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Interview: Politikwissenschaftler: „Gegner der AfD machen sich zu große Hoffnungen“

Interview

Politikwissenschaftler: „Gegner der AfD machen sich zu große Hoffnungen“

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    Kundgebung gegen die AfD vor dem Brandenburger Tor.
    Kundgebung gegen die AfD vor dem Brandenburger Tor. Foto: Stefan Zeitz, Imago (Archivbild)

    Herr Falter, die obersten Verwaltungsrichter in Münster ziehen einen Schlussstrich unter den jahrelangen Rechtsstreit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz. Die Partei darf als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden. Hat das Urteil das Zeug, die politische Landschaft zu verändern? 
    JÜRGEN FALTER: Ich fürchte, die Gegner der AfD machen sich da zu große Hoffnungen – zumindest, wenn man die Auswirkungen auf die AfD-Kernanhängerschaft anschaut. Gerade innerhalb der Kernklientel der AfD herrscht große Skepsis gegenüber den Institutionen, auch gegenüber den Gerichten. Die Wähler werden sich eher noch darin bestätigt fühlen, dass der Staat einen weiteren Schritt geht bei der „Verfolgung“ und Ausgrenzung der Partei.

    Das heißt, die AfD könnte von dem Märtyrer-Mythos sogar profitieren?
    FALTER: Die AfD pflegt ihre Festungsmentalität. Viele Anhänger, vor allem aber die Mitglieder fühlen sich bedrängt und ausgegrenzt. Dieses Gefühl schweißt sie zusammen. Die AfD dürfte bestenfalls bei ihren Randwählern Probleme bekommen, also bei jenen, die sie eher aus Protest als aus Überzeugung wählen. 

    Jürgen Falter beobachtet seit Jahrzehnten die deutsche Parteienlandschaft.
    Jürgen Falter beobachtet seit Jahrzehnten die deutsche Parteienlandschaft. Foto: dpa

    Wie wichtig sind die Randwähler noch für die AfD? Ist die Kernwählerschaft nicht inzwischen so gefestigt, dass Wechselwähler nicht weiter ins Gewicht fallen?
    FALTER: Verzichten kann die AfD auf diese Wähler nicht, sie bringen zusätzliche Stimmen und damit zusätzliche Macht. Aber die Stammwählerschaft ist inzwischen tatsächlich so groß, dass sie die AfD deutlich in zweistellige Bereiche bei Wahlen trägt. Man kann sich das vorstellen wie eine Zwiebel: Da gibt es einen harten Kern, bei dem einen die Augen tränen, und außen herum gibt es eine Lage nach der anderen, die immer weniger an die Partei gebunden ist. 

    Hat das Urteil nicht zumindest die Kraft, die AfD zu entzaubern? Immerhin hat ein Gericht schwarz auf weiß dargelegt, dass sie rechtsextremistische Tendenzen verfolgt.
    FALTER: Das Urteil entzaubert die AfD nur für deren Gegner und vielleicht noch für jene, die der AfD skeptisch gegenüberstehen. Aber letztlich ist selbst für diese Gruppe das Urteil nur eine Bestätigung dessen, was sie ohnehin schon lange denken. Für die AfD-Anhänger gilt, dass das, was das Gericht moniert – den völkisch-ethnischen Volksbegriff – weitgehend deren Überzeugung entspricht, sie halten das für richtig. 

    Das heißt, die Erzählung, AfD-Wähler seien zu großen Teilen Protestwähler, die die rechten Tendenzen nur in Kauf nehmen, stimmt so nicht?
    FALTER: Diese Protestwähler gibt es, und es sind auch nicht wenige. Doch selbst die werden sich von dem Urteil nicht abschrecken lassen. Die AfD macht kein Geheimnis daraus, dass signifikante Teile der Partei in diese Richtung denken. Der Flügel, den es zwar offiziell nicht mehr gibt, dessen Vertreter aber nach wie vor große Bedeutung haben, hat genau das in der Partei verankert.

    War es nicht dennoch wichtig, dass der Rechtsstaat mit dem Urteil ein Zeichen setzt?
    FALTER: Natürlich ist es gut, wenn ein unabhängiges Gericht – auch, wenn genau das von manchen AfD-Anhänger angezweifelt wird – das bestätigt, was der AfD schon länger vorgeworfen wird und was auch die Wissenschaft herausgearbeitet hat. Ich erwarte, dass die Partei den juristischen Weg weiter beschreiten und vor das Bundesverwaltungsgericht und irgendwann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wird. 

    Sollten die anderen Parteien gleichzeitig den Versuch unternehmen, doch noch ein AfD-Verbot anzustreben?
    FALTER: Das ist viel zu riskant. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Verbotsverfahren scheitern würde. Das Bundesverfassungsgericht hat dafür sehr hohe Hürden aufgestellt. Der AfD ist nur schwer nachzuweisen, dass sie aktiv und kämpferisch das politische System der Bundesrepublik grundlegend verändern will. 

    Was können die Parteien dann tun, um die AfD zumindest einzuhegen? Sie haben es mit ignorieren versucht, sie haben es mit entzaubern versucht – beides war zumindest relativ erfolglos …
    FALTER: Eigentlich gibt es nur zwei Wege: Erstens muss man sich ernsthaft mit den Argumenten der AfD auseinandersetzen und versuchen, sie zu widerlegen. Zweitens muss man der AfD das wichtigste Motiv, das ihre Anhänger antreibt, aus der Hand nehmen: die Migrationspolitik. Diese darf nicht länger nur vom schlechten Gewissen angetrieben sein; das heißt, man darf nicht länger alle Menschen unbesehen aufnehmen und dann erfolglos versuchen, sie wieder loszuwerden, wenn es keinen Grund für Asyl gibt. 

    Die Bundesregierung und auch die EU haben das zuletzt versucht. Reicht das?
    FALTER: Das sind kleine Schritte. Sie werden weder den AfD-Anhängern noch denjenigen, die jenseits der AfD unzufrieden sind mit der Migrationspolitik, genügen. Das Rad lässt sich auch gar nicht mehr vollständig zurückdrehen. In Deutschland leben Millionen Migranten, die das Gesicht unserer Städte verändern, die die Gesellschaftszusammensetzung verändern, die etwa in Gestalt von Kalifats-Anhängern und Islamisten eine verfassungsfeindliche Fundamentalopposition ins Land gebracht haben. Diese Geister wird man nicht mehr los. Deshalb wird eine Partei wie die AfD immer wieder Zuspruch erfahren. Umgekehrt haben die dänischen Sozialdemokraten gezeigt, wie es gelingen kann, die Einwanderung in die Sozialsysteme zumindest zu verringern. Über dieses Stöckchen – eigentlich ist es sogar ein ziemlich hoher Stock – müssen SPD und Grüne in

    Tatsächlich ist es gerade für diese Parteien gar nicht so einfach – die Willkommenskultur gehört zu den Überzeugungen vieler ihrer Anhänger.
    FALTER: Ich habe gerade die Biografie von Wolfgang Schäuble gelesen. Darin steht sinngemäß ein wunderbarer Satz: „Regieren bedeutet, die Realität zu akzeptieren.“

    In den Niederlanden, in Italien, in Frankreich sind die Rechten deutlich stärker. Wird auch in Deutschland die AfD über kurz oder lang an einer Regierung beteiligt sein?
    FALTER: Ausschließen kann man das nicht. Zumindest in absehbarer Zeit halte ich das jedoch für unwahrscheinlich. Aber wenn wir uns ansehen, welchen Weg die PDS – später Die Linke – genommen hat, zeigt sich: Es kam erst zur informellen Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene, dann zur formellen Zusammenarbeit, dann zur informellen Zusammenarbeit auf Landesebene, dann zu Koalitionen, in Thüringen stellt die Linke den Ministerpräsidenten. Ob die AfD den gleichen Pfad nimmt, ist schwer zu sagen – vor allem, weil wir nicht wissen, ob sie sich weiter radikalisiert. Damit würde sie sich von allen Koalitionsoptionen ausschließen. Chancen hat die AfD nur, wenn sie moderater wird. Allerdings steckt sie da in einem strategischen Zwiespalt, denn sie könnte einen Teil ihrer Wählerschaft verlieren, wenn sie das tut.

    Zur Person

    Jürgen Falter, 80, ist einer der profiliertesten deutschen Parteienforscher. Er war lange Jahre Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, bekleidete aber auch Professuren an der Hochschule der Bundeswehr München und der Freien Universität Berlin. 

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