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Interview: Politikwissenschaftler: „Die AfD ist keine Wiederauflage der NSDAP“

Interview

Politikwissenschaftler: „Die AfD ist keine Wiederauflage der NSDAP“

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    Jürgen Treutler, AfD-Abgeordneter und Alterspräsident während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags. Die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien ist gleich in der ersten Sitzung eskaliert.
    Jürgen Treutler, AfD-Abgeordneter und Alterspräsident während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags. Die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien ist gleich in der ersten Sitzung eskaliert. Foto: Martin Schutt, dpa

    Herr Falter, in Thüringen wurde schon die erste Sitzung des neugewählten Landtags im Streit zwischen der AfD und den anderen Fraktionen abgebrochen. AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler wurde bei der Wahl des Landtagspräsidenten Verfassungsbruch vorgeworfen, er wiederum verteilte Ordnungsrufe. Wie konnte es so weit kommen?

    Jürgen Falter: Das zeichnete sich bereits im Vorfeld der Landtagssitzung ab. Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen, und zumindest in einem Punkt ist die Verfassung nicht eindeutig formuliert, nämlich was passiert, wenn der von der stärksten Fraktion – also der AfD – vorgeschlagene Kandidat für das Amt des Landtagspräsidenten im ersten wie auch im zweiten Wahlgang keine Mehrheit findet. Können dann für den dritten Wahlgang die anderen Fraktionen eigene Kandidaten vorschlagen oder nicht? Die Thüringer Landesverfassung lässt hier Interpretationsspielraum.

    Der Aufstieg der Rechten macht vielen Menschen Sorge. Haben wir uns in Deutschland in der falschen Sicherheit gewiegt, dass es bei uns schon nicht so schlimm kommen wird, wie in Frankreich oder Polen?

    Falter: Noch sind wir nicht so weit, das kleine Land Thüringen steht gottlob nicht für die ganze Bundesrepublik, und sowohl in Frankreich als auch in Polen funktionieren Demokratie und Parlamentarismus ja durchaus noch.

    Ist die Marschroute der demokratischen Parteien, die AfD auf allen Kanälen abzublocken, richtig?

    Falter: Es zeigt sich immer stärker, dass dies strategisch wie taktisch der falsche Weg ist. Politisch abblocken ja, das ist ein selbstverständliches demokratisches Recht, aber nicht unter Verletzung eingespielter demokratischer Regeln und Traditionen. Das spielt nur der AfD in die Hände, ihre Anhänger fühlen sich dadurch in ihrer weit über das Ziel hinaus schießenden Kritik der etablierten Parteien bestätigt. Ja, das dürfte ihr sogar manchen neuen Wähler verschaffen.

    Seit Jahren wird über Brandmauern gestritten. Auf kommunaler Ebene gibt es in den ostdeutschen Bundesländern schon lange eine punktuelle Kooperation. Doch wie sollte der Umgang der demokratischen Parteien mit der AfD auf Bundesebene aussehen?

    Falter: Dafür gibt es ein schönes lateinisches Sprichwort, „suaviter in modo, fortiter in re“, das leicht variiert auf Deutsch lautet: „Hart in der Sache, aber korrekt in der Form“. Aber darüber gibt es verschiedene Ansichten. Die einen meinen: Wehret den Anfängen mit allen Mitteln, die anderen, dass genau dies, nämlich die Bekämpfung der Partei mit allen Mitteln, kontraproduktiv sei und die AfD tendenziell stärke. Die Geschichte ihre bisherigen Wahlerfolge spricht eher für die Richtigkeit der zweiten Auffassung.

    Jürgen Falter ist Politikwissenschaftler und als Wahlforscher aus vielen TV-Sendungen bekannt. Der 80-Jährige forscht an der Universität in Mainz.
    Jürgen Falter ist Politikwissenschaftler und als Wahlforscher aus vielen TV-Sendungen bekannt. Der 80-Jährige forscht an der Universität in Mainz. Foto: picture alliance, dpa

    Mit Blick auf Thüringen wird oft darauf verweisen, dass die Ernennung des Nationalsozialisten Wilhelm Frick zum Innenminister Thüringens bereits 1930 ein Dammbruch darstellte. Ist das Alarmismus?

    Falter: Der Vergleich ist zwar verständlich, aber er hinkt gleich auf beiden Beinen. Die AfD ist zwar in Thüringen unbestreitbar rechtsextrem, aber eine Wiederauflage der NSDAP ist sie zumindest bisher nicht. Auch war die Situation in Thüringen im Jahre 1930 politisch eine ganz andere als dies heute der Fall ist.

