Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: "Papst Franziskus weiß, dass der Schlüssel zur Lösung des Konflikts im Kreml liegt"

Interview

"Papst Franziskus weiß, dass der Schlüssel zur Lösung des Konflikts im Kreml liegt"

    • |
    Die Rolle von Papst Franziskus im internationalen Ringen um Frieden in der Ukraine wird von vielen kritisiert.
    Die Rolle von Papst Franziskus im internationalen Ringen um Frieden in der Ukraine wird von vielen kritisiert. Foto: Andrew Medichini, dpa/AP

    Herr Ernesti, am Dienstag wurde bekannt, dass Papst Franziskus zu Wladimir Putin nach Moskau reisen möchte – dort aber nicht willkommen ist. Mehrere Einladungen der ukrainischen Führung hat wiederum der Papst abgelehnt. Wie erklären Sie sich diese Entscheidungen?

    Jörg Ernesti: Ja, das ist höchst ungewöhnlich, dass der Papst den russischen Präsidenten um eine Einladung gebeten hat. Normalerweise ist es umgekehrt, Politiker bitten ihn um eine Audienz. Papst Franziskus will zuerst nach Moskau, dann nach Kiew, weil er weiß, dass der Schlüssel zur Lösung des Konflikts im Kreml liegt.

    Viele erwarten aber vom Papst, dass er sich an die Seite der Angegriffenen stellt.

    Ernesti: Dem Papst ist bewusst, dass die Presse eine Reise nach Kiew als Solidaritätsgeste für die Ukrainer deuten würde. Damit würde er zwar Punkte in der westlichen Öffentlichkeit sammeln, es würde sich aber jede Tür in Moskau automatisch schließen. Einfluss nehmen auf die russische Führung könnte er dann nicht mehr. Der Heilige Stuhl bemüht sich in allen internationalen Konflikten um Überparteilichkeit, das hat eine lange Tradition.

    Diese Überparteilichkeit hat der Heilige Stuhl nicht freiwillig entwickelt. Das schildern Sie in Ihrem neuen Buch.

    Ernesti: Ja, nach dem Untergang des alten Kirchenstaates musste der Vatikan zunächst ohne Territorium auskommen. Man hat sich dann ziemlich bald als neutraler Vermittler in internationalen Konflikten profiliert. Die Päpste versuchen seitdem immer wieder, ihr moralisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um zum Frieden beizutragen.

    Immerhin kam dem Papst jetzt Kritik am Patriarchen von Moskau über die Lippen. Er warnte Kyrill davor, „zum Messdiener Putins zu werden“. Warum hat das so lange gedauert?

    Ernesti: Das Verhältnis der russisch-orthodoxen Kirche zur katholischen Kirche ist historisch belastet. Erst ein einziges Mal in der Geschichte der beiden Kirchen ist es zu einem Zusammentreffen ihrer Führer gekommen, 2016 in Havanna. Im Ukrainekrieg sieht der Papst den Patriarchen als Türöffner beim russischen Präsidenten. Er weiß, dass Putin auf Kyrill hört. Ganz falsch liegt er damit nicht: Die italienische Wochenzeitung L’Espresso hat in ihrer aktuellen Ausgabe enthüllt, dass Kyrill und Franziskus am 23. März gemeinsam einen humanitären Korridor aus Mariupol organisieren ließen. Die Busse waren bereits zur Abfahrt bereit, doch in letzter Minute haben die militärischen Oberbefehlshaber die Aktion gestoppt.

    Das war eine humanitäre Intervention. Ihr Buch heißt aber „Friedensmacht“. Hat die vatikanische Außenpolitik denn jemals konkret für Frieden sorgen können?

    Ernesti: Das hat in der Tat einige Male geklappt. So hat man etwa 1980 durch einen Schiedsspruch einen Krieg zwischen Argentinien und Chile verhindern können. 2014 hat der Vatikan geheim und diskret Gespräche zwischen Kuba und den USA angebahnt, die zu einer Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen geführt haben. Man muss aber ehrlich zugeben: Die Friedensbemühungen des Heiligen Stuhls sind allzu oft gescheitert, etwa im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg und im Vietnamkrieg. Da hat man nichts ausrichten können.

    Pius XII. nennen Sie den „Diplomatenpapst par excellence“. Hätte man in der NS-Zeit nicht eher einen Widerstandskämpfer gebraucht?

    Ernesti: Pius XII. hat aus heutiger Sicht alles richtig gemacht, und dennoch falsch gehandelt. Er hat zwar Tausenden von Menschen das Leben gerettet, aber letztlich den Holocaust nicht offen verurteilt. Ich sehe schon eine gewisse Parallele zur heutigen Zeit: Auch er wollte als möglicher Friedensvermittler im Spiel bleiben und die humanitären Aktionen der Kirche nicht gefährden. Irgendwann wird Franziskus nicht mehr umhinkommen, den Aggressor klar und deutlich zu verurteilen – spätestens dann, wenn eine vatikanische Friedensvermittlung und humanitäre Korridore nicht mehr realistisch sind. Sonst verspielt er seinen moralischen Kredit wie einst Pius XII.

    Sie blicken im Buch sehr freundlich auf die Außenpolitik des heutigen Papstes. Hat der Krieg gegen die Ukraine etwas an Ihrer Einschätzung geändert?

    Ernesti: Ich will kein Apologet von Franziskus sein. Aber ich sehe doch, dass die vatikanische Diplomatie im Moment sehr professionell agiert. Franziskus, der vielen Beobachtern als unkonventioneller Neuerer erscheint, steht in der Außenpolitik doch auf dem Fundament einer 150-jährigen Tradition. Er sieht die Chancen, aber auch die Grenzen des vatikanischen Engagements sehr deutlich.

    Zur Person: Jörg Ernesti ist Priester und Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg. Sein Buch „Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik seit 1870“ ist bei Herder erschienen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden