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Interview: Polen-Expertin: "Für die PiS ist Donald Tusk der größte Feind"

Interview

Polen-Expertin: "Für die PiS ist Donald Tusk der größte Feind"

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    Die Beziehung zwischen der EU und der polnischen Regierung ist angespannt.
    Die Beziehung zwischen der EU und der polnischen Regierung ist angespannt. Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild)

    Maria Skóra, in Polen gab es am 4. Juni große Demonstrationen, die unter anderem von der Opposition organisiert wurden. Warum?
    MARIA SKÓRA: Die Antwort ist recht einfach: Der Wahlkampf startet. Die Demonstration war ursprünglich ein Signal zur Unterstützung der Opposition. Der 4. Juni ist der Jahrestag der ersten teilweise freien Wahlen 1989. Kurz zuvor wurde die "Lex Tusk" vorgeschlagen – ein Gesetz, das offiziell zur Erforschung des russischen Einflusses auf Polen ab 2007 dienen soll. Eigentlich ist es aber eine Maßnahme, um politische Gegner wie den Oppositionsführer Donald Tusk, der zufällig ab 2007 regierte, außer Gefecht zu setzen. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit den teils verfassungswidrigen Gesetzen der Regierungspartei PiS nicht zufrieden sind. Schon in den vergangenen Jahren gab es Demonstrationen, zum Beispiel gegen das Abtreibungsverbot. Erst kürzlich ist in Polen eine Frau gestorben, vermutlich weil sie keinen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen durfte. Diese Politik kostet Menschenleben. Auch das ist ein Faktor, wieso diese Mobilisierung gegen die Regierung aktuell so groß ist.

    Eine Person, die gerade sehr präsent ist, ist ebenjener Donald Tusk, nach dem das umstrittene Gesetz benannt ist. Angesichts der Demonstrationen könnte man davon ausgehen, dass er in Polen beliebt ist. Welche Chancen hat er bei den Wahlen?
    SKÓRA: Er ist beliebt, aber er polarisiert. Es ist eine Schwäche der Opposition, dass es sonst keine charismatischen Anführer gibt. Tusk hat die polnische Politik vor einigen Jahren verlassen, um auf EU-Ebene aktiv zu sein, danach hat die Bürgerplattform die Wahl verloren. Er allein ist in der Lage, es mit der von der PiS geführten Regierung aufzunehmen. Für PiS-Sympathisantinnen und -Sympathisanten ist er der größte Feind und wird gnadenlos angegriffen. Das Tusk-Gesetz richtet sich direkt gegen ihn.

    Können sich die Oppositionsparteien hinter Tusk zusammenfinden?
    SKÓRA: Allen ist klar, dass Tusk die größten Chancen hat. Sie müssten dann aber eine Koalition aus Linken, Liberalen und Christdemokraten bilden. In dieser Koalition wird es dann zu ideologischen Auseinandersetzungen kommen. Das Hauptziel ist aber, diese Wahl erst einmal zu gewinnen. Die Strategie für jetzt ist, Anti-PiS zu sein. Das ist das, was die Parteien vereint.

    Sie sprechen "Lex-Tusk" an. Das Gesetz soll vermeintlich dazu dienen, ihn politisch auszuschalten. Denken Sie, dass die Regierung damit Erfolg haben wird?
    SKÓRA: Ich glaube nicht. Das hat für sehr viel Empörung gesorgt, nicht nur in Polen. Zum ersten Mal haben wir eine solche schnelle, eindeutige Reaktion der EU. Vielleicht, weil Tusk eine prominente Figur in Brüssel ist. Der Fall zeigt eine interessante interne Dynamik in Polen. Das Gesetz ging durch das Parlament, der Präsident hat es unterschrieben. Jetzt schlägt auch er Änderungen daran vor. Er bekommt Angst, weil er das Ausmaß der Proteste und das internationale Echo gesehen hat. Es ist aber schwer abzuschätzen, wie es weitergeht. 

    Sie erwähnen die internationale Empörung. Das Verhältnis zwischen Polen und der EU ist angespannt. Warum?
    SKÓRA: Das kann man auf drei Ebenen betrachten. Erstens: Die PiS und ihre Koalitionspartner sind euroskeptisch. Zweitens wird die Europäische Union stark politisiert. In Medien wird oft unterstellt, dass Brüssel etwa Gesetze und Normen diktiert. Die EU sei an allem schuld. Die dritte Ebene ist eine juristische. Die PiS hat Reformen eingeführt, die demokratischen Standards nicht entsprechen und den Rechtsstaat abbauen. Das sorgt auf EU-Ebene für Kritik. Polinnen und Polen sind überzeugt, dass die EU-Mitgliedschaft gut ist, aber die Rhetorik, dass die EU ihre Souveränität beschränkt und zu viel Einfluss auf die Innenpolitik nimmt, wird von einigen geteilt. Es ist aber nicht die Mehrheit.

    Die polnische Regierung bezeichnete den Solidaritätsmechanismus des neuen Asylgesetzes als absurd, nicht umsetzbar und schädlich. Spielt der Regierung diese Rhetorik beim Thema Migration mit Blick auf die Wahlen in die Hände? 
    SKÓRA: Ich befürchte, viele Menschen in Polen sind gegen diese Regelung und wollen sie nicht mittragen. Die geleistete Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine war zwar groß, es sieht aber so aus, als wäre diese Hilfsbereitschaft auf europäische Zuwanderer begrenzt. Laut Umfragen aus 2021 waren 25 Prozent der Befragten der Meinung, Polen sollte niemanden aufnehmen.

    Welche Möglichkeiten hat die EU denn im Umgang mit Polen?
    SKÓRA: Die EU hat genug Instrumente, die Rechtsstaatlichkeit zu schützen. Es fehlte der politische Wille, diese zu nutzen. Dass die Kommission jetzt so schnell reagierte, gibt Hoffnung. Es geht nicht um Souveränität, sondern um Prinzipien und Regeln. Das Verhalten Ungarns und Polens verstößt gegen EU-Verträge. Auch einzelne Mitgliedstaaten könnten aktiver sein.

    Welche Rolle spielt Deutschland dabei?
    SKÓRA: Deutschland ist aus historischen Gründen ein besonderes Land für Polen und sehr präsent in der öffentlichen Debatte – leider im negativen Kontext. Die regierende Partei nutzt Deutschland, um zu illustrieren, wie die polnische Souveränität angegriffen wird. Es ist sehr einfach, anti-deutsche Ressentiments zu mobilisieren. Es ist schwer, eine sachliche bilaterale Diskussion zu führen. Die Strategie der deutschen Regierung ist es, erst abzuwarten und auf europäischer Ebene zu agieren. Das finde ich richtig, denn egal, was Deutschland machen würde, es würde von der Regierung und den staatlich kontrollierten Medien als polenfeindlich dargestellt werden.

    Zur Person

    Dr. Maria Skóra arbeitet am Institut für Europäische Politik. Sie ist leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Resilio, die die Resilienz europäischer Rechtsstaaten erforscht und beobachtet.

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