    Man hat den Eindruck, dass Politiker der etablierten Parteien wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange blicken, wenn es um die AfD geht.

    Falter: Das scheint nicht nur bei Politikern, sondern auch bei Journalisten und sogar bei manchen Wissenschaftlerkollegen der Fall zu sein. Die AfD abzulehnen und für gefährlich zu halten, was auch ich tue, entbindet nicht davon, möglichst objektiv zu berichten und zu analysieren. Der Wunsch, die Demokratie zu verteidigen und den Anfängen zu wehren, legitimiert nicht die Abkehr vom Ideal einer möglichst unparteiischen Berichterstattung und die immer bedenkliche Einteilung der Welt in „wir und die“, in Gute und Böse. Das geht fast immer an der Realität vorbei.

    Jetzt gibt es wieder Forderungen, die AfD zu verbieten. Genau für diesen Fall haben die Väter des Grundgesetzes eine juristische Möglichkeit geschaffen. Ist es jetzt nicht an der Zeit, eine offensichtlich antidemokratische Partei zu verbieten?

    Falter: Im Grundgesetz geht es um das Verbot verfassungsfeindlicher Parteien, und zwar solcher Parteien, die sich aktiv kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellen. Dies der AfD in toto nachzuweisen, ist nach wie vor schwierig. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht, das die Hürden für ein Parteienverbot in der Vergangenheit sehr hoch gelegt hat, zum jetzigen Zeitpunkt die AfD verbieten würde. Bei einzelnen Landesverbänden könnte dies vielleicht schon einfacher gehen, bei der Bundespartei halte ich das für einen geradezu gefährlichen Schritt, da ja auch herauskommen könnte, dass die AfD nicht unter die Kriterien des Parteienverbots fällt, was ihr dann geradezu ein verfassungsgerichtliches Gütesiegel verleihen würde.

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    5 Kommentare
    Wolfgang Schwank

    Interessante Aussagen von Herrn Falter, für die manch Andere geprügelt und in die rechte Ecke geschrieben wurden. Die Aufforderung, die nazidurchwirkte AfD inhaltlich und formal sauber zu stellen, ihre Demagogie aufzuzeigen, ja das scheint mir der richtige Weg.

    Wolfgang Leonhard

    Was genau will uns Herr Falter eigentlich sagen? Er hält die AfD zwar für gefährlich, aber das Wichtigste ist, dass man fair mit ihr umgeht und die demokratischen Spielregeln einhält? Diesen Fehler haben die Deutschen schon einmal gemacht und genau darauf setzen die Faschisten um Höcke und Konsorten. Sie werden jeden Zipfel der Macht nehmen, den sie kriegen können, und sie werden ihn nicht mehr hergeben.

    Wolfgang Boeldt

    Falter versteht seit Jahrzehnten sein Geschäft ziemlich gut, aber sein Pech ist eben: neben ihm gibt es (vermutlich) etliche jüngere Kommentatoren, die den weitaus besseren und fundierteren politischen Durchblick haben.

    Klara Rasper

    " .. weit über das Ziel hinaus schießenden Kritik der etablierten Parteien .." Was soll das sein ? Die AfD will lt. einer Bundestagsrede "diesen Parteienstaat abschaffen". Das wird durch ihr Handeln durchaus untermauert. Vielleicht koennte Herr Falter darlegen, welche Kritik er meint, die ueber das Ziel hinausschiessen soll.

    Christoph Stenzenberger

    Woher Herr Falter seine Sicherheit nimmt, dass die AfD im Bund keine Chance hat, ist mir schleierhaft. Ebenso unverständlich, warum ausgerechnet dieser Mann den Eklat im Thüringer Landtag in der AZ kommentieren darf und darin auch noch Dreistigkeit besitzt, das Verhalten der anderen Parteien zu kritisieren, mit keinem Wort aber das autokratische Verhalten des "Alterspräsidenten" und dessen (selbst von ihm zugegebenen) abgesprochenen AfD-Strategie? Diese Strategie ähnelt nebenbei sehr wohl dem parlamentarischen Vorgehen der NSDAP, das sollte Hr. Falter auch wissen. Und als Krönung ergänzt die AZ noch ein schönes großes Bild des besonnen die Glocke schwingenden alten Herren? Unglaublich!

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