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Interview: Politologe von Lucke: "Wagenknecht ist populistisch und reaktionär"

Interview

Politologe von Lucke: "Wagenknecht ist populistisch und reaktionär"

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    Sahra Wagenknecht gründet eine eigene Partei.
    Sahra Wagenknecht gründet eine eigene Partei. Foto: Christian Ditsch, dpa

    Herr von Lucke, Sahra Wagenknecht wird eine eigene Partei gründen. Ist das für ihre bisherige politische Heimat, die Linkspartei, eher Risiko oder auch Chance? Immerhin waren die Konflikte, die zuletzt hochgekocht sind, eine Belastung.
    ALBRECHT VON LUCKE: In der Tat. Mit Sahra Wagenknecht ging es in der Linkspartei nicht mehr weiter. Allein die Tatsache, dass sie trotz aller Streitigkeiten ihr Mandat bis heute nicht abgegeben hat, zeigt, dass bei ihr der Wille zur Destruktion stark ausgeprägt ist. Sie arbeitet gegen die Linkspartei. Deshalb muss diese Verbindung enden. Die Frage ist, ob es ohne Wagenknecht für die Linkspartei weitergeht. Meines Erachtens ist damit das Ende der Linkspartei zumindest auf Bundesebene eingeläutet. Es gibt nämlich nicht genug Platz für eine Partei scharf links von den Grünen. Die Linke wird daher bei Bundestagswahlen wie auch bei Landtagswahlen im Westen jenseits der Stadtstaaten nicht mehr über 5 Prozent kommen. 

    Der Politologe Albrecht von Lucke prophezeit der Partei Die Linke ohne Sahra Wagenknecht eine düstere Zukunft.
    Der Politologe Albrecht von Lucke prophezeit der Partei Die Linke ohne Sahra Wagenknecht eine düstere Zukunft. Foto: Fotostudio Charlottenburg

    Was wird dann aus der Linken?
    VON LUCKE: Die Linke wird wieder eine Regionalpartei in Ostdeutschland. Vernünftige Leute wie Bodo Ramelow in Thüringen werden dort weiterhin stark sein. Aber auch im Osten wird Sahra Wagenknecht bei der Linken wildern. Ihr Ansatz ist: geschlossene Grenzen, Nationalpopulismus, Nähe zur AfD. Wagenknecht zielt darauf ab, die Marginalisierten, die Unzufriedenen, die Ressentimentgeladenen einzusammeln – bisher auch Klientel der Linkspartei. Sie wird daher im Westen, aber auch im Osten massiv verlieren. 

    Wird die neue Partei von Sahra Wagenknecht überhaupt eine linke Partei sein?
    VON LUCKE: Nein, das wird keine linke Partei – Sahra Wagenknecht macht ja nicht einmal Anstalten, links zu erscheinen. Ihr „Bündnis Sahra Wagenknecht“ heißt ja kurz „BSW – für Vernunft und Gerechtigkeit“, sie reklamiert für sich, den „gesunden Menschenverstand“ zu verkörpern. Wagenknecht behauptet, inhaltlich links-konservativ zu sein. Sie ist aber vor allem populistisch und reaktionär. Sie gibt all jenen Zucker, die wollen, dass alles so bleibt, wie es früher einmal war – in der vermeintlich guten alten Zeit. Gerechtigkeit endet für sie an den Grenzen des Nationalstaates. Doch eine der wichtigsten sozialen Fragen ist das globale Thema Klimaschutz. Es gibt keine Gerechtigkeitspolitik ohne ökologische Politik. Trotzdem hat Sahra Wagenknecht genau wie die AfD die Grünen als ihren Hauptgegner ausgemacht. 

    Auch die AfD muss also Konkurrenz fürchten …
    VON LUCKE: Durchaus. Wagenknecht wird der AfD mit der Forderung nach Migrationsstopp Konkurrenz machen. Doch ganz einfach wird das für sie nicht. Sie läuft dadurch immer Gefahr, dass sie als zu weit rechts wahrgenommen wird. Trotzdem wird sie mit ihrer neuen Partei der AfD ein Stück weit das Wasser abgraben – mit „Raus aus der Ukraine“ und Anti-Nato-Positionen. Bei einem Teil dieser Klientel verfängt auch ihre Umverteilungsposition: Nehmt’s den Reichen, gebt’s den Armen. 

