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Interview: Politikwissenschaftler Münkler: "Trump hat bessere Karten als beim letzten Mal"

Interview

Politikwissenschaftler Münkler: "Trump hat bessere Karten als beim letzten Mal"

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    Der Politikwissenschaftler und Historiker Herfried Münkler sagt: Die Wahl Trumps wäre für uns ein Worst Case.
    Der Politikwissenschaftler und Historiker Herfried Münkler sagt: Die Wahl Trumps wäre für uns ein Worst Case. Foto: Reiner Zensen. imago-images

    Herr Münkler, als Donald Trump 2016 zum ersten Mal die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, sprach alles gegen seinen Sieg. Haben Sie damals damit gerechnet, dass ein Mann wie er ins Weiße Haus einziehen würde?
    HERFRIED MÜNKLER: Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich habe die amerikanische Wählerschaft für rationaler und interessenorientierter gehalten. Die USA sind ein Land des liberalen Kapitalismus, in dem eingeübt wird, die eigenen, auch längerfristigen Interessen im Auge zu behalten – und dann so ein Wahlergebnis! Was ich nicht hinreichend im Blick hatte, war das eigentümliche amerikanische Wahlsystem. Tatsächlich hatte Hillary Clinton damals die Mehrheit der Wählerstimmen, aber keine Mehrheit der Wahlmänner und Wahlfrauen. Deshalb wird wohl auch bei dieser Wahl im November die Entscheidung von vier, fünf Swing States abhängen. 

    In vielen europäischen Hauptstädten wächst die Sorge. Noch ehe die Vorwahlen angelaufen sind, fürchten alle die Wiederwahl Trumps. Sie auch?
    MÜNKLER: Zumindest hat Donald Trump bei dieser Wahl sehr viel bessere Karten als beim letzten Mal. Im Augenblick muss man davon ausgehen, dass die Gerichte seine Kandidatur nicht verhindern werden. Dann wird er wohl die Vorwahlen der Republikaner für sich entscheiden und als deren Mann zur Präsidentschaftswahl antreten. Hinzu kommt, dass Joe Biden eine ausgesprochen schwache Performance abgibt. Ich bin sehr skeptisch, dass er die Wahl gewinnen kann. Die Demokraten haben es nicht geschafft, eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu finden, der nicht so viel Senilität ausstrahlt. 

    Sollte Donald Trump zurückkehren ins Weiße Haus, hätte das massive Folgen für die ganze Welt.
    Sollte Donald Trump zurückkehren ins Weiße Haus, hätte das massive Folgen für die ganze Welt. Foto: Mike Mulholland, dpa

    Würde sich eine mögliche zweite Amtszeit von Trump von der ersten unterscheiden?
    MÜNKLER: Trump wird im Fall eines Sieges besser vorbereitet sein, er wird seine Pläne zielstrebiger vorantreiben. Wir werden nicht noch einmal einen fahrigen und unberechenbaren US-Präsidenten erleben, sondern einen, der seine Agenda verfolgt. Und wie die aussieht, daran lässt er schon jetzt keinen Zweifel. Er wird eine national-protektionistische Wirtschaftspolitik und eine isolationistisch-egoistische Außenpolitik betreiben. Oder anders gesagt: Er wird auf seine potenziellen und tatsächlichen Verbündeten sehr wenig Wert legen, sondern von Fall zu Fall versuchen, das US-amerikanische Interesse, wie er es versteht, zu verhandeln. Die Europäer spielen für ihn keine wichtige Rolle. Das Modell für ein solches Vorgehen hat er bei den Verhandlungen über den Abzug aus Afghanistan geliefert: Die Europäer sind zwar wacker mit in den Krieg gezogen, aber bei den Verhandlungen mit den Taliban in Doha haben sie keine Rolle gespielt, sondern erst hinterher erfahren, was ausgemacht wurde. Alle, die in Europa einen realistischen Blick auf die Dinge haben und keine transatlantischen Illusionen pflegen, haben also ziemlich klare Vorstellungen davon, was passieren wird.

    Trump versucht noch nicht einmal mehr, seine Absichten zu verschleiern, seine Sprache wird immer radikaler. Seiner Popularität tut das keinen Abstrich. Was sagt das über die Gesellschaft aus? Ist ihr alles egal, was jenseits der eigenen Grenzen passiert?
    MÜNKLER: Vielleicht spielt in diesem Zusammenhang auch eine Rolle, dass wir es infolge der Abschaffung der Wehrpflicht nicht mehr mit den USA von früher zu tun haben. Bis in die 70er-Jahre waren tendenziell alle jungen Männer eine Zeit lang in Europa stationiert; sie sind damit zumindest einmal in ihrem Leben aus den USA rausgekommen. Nordamerika ist groß genug, um das Land nicht verlassen zu müssen. Das ist im kleingliedrigen Europa anders. Die USA sind auch groß genug, um zu sagen: Wir haben einen inneren Markt, wir haben genügend Rohstoffe, wir können es verkraften, uns auf uns selbst zu konzentrieren, wir können den Prozess der De-Industrialisierung, der in den 70er-Jahren begonnen hat, zurückdrehen und uns die glorreichen alten Zeiten zurückholen. Das ist zumindest die Vorstellung. Und das ist auch die Idee von Trump: Wir werden uns nicht mehr aufopfern für die Interessen anderer. Aber das Phänomen Trump zeigt auch die innere Spaltung der amerikanischen Gesellschaft.

    Wo verläuft die Trennlinie?
    MÜNKLER: Wir haben auf der einen Seite die national-protektionistischen Isolationisten, auf der anderen Seite die geopolitisch denkenden Demokraten, die die globalen Zusammenhänge im Auge haben, und deshalb auch eine Vorstellung davon, dass man Verbündete braucht. Während die Demokraten eine Hierarchie der Staatenwelt wollen, setzt Trump auf eine Anarchie der Staatenwelt. Er geht davon aus, dass er in persönlichen Gesprächen und mithilfe von Männerfreundschaften die amerikanischen Interessen von Fall zu Fall geltend machen kann. Da sind Verbündete, auf die man Rücksicht nehmen muss, nur störend. In Trumps Verhalten liegt durchaus eine Ratio, also eine nachvollziehbare Erwägung – ob sie klug und langfristig ist, würde ich jedoch bezweifeln. Aber es gibt viele Menschen, die angesichts des relativen Niedergangs der USA – im Vergleich zu dem nach 1945 am Boden liegenden Europa, auch im Vergleich zu dem seit den 70er-Jahren aufsteigenden China – in Trumps Plänen eine angemessene Reaktion sehen. 

    In vielen Teilen der Welt ist eine massive Polarisierung der Gesellschaften zu sehen. Warum tritt das gerade so geballt auf?
    MÜNKLER: Die Verteilungskämpfe werden härter. Wir sind nicht mehr in einer Situation, in der wir uns auf einer Welle des Wohlstands treiben lassen können. In den USA und in Europa beruhte der wirtschaftliche Aufschwung lange unter anderem auf der Automobilisierung der Gesellschaften. Die Steuereinnahmen wuchsen, viele Arbeitsplätze entstanden. Zugleich war die Bevölkerung nicht besonders verwöhnt: In den USA kam es 1929 zur Wirtschaftskrise, in Europa herrschte ab 1939 Krieg. Die Aussichten der 1950er- und 1960er-Jahre in die Zukunft waren vor diesem Hintergrund rosig und verdichteten sich in der Formel: Unsere Kinder werden es einmal besser haben. Diesen Satz würde heute kaum jemand mehr sagen. Diese veränderte Grundstimmung führt dazu, dass man nervöser wird, aufgeregter, aggressiver. Die Gesellschaft wird in ihrer Grunddisposition missmutiger. Der Appell ans Gemeinwohl wird häufiger – aber er verhallt. 

    Nun trifft diese Stimmung ausgerechnet auf eine Zeit der Krisen: ein Krieg in der Ukraine, die Kämpfe im Nahen Osten …
    MÜNKLER: Die Häufung der Kriege, die wir gerade in den Zentren des reichen Nordens erleben, haben viele Menschen nicht mehr erwartet. Wir haben auf die Frieden stiftende Wirkung des Wohlstands gesetzt. Doch die greift nicht mehr. Das hat mit den eben erwähnten Verteilungskämpfen zu tun, aber auch damit, dass unsere Weltordnung, die für eine gewisse Sicherheit, Erwartbarkeit und Stabilität gesorgt hat, ins Rutschen gerät. Wir treten aktuell in eine Situation ein, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg geherrscht hat: Politische Bündnisse wechselten ständig, es fanden eine ganze Reihe von Kriegen und Grenzverschiebungen statt, die viele vergessen hatten. Ich glaube, dass sich da gerade eine neue Weltordnung herausbildet: ein System der Fünf. 

    Wladimir Putin, Präsident von Russland, würde Amerikas Rückzug als "Weltpolizist" wohl für sich nutzen.
    Wladimir Putin, Präsident von Russland, würde Amerikas Rückzug als "Weltpolizist" wohl für sich nutzen. Foto: Gavriil Grigorov, dpa

    Wen zählen Sie dazu?
    MÜNKLER: Europa und die USA stehen als Vertreter der demokratischen Staaten auf der einen Seite, China und Russland als Vertreter der autoritären Staaten auf der anderen Seite. Indien ist das „Zünglein an der Waage“. Diese Länder entwickeln eine neue Hierarchie, die auch wieder eine Ordnung und stabile Einflusszonen herstellen kann. Aber in der Übergangszeit entstehen relativ viele Kriege. Auch, weil es innerhalb der Gesellschaften offenbar genügend Menschen gibt, die bereit sind, in diese Kriege zu ziehen. Bertolt Brecht hat einmal gesagt: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Heute ist ein gewisser Andrang festzustellen… Das ist ein Syndrom, das sehr heikel ist. Gefährlich wird es, wenn es auf Dauer bei einer Anarchie der Staatenwelt bliebe: Jeder kann mit jedem koalieren – und das jeden Tag anders. Die Versuchung, augenblicklich günstige Konstellationen mit einem Präventivkrieg auszunutzen, ist in solch einer Phase groß.

