibt nicht den einen Weg. Wir haben eine Zeit, in der die Auflagen der Zeitungen sinken und der öffentlich-rechtliche Rundfunk an Zuspruch verliert. Dadurch entstehen immer mehr Blasen. Diese lassen sich nur durch das persönliche Erleben und Kennenlernen durchdringen. Das fand ich in der Corona-Zeit richtig und wichtig, und das ist es heute noch. Man muss auf die Menschen zugehen und mit ihnen reden, weil man nur so versteht und wahrnehmen kann, was die Leute bewegt.

    Das wäre jetzt ein Weg.
    KRETSCHMER: Ein anderer ist, dass man die AfD nicht zu Märtyrern macht. Deren Mitglieder versuchen ganz bewusst, sich als Opfer darzustellen. Dabei haben sie alle demokratischen Rechte, haben Redezeit im Parlament, sie sind in den Ausschüssen vertreten, sie haben sogar einen Vizepräsidenten im Sächsischen Landtag. 

    Sie haben vermutlich noch einen weiteren Weg?
    KRETSCHMER: Man darf die harte Auseinandersetzung nicht scheuen und muss vor allen Dingen regelmäßig sichtbar machen, wessen Geistes Kind diese Leute sind. Jede Landtagsdebatte ist ein Beleg für die zunehmende Radikalität der AfD. Die extremen Strömungen in dieser Partei nehmen zu. In unserer CDU-Landtagsfraktion sind alle Kolleginnen und Kollegen übereinstimmend der Meinung, dass diese Gruppe eine riesige Gefahr ist. Das finde ich bemerkenswert. Mit der AfD verbietet sich jegliche Zusammenarbeit. 

    Sie gehen persönlich einen sehr hohen Einsatz, fahren über die Dörfer, in jede Stadt. Gleichzeitig radikalisiert sich die AfD und steht in den Umfragen noch dazu auf Platz eins. Was läuft da falsch?
    KRETSCHMER: Unser Land hat derzeit viele Sorgen, viele Probleme. Und wir haben eine Bundesregierung, die nicht verbindet, die nicht das Gemeinsame sucht, sondern durch ihren Politikansatz spaltet.

    Machen Sie es sich da nicht zu einfach?
    KRETSCHMER: Ich nenne Ihnen gerne ein Beispiel. Seit über einem Jahr versuchen alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten beim Thema Asyl parteiübergreifend mit der Bundesregierung ins Gespräch zu kommen. Wir haben die kommunale Familie dazugenommen, den Städte- und Gemeindetag, den Landkreistag, und wir wollen das Thema klären. Die Regierung jedoch bewegt sich kein Stück und man fragt sich angesichts der öffentlichen Debatte, warum es nicht möglich ist, über den eigenen Schatten zu springen und zu sagen: Hier ist ein wichtiges Thema, und die Politik löst es. Die Ampel schafft ständig neue Bürokratiemonster. Das Problem ist, dass die Frustration der Menschen in Deutschland immer stärker wird. Natürlich sind die Umfragewerte für die AfD Ausdruck dieses Frustes, und der gilt nicht nur der Asylpolitik, sondern auch dem Gebäudeenergiegesetz und einigen anderen Themen.

    Die Forderungen in der Asylpolitik werden immer härter. Von Begrenzung und Zurückweisung ist die Rede. Wo bleibt das Mitgefühl, was ist mit dem 'C' in CDU?
    KRETSCHMER: Deutschland ist immer ein Land gewesen, das geholfen und Menschen aufgenommen hat. Aber wir erleben eine hybride Kriegsführung, die sich auf die Asylpolitik auswirkt. Viele der Flüchtlinge, die derzeit einreisen, kommen über die polnische Grenze aus Belarus. Das sind Syrer, das sind Afghanen, das sind Pakistani, die mit einem russischen Visum einreisen. Es ist ganz offensichtlich, was hier gerade passiert, und deswegen braucht es da eine harte Ansage.

