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Interview: "Höcke ist nicht Hitler, aber es gibt Parallelen"

Interview

"Höcke ist nicht Hitler, aber es gibt Parallelen"

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    "Höcke war anfangs als Westdeutscher in der Thüringer AfD zweitrangig. Aber durch seine Radikalität und die Eingängigkeit seiner Rezepte spielte er sich nach vorn", sagt Seligmann.
    "Höcke war anfangs als Westdeutscher in der Thüringer AfD zweitrangig. Aber durch seine Radikalität und die Eingängigkeit seiner Rezepte spielte er sich nach vorn", sagt Seligmann. Foto: Martin Schutt, dpa

    Herr Seligmann, dass es politische Brandstifter gibt, ist nicht neu. Wie und wann kamen Sie auf die Idee, diese Spezies in Ihrem neuesten Buch „Brandstifter und ihre Mitläufer“ zu kategorisieren?

    Rafael Seligmann: Ich habe vor gut zehn Jahren eine Biografie über Adolf Hitler geschrieben. Dieser gescheiterte Maler und psychisch labile Mann wäre ohne Mitläufer ein Nichts geblieben. Sie verliehen ihm Macht. Daraus entwickelte sich die Idee für das Buch. Hitler war ein Vernichter, nicht zu vergleichen mit Putin oder Trump. Das sind Populisten, politische Brandstifter, aber keine Vernichter und keine Massenmörder. Gemein ist den Brandstiftern, dass sie die Spaltung der Gesellschaft als probates Mittel nutzen, um an die Macht zu gelangen. 

    In dem Drama „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch erkennt Herr Biedermann nicht das Offensichtliche: Die Brandstifter sind tatsächlich Brandstifter.

    Seligmann: Bei Max Frisch liefert Biedermann dem Brandstifter sogar die Streichhölzer. Ich habe an der Münchner Universität politische Wissenschaft gelehrt. Oft feinfühliger in ihrer Analyse erscheinen mir Schriftsteller und Künstler. Ich habe in meinem Buch Max Frisch, Shakespeares "Ludwig III." oder den Roman „Der Spieler“ von Fjodor Dostojewski genutzt, dessen Hauptfigur Parallelen zu dem russischen Präsidenten Putin – einem politischen Spieler – aufweist. 

    Sie sind ein deutscher Historiker, der in Israel geboren wurde. Kostete es Sie Überwindung, den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Ihre Brandstifter-Riege aufzunehmen?

    Seligmann: Selbstverständlich kostete mich das Überwindung. Man muss klar unterscheiden. Es gibt Vernichter und es gibt politische Brandstifter. In letztere Kategorie fällt der spanische Diktator Franco, der zwar gerne Hitlers Unterstützung annahm, ihn aber auflaufen ließ, als es darum ging, an der Seite Nazi-Deutschlands am Zweiten Weltkrieg teilzunehmen. 

    Was werfen Sie Netanjahu vor?

    Seligmann: Als ich das Buch 2023 geschrieben habe, wusste ich zwar nicht, dass etwas Dramatisches geschehen würde, aber ich habe es geahnt. Natürlich war ich erschüttert, als der Terroranschlag vom 7. Oktober geschah und damit der Krieg in Gaza begann. Dafür, dass es zu alldem kommen konnte, trägt Netanjahu ein Stück politische Verantwortung. Für die Art, wie der Krieg geführt wird, ist er zu 100 Prozent politisch verantwortlich. Es ist ein Krieg, der nicht nur Israel, sondern auch die Juden weltweit in die Defensive, ja in eine furchtbare Situation bringt. 

    Das neue Buch von Rafael Seligmann, „Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin - Trump - Netanjahu“, im Herder Verlag; 176 Seiten; 18 Euro.
    Das neue Buch von Rafael Seligmann, „Brandstifter und ihre Mitläufer. Putin - Trump - Netanjahu“, im Herder Verlag; 176 Seiten; 18 Euro. Foto: Daniel Biskup, Verlag

    Präsident Putin gilt derzeit als Brandstifter Nummer eins. Wie konnte es sein, dass sein zerstörerisches Potenzial im Westen so lange nicht erkannt wurde?

    Seligmann: Wenn man etwas nicht sehen will, dann erkennt man es nicht. Dieses Wegschauen gab es gerade in Deutschland. Putin hat früh in seiner politischen Karriere klar gesagt, dass die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts der Zusammenbruch der Sowjetunion sei – er trauert weniger um den Kommunismus als um die Rolle Russlands als Weltmacht. Sein Ziel ist ein Russland in den Grenzen der Sowjetunion. 

    Wie erklären Sie sich, dass Donald Trump die Chance hat, erneut ins Weiße Haus einzuziehen?