    Aber hätte nicht umgekehrt eine Weltordnung der großen Fünf den Nachteil, dass unser westlicher Wille nicht mehr automatisch der entscheidende wäre…
    MÜNKLER: Das ist so. Aber hier geht es nicht um das, was wir uns wünschen, sondern darum, welche Prozesse sich gerade beobachten lassen. Die ausschließliche Dominanz des Westens ist vorüber. Eine Ordnung der fünf Mächte würde auch einer Annäherung an die tatsächlichen Verhältnisse in der Welt entsprechen, wenn man Indien als Repräsentant des Globalen Südens ansieht. Es gäbe Mächte, die bereit und fähig sind, so etwas wie ein Investment für die Weltordnung zu machen. Das ist nicht selbstverständlich. Staaten übernehmen dabei Kosten, Anstrengungen und Risiken, von denen andere – Trittbrettfahrer – profitieren. Das war ein Argument, das Donald Trump immer wieder vorgebracht hat: Die Europäer seien sicherheitspolitische Trittbrettfahrer auf Kosten der USA. Das ist einer der Gründe, warum er sich aus der globalen Verantwortung zurückziehen will. So wie die Arbeiter im amerikanischen „rust belt“, der Industrieregion im Nordosten, gesagt haben: Was interessieren uns Brunnen und Schulen in Afghanistan, wenn bei uns die Wirtschaft vor die Hunde geht. 

    Würden Russland, China und Indien das Momentum nutzen, das ihnen eine Amtszeit von Trump bieten würde? Würden sie die geopolitische Lücke füllen?
    MÜNKLER: Davon ist auszugehen. Schauen Sie: Die Europäer werden derzeit immer wieder mit nuklearen Drohungen aus Russland konfrontiert. Die kann man verkraften, solange man sicher ist, dass amerikanische Nuklearschirme über uns gespannt werden. Wenn Trump sagt: Ich halte die nur über euch, wenn ihr bereit seid, eure wirtschaftlichen Verknüpfungen mit China zu lösen, dann müssen die Europäer klein beigeben. Für die Deutschen wäre das eine Katastrophe, wir sind wirtschaftlich massiv mit China verflochten. Dieser Schritt würde uns direkt in eine Wirtschaftskrise führen. Oder die Europäer halten an ihrer Beziehung zu China fest und stehen dann dem russischen Druck gegenüber. Es würden recht schnell Konflikte innerhalb der Europäischen Union auftreten, die dazu führen könnten, dass die EU zerfällt. Das ist alles nicht auszuschließen. Deshalb wäre die Wahl von Donald Trump für uns der Worst Case, dessen Folgen deutlich nachhaltiger im negativen Sinn wären, als es das Agieren des Kremls und von Xi Jinping ist. 

    Das heißt, allein der Zweifel, dass es die USA noch ernst meinen mit ihrem Sicherheitsversprechen, könnte gefährlich werden?
    MÜNKLER: Die Europäer haben es verschlafen, sich um ihre Sicherheit zu kümmern. Sie hätten längst für eine eigene nukleare Abschreckungskomponente sorgen müssen. Die baltischen Länder, die Polen werden sich kaum auf die französischen Atombomben, die Force de frappe, verlassen wollen. Sie haben in ihrer Geschichte mit Frankreich als Verbündeten schlechte Erfahrungen gemacht. Besser wäre eine europäische Nuklearstreitmacht mit einem rotierenden Oberkommando von Polen, Frankreich, Deutschland und eventuell Spanien oder Italien. Aber anstatt derlei aufzubauen, hat man sich in der europäischen und ganz sicher auch in der deutschen Politik an den Gedanken gewöhnt: Der Worst Case wird schon nicht eintreten. Es wird schon alles wieder gut werden. Nur leider sieht es im Augenblick nicht danach aus. Mit der Wahl von Trump, dem Brexit, der Krise der Banken, der Überschuldung des europäischen Südens, der Migrationskrise, der Pandemie sind wir seit mehr als einem Jahrzehnt in einer Abfolge von Worst Cases. Die Politik müsste endlich lernen, dass die Vorstellung, es wird schon alles gut gehen, unterm Strich nichts anderes ist als eine unverantwortliche Politik. 

    Zur Person

    Herfried Münkler, 72, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Zuletzt erschien sein Bestseller "Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert".

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