    Die da wäre?
    KRETSCHMER: Wir müssen Polen dabei helfen, die gemeinsame EU-Außengrenze zu Belarus stärker zu sichern. Wir müssen die Rückführung hinbekommen, das ist alles bekannt. Es gibt eine Liste von Punkten, die von der Innenministerkonferenz erarbeitet wurde. Aber wir erleben eine Bundesregierung, die sich abwendet und so tut, als würde das Problem nicht existieren. Aber es ist da, und die Zahlen steigen. 

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser erweckt den Eindruck, sie wolle stärker gegen den Flüchtlingszuzug vorgehen. Nehmen Sie ihr das ab?
    KRETSCHMER: Finden Grenzkontrollen an der polnischen Grenze statt? Nein. Haben wir Rückführungsabkommen mit anderen Ländern? Nein. Haben wir zentrale Einrichtungen, in denen Mehrfach- und Intensivstraftäter, die abschiebe- oder ausreisepflichtig sind, vom Bund so sicher untergebracht werden, dass sie nicht die nächste Straftat begehen? Nein. Haben wir einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ausweisung in sichere Herkunftsländer? Nein. Beantwortet das Ihre Frage?

    In der Debatte um Waffenlieferungen für die Ukraine plädieren Sie für Zurückhaltung und werben für eine diplomatische Lösung mit Russland. Ist das eine Haltung, die auch auf Ihre Sozialisation in der DDR zurückzuführen ist?
    KRETSCHMER: Ich verstehe gar nicht, wie man auf diese Verbindung kommt. Ich verstehe auch nicht, warum ich mir vorhalten lassen muss, dass ich grundsätzlich gegen Waffenlieferungen bin. Es muss doch möglich sein, dass man in dieser Zeit diese Haltung hat. Nehmen Sie die Streumunition. Deutschland hat sich aus guten Gründen dafür eingesetzt, dass die Anwendung von Streumunition verboten wird. Jetzt gibt es einen Krieg, einige Staaten liefern diese Munition aus – und Deutschland schweigt. Das ist unmöglich. Ich bin der festen Überzeugung, dass man viel mehr auf diplomatische Initiativen setzen muss. Dabei ist vollkommen klar, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen und die Ukraine den Krieg nicht verlieren darf. Jeder Tag, an dem die Waffen schweigen und man es mit Diplomatie versucht, ist ein guter Tag, weil keine Menschen sterben.

    Bei der Frage rund um Waffenlieferungen in die Ukraine zeigt sich Kretschmer eher zurückhaltend.
    Bei der Frage rund um Waffenlieferungen in die Ukraine zeigt sich Kretschmer eher zurückhaltend. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Sie stellen sich offen gegen die Energiepolitik der Bundesregierung und halten die Energiewende für gescheitert. Woran machen Sie dieses Scheitern fest und wie kommt man da wieder raus?
    KRETSCHMER: Wir brauchen eine parteiübergreifende und auch die gesellschaftlichen Gruppen einbeziehende Kommission. Deren Aufgabe ist die Entwicklung eines Zukunftsplans für die nächsten Jahrzehnte, nicht nur für die nächsten Jahre. Energie darf in einem Industrieland wie Deutschland nicht knapp und nicht teuer sein. 

    Welche Zumutungen sehen Sie?
    KRETSCHMER: Es wird nicht ohne Planungsbeschleunigung gehen. Es wird nicht gehen ohne Atomkraft. Es kann sein, dass man an das Thema Braunkohle nochmal rangeht und die Kraftwerke länger laufen, wenn die neuen Gaskraftwerke nicht wie geplant gebaut werden. Es wird nicht gehen ohne eigene Gasvorkommen. Es wird möglicherweise auch nicht gehen mit den hohen CO2- Abgaben auf fossile Energien. Und wir müssen aus meiner Sicht die Gaspipeline Nord Stream 1 reparieren und sichern, damit wir eine Option haben in fünf oder in zehn Jahren.

    Mit Verlaub, das klingt jetzt eher nach ganz vielen Zumutungen für die Grünen und die Klimaschützer.
    KRETSCHMER: Wenn wir so weitermachen wie bisher – den Ausstieg aus der Atomenergie, den Ausstieg aus bezahlbarem Gas –, dann fährt dieses Land wirtschaftlich gegen die Wand. Energie wird dann so teuer, dass vieles an Produktion nicht mehr möglich ist. Die Forderung nach einem Industriestrompreis ist doch das Eingeständnis, dass die Energiewende gescheitert ist. Leute, die sich damit auskennen, sagen, die Subvention müsse über zehn Jahre fließen. Man kann doch diese Subvention nicht so lange aus Steuergeld bezahlen, das geht nicht. Wir müssen also die Energiewende neu aufsetzen. 

    Für Ihre Forderung, die gesprengte Gasröhre Nord Stream 1 zwischen Deutschland und Russland zu reparieren, beziehen Sie regelmäßig verbal Prügel. Was steckt dahinter – dass es irgendwann ein Russland nach Putin gibt, mit dem man wieder Handel treiben kann?
    KRETSCHMER: Es wäre eine ganz furchtbare Vorstellung, wenn wir nicht den Glauben daran haben könnten, dass mit dem Nachbarn Russland in Zukunft wieder eine Zusammenarbeit möglich ist. Wenn man mit den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg so umgegangen wäre, wo würden wir heute stehen? Und man muss auch den Glauben daran haben, dass unsere westlichen Werte, das freie Leben und die Demokratie, dass das alles auch für Menschen in Russland genau die gleiche Attraktivität hat wie für uns. Nord Stream 1 ist eine Option. Optionen zu haben, ist immer gut. 

    Eine andere Option ist der Ausbau der grünen Energiequellen. Ihnen wird regelmäßig vorgeworfen, dass Sie Braunkohle, Atomkraft und Gas fordern, aber bei den Windrädern wenig machen. Glauben Sie nicht an Windräder, oder ist es kein Ziel Ihrer Landesregierung, den Ausbau zu beschleunigen?
    KRETSCHMER: Einer der Gründe für die große Frustration in Sachsen mit Blick auf die Erneuerbaren ist, dass gemeinsam getroffene Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Und für die Menschen, die in dieser Braunkohle-Region leben, war der Kohleausstieg etwas ganz Großes. Sie sind der Meinung, sie haben ganz viel gegeben. Sie hätten bis 2050 Braunkohle gehabt und haben gesagt: Okay, 2038 ist Schluss. Im Gegenzug bekommen wir Geld und andere Jobs. Aber jetzt erleben wir einen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der überhaupt kein Verhältnis dazu hat, der nicht mal mit den Menschen vor Ort spricht. Diese Form der Geringschätzung sorgt für ganz viel Frust und ist die Ursache, weshalb der Ausbau der Erneuerbaren so kritisch gesehen wird.

    Unternimmt die sächsische Landesregierung zu wenig in Sachen Windkraft?
    Unternimmt die sächsische Landesregierung zu wenig in Sachen Windkraft? Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild)

    Sie haben Büroinformationselektroniker gelernt. Welche Geräte in Ihrem Büro könnten Sie noch selbst reparieren?
    KRETSCHMER: Ehrlich gesagt bin ich heute schon froh, wenn ich alle Geräte hier auch bedienen kann. Die Lehre war eine schöne Zeit. Und der Weg: duale Ausbildung, berufliche Tätigkeiten und dann ein Studium – würde ich genauso wieder machen.

    Die Technik hat sich enorm schnell weiterentwickelt, in Dresden ist in den zurückliegenden Jahrzehnten ein Zentrum der europäischen Halbleiterindustrie entstanden. Jetzt will sich der taiwanesische Chipgigant TSMC hier ansiedeln. Wie haben Sie das hinbekommen?
    KRETSCHMER: Das ist in der Tat ein riesiger Erfolg an dem bereits die Regierung Merkel hart gearbeitet hat und der ohne den heutigen Kanzler Olaf Scholz nicht möglich geworden wäre. TSMC ist der weltweite Technologieführer. Wirtschaftspolitik besteht nicht darin, irgendeine Technologie vorzugeben, wie wir es bei den Heizungen sehen oder bei der Elektromobilität. Sie besteht vielmehr darin, durch Investitionen in Köpfe und Wissenschaft dafür zu sorgen, dass kluge Gedanken entstehen. Diese Leute haben sich für Dresden entschieden, weil hier der beste Ort zur Produktion von Mikroelektronik ist. Auf der anderen Seite sieht man anhand der hohen Subventionen, wo Deutschland derzeit im internationalen Wettbewerb steht. 50 Prozent Subvention ist eine gigantische Zahl. 

    Was daran ist problematisch?
    KRETSCHMER: Die Höhe der Förderung geht nicht allein auf den verzerrten Wettbewerb und die hohen Zuschüsse in anderen Erdteilen zurück. Ein Teil davon geht auf das Konto selbstgemachter Probleme, wie zum Beispiel die hohen Energiepreise. Und dessen müssen wir uns ernsthaft annehmen. Wir sind weit weg von Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstandsverteidigung. Das Risiko der Deindustrialisierung ist real, das ist keine Phantomdebatte.

    Diese negativen Bedingungen sprechen die Investoren im Gespräch mit Ihnen knallhart an?
    KRETSCHMER: Ja, das sind ganz einfache ökonomische Grundlagen. Sie sind in Deutschland ein bisschen vergessen worden. Lange galt: Wenn das eine Unternehmen nicht gekommen ist, dann kam halt ein anderes. Jetzt aber stehen wir an einem Kipppunkt. 

    Sachsen wirbt damit, dass „zahlreiche sogenannte versorgungskritische Rohstoffe in sächsischen Vorkommen nachgewiesen sind“. Dazu gehören Seltene Erden, Wolfram und Zinn. Wie ernst ist es damit?
    KRETSCHMER: In der DDR gab es eine flächendeckende Analyse über die Rohstoffvorkommen im Land. Auf dieser Grundlage gibt es jetzt sehr viele Bergbauunternehmen, die schauen, ob man das tatsächlich erschließen und abbauen kann. Wir hoffen auf ein drittes Berggeschrey.

    Auf ein was bitte?
    KRETSCHMER: Der Begriff geht auf die Silberfunde in früheren Jahrhunderten zurück. Sie lösten ein ‚Geschrey‘ aus. Wir sind da bescheiden, aber es gibt in der Tat Lithium und Seltene Erden bei uns und es kann durchaus wirtschaftlich sein, sie zu heben. Es gibt bereits einige kleine und mittelgroße Projekte. Natürlich wird das nicht die gleiche Bedeutung haben wie die Mikroelektronik. Aber es knüpft, über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus, an unsere Tradition an, es macht Mut und es ist auch wieder so ein Moment, wo du sagst: Ja, wir können was.

    Zur Person

    Michael Kretschmer ist seit dem 13. Dezember 2017 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Er wurde am 7. Mai 1975 in Görlitz geboren, ist evangelisch und Vater von zwei Söhnen. Der CDU-Politiker machte eine Ausbildung zum Büroinformationselektroniker und erwarb auf dem zweiten Bildungsweg die Fachhochschulreife. Sein Studium schloss er als Diplom-Wirtschaftsingenieur ab. Kretschmer startete seine Karriere bei der Jungen Union, er saß unter anderem von 2002 bis 2017 für die CDU im Bundestag und ist seit 2017 Chef des CDU-Landesverbandes Sachsen. 

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