    Seligmann: Er verfügt über genau die Eigenschaften, die bei allen aggressiven Populisten von Putin bis Erdogan auszumachen sind: Trump erkannte die Chance der großen Krise. Die USA befinden sich in einem gewaltigen Umbruch. Traditionelle Industrien, wie die einst mächtige Stahlbranche, schrumpfen immer weiter – zum Teil bis zur Bedeutungslosigkeit. Gleichzeitig wachsen digitale Unternehmen, die jedoch hoch qualifizierte Leute brauchen. Arbeiter oder Landwirte fühlen sich abgehängt. Und da erscheint ein erfolgreicher Kaufmann, der sich als ihr Interessenvertreter ausgibt. Trump ist mit seiner Art aufzutreten, mit seiner Originalität, mit seiner Bosheit, seiner Aggressivität der Mann, der die Stimmung im rechten Lager perfekt trifft. 

    Welche Kategorie von politischen Brandstiftern ist im Zeitalter von sozialen Medien und künstlicher Intelligenz am gefährlichsten?

    Seligmann: Im Grunde sind die Erfolgsrezepte unverändert. Die Anliegen derer, die sich zu kurz gekommen fühlen, werden möglichst einfach und primitiv bedient. Joseph Goebbels hat gesagt, Propaganda funktioniert wie in einem Geleitzug: Sie muss sich an dem Langsamsten orientieren. 

    Wenn Sie auf das Führungspersonal der in Teilen rechtsextremen AfD blicken: Wie würden Sie den einflussreichen thüringischen AfD-Chef Björn Höcke einordnen?

    Seligmann: Höcke ist nicht Hitler, aber es gibt Parallelen. In den 20er-Jahren gab es in Deutschland viele Politiker am rechten Rand. Hitler hat sich durchgesetzt, weil er der radikalste und aggressivste mit den eingängigsten Formeln war. Höcke war anfangs als Westdeutscher in der Thüringer AfD zweitrangig. Aber durch seine Radikalität und die Eingängigkeit seiner Rezepte spielte er sich nach vorn. Wenn man die Kaiser ohne Kleider ansieht, sind sie alle lächerlich, ob Putin oder Trump. Doch mit Publikum, mit Unterstützung einer wachsenden Zahl von Mitläufern werden sie gefährlich. Höcke hat alle in der Partei beiseite geräumt, die politischen Kompromissen noch zugänglich waren. 

    Wird die AfD ihren Höhenflug fortsetzen können?

    Seligmann: Wir müssen die Partei als gefährlichen Gegner der Demokratie ernst nehmen. Die AfD ist nach Umfragewerten in den ostdeutschen Ländern teilweise stärker als die Parteien der Ampelkoalition im Bund zusammen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Und was machen unsere Politiker? Sie erlassen Gesetze über Gendern oder über die Freigabe von Haschisch. Wir müssen wissen, dass die AfD durch ihre radikale Führung und viele ebenso radikale Anhänger unsere Demokratie fundamental bedroht. 

    Wie kann man politische Brandstifter stoppen?

    Seligmann: Ich habe am Ende des Buches eine Reihe von Gegenmitteln empfohlen. Wir müssen wissen, welchen Wert Freiheit und Demokratie für uns haben. Ein Instrument ist Diplomatie. Leuten wie Putin muss energisch Einhalt geboten werden. Aber wir Westeuropäer haben 2014 faktisch nichts gegen die Annexion der Krim unternommen. So etwas darf sich nicht wiederholen. Auch auf Krieg als Ultima Ratio muss man vorbereitet sein. 

    Was ist im Inneren wichtig, um Demokratien zu schützen?

    Seligmann: Die Justiz muss im Zusammenspiel mit Parlament und Regierung gestärkt und wetterfest gemacht werden. Wichtig ist eine unabhängige Presse, die sich nicht einschüchtern lässt, die nicht an der Oberfläche bleibt. Wir brauchen glaubhafte Politiker sowie eine klare Trennung von Religion und Staat – es kann nicht sein, dass religiöse Gebote über die Demokratie gestellt werden. Am wichtigsten wäre ein soziales Dienstjahr für alle, die nicht zum Militär gehen wollen oder können. So erfahren Jugendliche, dass eine freie Gesellschaft ohne Dienen nicht funktioniert, dass der Staat kein Zulieferbetrieb ist, der ohne Gegenleistung in Anspruch genommen werden kann. Sonst folgen viele den Populisten, die alles versprechen, aber nichts fordern. 

    Rafael Seligmann
    Rafael Seligmann Foto: Daniel Biskup, Verlag Frei

    Rafael Seligmann (76), 1947 geboren in Tel Aviv, ist einer der renommiertesten jüdischen Autoren in Deutschland. Der Historiker und Journalist hat Wurzeln im schwäbischen Ichenhausen. Von dort ist seine Familie 1934 vor dem Nazi-Terror nach Israel geflohen. Seligmann, der später mehrfach Chefredakteur und Herausgeber war, hat bereits mehrfach Lesungen in der Synagoge der Stadt Ichenhausen gehalten. 

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