    Umfragen sprechen davon, dass Sahra Wagenknecht bis zu 30 Prozent der Stimmen erhalten könnte. Ist das realistisch?
    VON LUCKE: Nein, auf keinen Fall. Aber ein Potenzial von gut 10 Prozent traue ich ihr durchaus zu. Aber dafür kommt es vor allem auf die Mannschaft hinter Wagenknecht an. Mitentscheidend wird sein, ob es ihr gelingt, eine Partei aufzubauen, die nicht nur Sektierer und Querdenker anzieht. Das ist auch ein Grund dafür, warum sie zunächst einen Verein gründet. Da kann sie mehr Einfluss darauf nehmen, wen sie aufnimmt. Hinzu kommt ein finanzieller Faktor. Wenn sie jetzt bereits eine Partei gründet, würde die – notwendigerweise noch spärliche – Mitgliedschaft dieses Jahres zur Grundlage für die Zuwendungen an die Partei nach den Wahlen im nächsten Jahr gemacht. Gründet sie die Partei dagegen erst in 2024, spielt die Höhe der Mitgliedschaft für die folgenden Wahlen keine Rolle.

    Trauen Sie es Sahra Wagenknecht zu, sich um so etwas Profanes wie Parteistrukturen zu kümmern?
    VON LUCKE: Nein. Das traut sie sich ja nicht einmal selbst zu oder genauer: Das will sie sich gar nicht zumuten. Deshalb hat sie regelrechte Aufrufe gestartet, um Parteistrategen an sich zu binden. Das wird ihr auch gelingen. Ihr größeres Problem ist ein ganz anderes: Wagenknecht wird versuchen, die Partei als Person vollkommen zu verkörpern. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Es hat noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik eine so personalisierte Partei gegeben wie dieses „BSW“, Bündnis Sahra Wagenknecht. Durch ihre zwar kühle, aber elitär-intellektuelle Ausstrahlung zieht sie Menschen aus den unterschiedlichsten Lagern an. Aber spätestens bei den Landtagswahlen im Osten im kommenden Jahr werden andere Leute auf dem Wahlzettel stehen, da kann ja nicht überall Sahra Wagenknecht antreten. Die Qualität der Mandatsträger vor Ort wird dann mit darüber entscheiden, was aus dieser Partei wird. 

    Die Angriffe von Sahra Wagenknecht auf die Linke sind auch deshalb so besonders, weil ihr Mann Oskar Lafontaine einst die SPD weidwund geschossen hat…
    VON LUCKE: Die beiden sind tatsächlich vom gleichen Kaliber, ein destruktives Power-Paar. Beide sind zu keinem Kompromiss bereit, stattdessen getrieben von selbstherrlichem Sendungsbewusstsein. Deswegen ist eine eigene Partei, die auf einer klaren Antihaltung basiert, die einzige Möglichkeit für derartige Ego-Shooter. Ich bin mir auch sicher, dass Oskar Lafontaine im Hintergrund in die Parteigründung massiv einbezogen ist. Spätestens als er aus der Linkspartei ausgetreten ist, musste eigentlich jedem klar sein, dass auch Wagenknecht folgen wird. Die Frage ist, ob sie nun aus ihrer destruktiven Rolle herausfinden und ihnen der schwierige Aufbau einer neuen Partei gelingt – wenngleich diese mit Blick auf die Parteienlandschaft auch wieder destruktiv angelegt ist. 

    Sahra Wagenknecht mit ihrem Ehemann, Oskar Lafontaine.
    Sahra Wagenknecht mit ihrem Ehemann, Oskar Lafontaine. Foto: Martin Schutt, dpa

    Wo sehen Sie die nächsten Wegmarken einer Wagenknecht-Partei?
    VON LUCKE: Wenn es ihr gelingt, die Marke Wagenknecht zwei weitere Jahre strahlen zu lassen, was eine enorme Herausforderung ist, kann die Bundestagswahl durchaus zum Erfolg werden. Aber schon im kommenden Herbst haben wir die drei Landtagswahlen im Osten Deutschlands. Da muss sie richtig einschlagen. Und das traue ich Sahra Wagenknecht durchaus zu. Sie inszeniert sich ja ganz bewusst als Anti-Politikerin und das kommt bei vielen Menschen derzeit sehr gut an – besonders im Osten, aber auch im Westen, wie die Wahlen in Bayern und Hessen soeben bewiesen haben. 

    Zur Person

    Albrecht von Lucke ist Politikwissenschaftler und Publizist. Er schreibt für die „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

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